Nr. 36: Die Lebensbedingungen der nach Wiedererrichtung der tschechischen Verwaltung enteigneten deutschen Bevölkerung in Hultschin, ihre Unterbringung in Lagern; die Behandlung der ehemaligen Amtswalter bei ihrem Arbeitseinsatz in der Grube Petershofen.

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Bericht des Bauern N. N. aus Hultschin.

Original, April 1955, 24 Seiten, hschr. Teilabdruck.

Der Vf. berichtet eingangs über die Flucht der deutschen Bevölkerung und die Ereignisse nach dem Einmarsch der Roten Armee.

Die Lebensbedingungen waren nach dem Einmarsch der Roten Armee und Übernahme der Verwaltung durch die Tschechen sehr in Frage gestellt. Die erste Zeit gab es überhaupt keine Zuteilung von Lebensmitteln. Diejenigen, die nicht geflüchtet waren und sich mit Vorräten versorgt hatten, kamen über diese Zeit hinweg. Anders war es mit den zurückgekehrten Flüchtlingen. Die standen nun vor einem Nichts und waren auf die Wohltaten von Bekannten angewiesen. Erst nach zwei bis drei Wochen setzten kleine Zuteilungen ein, die kaum einen Tropfen auf den heißen Stein ausmachten.

Sämtliche Personen sind durch den Kommissär vom tschechischen Arbeitsamt erfaßt worden und in Kolonnen zu Aufräumungsarbeit und landwirtschaftlichen Arbeiten in den Domänen zugeteilt worden. Auch die Bauern mußten mit ihren Gespannen in den Domänen mitarbeiten. Dies alles unentgeltlich und auch ohne Lieferung der notwendigsten Lebensmittel. Die Tschechen sind alle in Ämter und zur Aufsicht, ohne Rücksicht darauf, ob sie imstande waren, ihren Dienst zu versehen, eingeteilt.

Nach und nach sind die Zuteilungen an Lebensmitteln größer geworden. Selbstverständlich haben alle Tschechen die Zuteilung an Lebensmitteln voll erhalten. Für die Deutschen gab es Lebensmittelkarten mit dem deutschen Aufdruck in Kurrent „Deutsche, Deutsche”, die nur ein Bruchteil von den tschechischen waren.

Im Juli setzten die Enteignungen ein bei den nicht geflüchteten Deutschen. Bei den Geflüchteten war das Eigentum schon bevor sie zurückkamen enteignet. Viele von denen haben dann Unterkunft bei den Eltern ihrer Dienstmädchen gefunden.

Es erschien unverhofft eine Kommission mit Gendarmerie und hat alles vorhandene Inventar aufgenommen. Hauptsächlich wurde nach Bargeld, Sparkassenbüchern und Schmuck gesucht. Die Eigentümer konnten sich von dem Notwendigsten, außer dem Vorgenannten, nur soviel mitnehmen, was sie unter dem Arm tragen konnten. Unter Assistenz der Gendarmerie mußten sie nun ihr Eigentum für immer verlassen1.


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Die Betroffenen sind nun alle in Lagern untergebracht worden. Mehr als eine Woche lang ist ihnen keine Verpflegung zuteil geworden. Nur was ihnen mitleidige Verwandte und Bekannte heimlicherweise zugebracht, hat sie am Leben erhalten.

Frauen und Kinder sind im Dech. Richterschen Stift auf Rapsstroh und später im Dominium untergebracht worden. Männer kamen ins frühere Russenlager auf dem Sägewerk. Da kamen öfters in den Nächten tschechische Soldaten aus der Kaserne und mißhandelten die Männer in sadistischer Weise. In den letzten Tagen des August ist dann die Küche eingerichtet worden, in der es meist nur dünne Kartoffelsuppe gab. Doch gab es in der Bevölkerung noch wohltätige Leute, die heimlich die Internierten mit Lebensmitteln versorgten.

In derselben Zeit ist auch ein Lagerverwalter eingesetzt worden mit Namen Doležal. Dieser war wegen verschiedener Vergehen und Verbrechen im KZ während des Krieges. Und ein solcher Verbrecher ist nun unser Verwalter geworden.

Die „Lidová Strana” (tschechische „Volkspartei”) in Hultschin hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Internierungslager im Hultschiner Ländchen aufzuheben und die Internierten freizulassen. Es war ihr auch schon soweit gelungen, dieses beim Ministerium in Prag durchzusetzen. Das Ministerium hat zugesagt. Doch da hat der Verwalter Doležal mit anderen Verbrechern dagegen gearbeitet und hat selbst die Reise nach Prag nicht gescheut, um die Zusage des Ministeriums zu vereiteln, was ihm auch leider gelungen ist. So sind die Lager auch im Hultschiner Ländchen erhalten geblieben. Doležal, mit dem Spitznamen von uns „Lord” genannt, ließ es nun an Schikanen nicht fehlen. Wie er es im KZ gelernt, so gab er es jetzt seinen Pflegebefohlenen mit noch größerer Brutalität zu spüren. Unter anderen Quälereien ließ er auch mitten in der Nacht die Insassen im Hemd, wie sie geschlafen haben, antreten und stundenlang stehen und frieren.

Die Internierten sind zu verschiedenen Aufräumungsarbeiten und Notstandsarbeiten herangezogen worden. Hauptsächlich die Räumung der gesprengten Oppa-Brücke in Hultschin. Es haben auch verschiedene tschechische


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Gewerbetreibende sich Fachleute ausgesucht und beschäftigt. Es haben auch verschiedene Verwandte der Internierten, die Schwiegereltern u. dgl. diesen und jenen zur Aushilfe in der Ernte und sonstigen Arbeiten beantragt. Dies ist auch in den meisten Fällen bewilligt worden. Doch hier kam nachher das dicke Ende. Doležal hat für die geleistete Arbeit einen Entgelt verlangt, das dieser Arbeit gegenüber in keinem Verhältnis stand. Die meisten sind dann in die größte Verlegenheit geraten, weil sie die geforderten Beträge überhaupt nicht aufbringen konnten. Wie dann diese Schwierigkeiten ausgelaufen sind, ist mir nicht mehr bekannt.

Außer den Internierten waren stärker verdächtige Personen im Gerichtsgefängnis Hultschin eingesperrt. Dieses war so stark überfüllt, daß selbst alle Korridore belegt waren und einer neben dem anderen dicht liegen mußte. Die Belegschaft war fast zehnmal so groß als der normale Stand. Da der Platz nicht ausreichte, ist ein Teil der Gefangenen als Nachtgäste in das Internierungslager gebracht worden. Da mußten die Gefangenen zu zweien in einem Bett schlafen. Tagsüber sind die Gefangenen auch auf Zwangsarbeit eingeteilt. Unter diesen befand sich auch der deutsche Rechtsanwalt Dr. Kauer. Dieser litt an einer schweren Magen- und Darmkrankheit. Als krank gemeldet, hat ihn der Arzt Dr. Havliček in Krankenhauspflege überwiesen. Dies mußte der Kreisarzt genehmigen, doch der hatte ihn aìs arbeitsfähig für leichtere Arbeit befunden. Dr. Kauer mußte nun wieder, anstatt ins Krankenhaus, mit den anderen zur Arbeit. Da ist er aber auch nach kurzer Zeit zusammengebrochen und mußte nun doch ins Krankenhaus geschafft werden, wo er dann am nächsten Tag gestorben ist, also buchstäblich zu Tode gequält. Gegen Ende September ist das Frauenlager im Dominium aufgelöst worden. Drei bis vier ältere Frauen sind entlassen und ihrem Schicksal mit nichts überlassen worden. Frauen mit Kindern und ältere und arbeitsunfähige kamen ins Lager Hilweti-Hof bei Bolatitz und Krawarn. Die Arbeitsfähigen kamen nach Ostrau ins Lager und sind da zu verschiedenen Arbeiten herangezogen.

Anfang Oktober erfolgte wieder eine neue Aktion. Alle Parteifunktionäre, Ortsbauernführer sowie auch verschiedene Bürgermeister und Amtsvorsteher aus dem Ländchen sind auf die Grube Petershofen zur Zwangsarbeit zusammengezogen und im früheren Kriegsgefangenenlager hinter Stacheldraht gesteckt. Es wurden zwar alle auf Grubentauglichkeit untersucht, doch hat ein Ingenieur, ich glaube Rzeczek mit Namen, über die Untersuchungsergebnisse hinweg fast alle Leute zu Untertagsarbeit eingeteilt. Ich war als überhaupt grubenunfähig erkannt, und als fast 60jähriger Mann mußte ich trotzdem in die Grube einfahren. Es waren einige vernünftige Steiger da, die auf die alten, gebrechlichen Leute Rücksicht nahmen und ihnen entsprechend leichte Arbeit gaben. Doch es waren auch welche Steiger, die je nach Laune rücksichtslos vorgingen. Nach getaner Untertageschicht mußten wir noch jeden Tag zwei Stunden zusätzlich über Tage arbeiten.

Der Lagerverwalter, ein Grubenbeamter, der das Lager nur nebenbei verwaltete, war im Gegensatz zu dem Hultschiner Verwalter ein sehr vernünftiger Mann. Von ihm gingen keine Schikanen aus, und er duldete auch


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von anderer Seite keine, soweit es in seiner Macht stand. Einige Wachmannschaften haben sich doch in besoffenem Zustand einige Übergriffe erlaubt.

Die Beköstigung war der schweren Arbeit gegenüber unzureichend. Es wäre wohl einigermaßen ausreichend, wenn alles Zugeteilte nur für uns verwendet wäre. Es ist, wie das meistens der Fall, vieles in andere Kanäle geflossen, z. B. Wachmannschaft, Verschiebung durchs Küchenpersonal usw. Zum Kochen waren Frauen angestellt, die Frauen waren in zwei Schichten eingeteilt. Die eine Partei hat sehr gut gekocht, wogegen die andere unter aller Kanone. Auch hier hat die Wohltätigkeit der Bevölkerung eingesetzt. Die Bergleute haben immer was für uns mitgebracht. Als Lohn wurde für die Internierten der niedrigste Tarif in Anwendung gebracht. Es mußten jedem Internierten pro geleistete Schicht 10 Kč in bar ausgezahlt werden, ohne Rücksicht darauf, ob sein Monatskonto mit Plus oder Minus abgeschlossen war. Ich hatte ein Bruttoverdienst im Monat etwa 1600—2300 Kč. Dies ist alles auf Unkosten der Lagerhaltung aufgerechnet worden. Wenn jemand in guter Arbeit mehr verdient hat, so ist das Plus an die Frau überwiesen worden. Ich hatte nur in einem Monat einen Überschuß von 80 Kč, diese sind meiner Frau überwiesen worden, alle anderen Monate sind bei mir mit Minus abgeschlossen.

Es wurde jeden Tag, ob Sonntag oder Feiertag, gearbeitet. Lediglich am ersten Weihnachtsfeiertag war frei und Gelegenheit zur Heiligen Messe und Sakramenten in der Betriebshalle. Am Weihnachtsabend und Silvester ist je ein Hektoliter Bier vom Betrieb aus gestiftet worden. Am Weihnachtsabend konnten wir uns auch Christbäume besorgen und Weihnachten nach deutscher Art begehen. Dies wurde auch ausgiebig mit deutschen Liedern ausgenützt. Es ist auch, aber nur einigen wenigen und Linientreuen hintenrum erlaubt worden, den Weihnachtsabend in der Familie zu Hause zu verbringen. Diese, es waren nur internierte Bergleute, konnten erst bei eintretender Dunkelheit weg und mußten in der Früh noch vor Tageshelle zurück sein.

Der schon erwähnte Ingenieur hat sich auch weiterhin als Deutschenfresser ausgezeichnet. Er hat es durchgesetzt, daß bei Krankmeldungen diejenigen, die vom Arzt als arbeitsfähig geschrieben wurden, diese direkt von der Untersuchung zur Arbeit von 8 bis 10 Stunden, ohne Gelegenheit, auch nur das Geringste essen zu dürfen, unter strenger Aufsicht zugeführt wurden. Dies war besonders hart für diejenigen, die wegen Zahnbehandlung zuerst zum zuständigen Arzt mußten und die selbstverständlich arbeitsfähig waren. Die ärztliche Ordination war außerhalb des Betriebes mitten im Dorf. Es war auch ein Arzt, Dr. Harazim, gebürtig aus Schepankowitz, zuletzt tätig in Beneschau, mitinterniert. Da sind die Deutschfresser auf den Einfall gekommen, die krankgemeldeten Internierten von diesem Arzt in der Früh um 5 Uhr untersuchen zu lassen, um dann die arbeitsfähigen noch um 6 Uhr in die Grube einfahren zu lassen. Dr. Harazim hat es nur einmal getan und die weiteren Untersuchungen um diese Zeit verweigert. Daraufhin sollte auch er in die Grube als Bergmann einfahren, da er auch dies verweigerte, ist er sofort aus dem Lager weggekommen. Was mit ihm geschehen ist, haben wir nicht erfahren.


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Im Februar war ich vom Steiger für die Holzzufuhr im Vorort eingeteilt. Dies war eine schwere Arbeit, in ständigen Kohlenstaubwolken eingehüllt, was ich nicht vertragen konnte. Auf Grund dessen meldete ich mich krank und bat den Arzt, mich auf ober Tage zu versetzen. Der Arzt war ein vernünftiger Mann, aus Smolkau, einer tschechischen Gemeinde in der nächsten Nähe von Beneschau, stammend und mit den Verhältnissen im Hultschiner Land gut bekannt. Dieser erklärte mir: Ich weiß, ihr alten Großväter seid noch gut, hinter dem Ofen zu sitzen, Pfeife anrauchen und höchstens noch die kleinen Kinder in der Wiege zu schaukeln, aber nicht hierher auf die Grube und noch dazu unter Tage! Ich habe volles Verständnis dafür, aber was soll ich nun mit euch machen? Jetzt eben habe ich von der Direktion den Auftrag erhalten, unter keinen Umständen einen Internierten von unter Tage auf ober Tage zur Versetzung [zu] schreiben. — Er hat mir das Schreiben vorgelesen und trotzdem noch versucht, mich nach ober Tage zu versetzen. Es ist auch gelungen, ich wurde ober Tage als Aushilfe beim Gärtner des Betriebsleiters zugeteilt. Bemerke noch, daß diese Beschäftigung ein internierter Arzt, Dr. Sliwka, gebürtig aus Buslawitz, der vor kurzem entlassen war, innehatte. Der Gärtner, auch ein vernünftiger Mann, hat mich sehr gut behandelt.

Seit Neujahr haben Vernehmungen der Internierten durch den Richter Dr. Palla aus Hultschin, der zweimal in der Woche auf der Grube erschien, eingesetzt; da den meisten nichts Straffälliges nachgewiesen werden konnte, sind viele nach und nach entlassen worden. Mehrere wurden aber vor das Volksgericht Troppau geschleppt und auch bis [zu] 15 Jahren Kerker verurteilt. Ganz besonders scharf ging man gegen frühere Angehörige zum Freikorps vor1.

Meine Entlassung erfolgte im März 1946.

Anschließend schildert der Vf. den Hergang der Ausweisung im Mai-Juni 2. 1946


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