a) Umsiedlungspläne und -maßnahmen

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Am 6. 10. 1939 hielt Hitler seine aufsehenerregende Rede, in der er den zwischenstaatlich organisierten Bevölkerungsaustausch als Mittel einer Politik empfahl, die die Nationalitätenkonflikte beseitigen und eine "neue Ordnung der ethnographischen Verhältnisse" in Europa herbeiführen sollte 1 . Sehr bald ließen u. a. 2 auch jugoslawische Regierungsstellen deutlich ihr Interesse an einem deutsch-jugoslawischen Minderheitentransfer durchblicken, der aber in Berlin einstweilen auf wenig Gegenliebe traf. Die Abneigung der alteingesessenen donauschwäbischen Bevölkerung, die sich wegen der kursierenden Umsiedlungsgcrüchte stark beunruhigt zeigte, veranlaßte die Deutsche Gesandtschaft in Belgrad, im "Deutschen Volksblatt" eine amtliche Erklärung zu veröffentlichen, "daß die Umsiedlungsaktion für Jugo-


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slawien nicht aktuell sei" 3 . Auf Grund der deutschen Zurückhaltung zu dieser Zeit haben sich dann Anfang 1940 die Erörterungen über solche Pläne im Sande verlaufen.

Als der Jugoslawienfeldzug beendet war, wurden zuerst nichtdeutsche Nationalitäten des ehemaligen südslawischen Staates gewaltsam verpflanzt. Nach der Annexion des nördlichen Sloweniens durch das Deutsche Reich wurden sogleich umfassende Pläne für die Aussiedlung von Slowenen ausgearbeitet, von denen ursprünglich sogleich 260 000 in Restserbien und in Kroatien untergebracht werden sollten 4 . Wegen der dort auftauchenden Unterbringungsschwierigkeiten geriet die Zwangsverschickung jedoch ins Stocken, obschon bis Ende September 1941 immerhin ca. 26 000 Slowenen allein in den "Unabhängigen Staat Kroatien" abgeschoben wurden 5 . Inzwischen hatte aber in den Kreisen des SS-Rasse- und Siedlungs-Hauptamtes die Auffassung an Boden gewonnen, daß ein gewisser Prozentsatz der Slowenen "eindeutschungsfähig" sei. Die slowenische Bevölkerung wurde daraufhin je nach "arischen Merkmalen" in vier Rassekategorien eingeteilt, von denen nur die Gruppe IV als "unerwünscht'" galt 6 . Unter der Leitung des SS-Oberführers Hintze wurden dann bis zum Dezember 1941 schon ca. 35 000 Slowenen aus dem Gebiet südlich und aus nur wenigen Gemeinden nördlich der Sawe in die Lager der VOMI im "Altreich" verschickt, um von dort in die annektierten Ostgebiete transportiert und auf Siedlerstellen angesetzt zu werden, nachdem sie als "Staatsangehörige auf Widerruf" eingebürgert worden waren 7 . Genaue Zahlen über diese Zwangsverpflanzungen von Tausenden von Slowenen, der sog. "Windischen", lassen sich z. Z. nicht anführen. Das Motiv der "Evakuierungsmaßnahmen" ist jedoch mit zynischer Offenheit eingestanden worden: "die verbleibende Bevölkerung" nämlich müsse "regermanisiert" werden, wobei es genüge, wenn ein Volksdeutscher "auf etwa dreißig" Slowenen komme 8 .

Gleichzeitig wurden 35 000 Slowenen und weitere 57 000 jugoslawische Staatsangehörige aus dem von Italien annektierten und besetzten Teil des Landes als Arbeiter nach Italien überführt 9 . Aus Bosnien zog man ca.


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14 000 Ungarn in den jüngst ungarisch gewordenen Teil der Batschka, während ca. 30 000 Ungarn Belgrad verließen und von Ungarn aufgenommen wurden. - Hatten sich noch kurz nach Beginn des Einmarschs der deutschen Truppen ca. 22 000 Juden, die jugoslawische Staatsbürger oder nach Jugoslawien geflohen waren, nach Ägypten oder in den Nahen Osten zu retten versucht, so wurden im Laufe der Jahre 1942/43 ca. 32 000 jugoslawische Juden in die Vernichtungslager des Generalgouvernements transportiert.

Durch die Zerschlagung des jugoslawischen Staates wurde der Nationalitätenhaß zwischen Serben und Kroaten besonders angefacht. Bis zum Oktober 1941 trieben die rücksichtslos vorgehenden Ustascha fast 120 000 Serben aus dem "Unabhängigen Staat Kroatien" über die Grenze nach Serbien 10 , zu denen später noch ca. 42 000 Serben aus der bulgarischen Zone hinzukamen. Es hätte nicht viel gefehlt, und das Vorgehen der ungarischen Behörden in der Batschka hätte ähnlich rigorose Formen einer Massenaustreibung angenommen. Ursprünglich bestand nämlich die ungarische Regierung in Berlin auf der kurzfristigen Ausweisung von ca. 150 000 Serben nach Rumpfserbien. Dies scheiterte am Widerspruch des deutschen Militärbefehlshabers Serbien und auch des Auswärtigen Amtes, da sich keine geordnete Unterbringung ermöglichen ließ 11 . Statt dessen schoben die Ungarn ca, 35 000 Serben 12 heimlich über die Grenze ab oder verfrachteten sie auf Kähne und luden sie nachts an den Donauufern zwischen der Grenze und Belgrad aus 13 . Ca. 12 000 Serben wurden in ungarischen Konzentrationslagern inhaftiert und in Gruppen allmählich nach Nedic-Serbien geschafft 14 , so daß sie wenigstens dem Serbenmassaker vom Januar 1942 entgingen.

Im Gegenschlag gegen die Serbenvertreibungen der Ustascha wies Restserbien Kroaten aus, im Sommer und Herbst 1941 ca. 12 000 15 . Die Zahl wuchs durch kroatische Flüchtlinge aus der bulgarischen Zone bald auf 70 000. Auch aus dem dem Großdeutschen Reich einverleibten slowenischen Gebiet Kärntens und der Steiermark wurden nach einem Vertrag mit dem "Unabhängigen Staat Kroatien" kroatische Volksangehörige in den kroati-

Eugene M. Kulischer, Europe on the move, New York 1948, S. 19 f., 78 ff., 106; G. Reitlinger, Die Endlösung, Berlin 1956, passim, und die in diesen Schriften errechneten Zahlenangaben.


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sehen Staat umgesiedelt 16 ; wenige Monate vorher hatte der deutsche Gesandte Kasche die Aussiedlung von ca. 15 000 prawoslawischen, mit den Partisanen sympathisierenden Kroaten vorgeschlagen, die in Lagern im ,,Altreich" interniert werden sollten 17 .

Selbst wenn man von den Abertausenden von sogenannten "Fremdarbeitern" absieht, die auch in Jugoslawien zur Arbeit im Reich zwangsverpflichtet wurden, ergibt schon dieser unvollständige Überblick, daß weit mehr als eine halbe Million jugoslawischer Staatsangehöriger der verschiedensten Nationalitäten zu Objekten willkürlicher Bevölkerungsverschiebungen gemacht wurde, die, wenn auch nicht immer von deutschen Dienststellen ausgeführt, so doch ohne ihre Billigung, ohne das von ihnen gegebene Vorbild oder die letztlich von ihnen geschaffene Bewegungsfreiheit schwerlich in diesem Umfang möglich gewesen wären. Vor diesem Hintergrund nimmt sich allerdings die Zahl von ca. 36 000 umgesiedelten Serbien-, Gottschee- und Bosniendeutschen vergleichsweise gering aus. Es hat indessen mehrere Pläne gegeben, deren Ausführung die Verpflanzung weit höherer Zahlen von Jugoslawiendeutschen mit sich gebracht hätte.

Kurz nach der Beendigung des Jugoslawienfeldzuges erklärte sich Hitler dem ungarischen Gesandten gegenüber bereit, die Volksdeutschen aus dem ungarisch gewordenen Murgebiet auszusiedeln, wozu es aber in den folgenden Jahren dann doch nicht kam 18 .

Die recht verschwommenen, im einzelnen noch völlig ungeklärten Vorstellungen von einem "Reichsgau Banat" 19 berührten sich mit Dr. Jankos Wünschen eines ausgedehnten "autonomen deutschen Gebietes um Belgrad" unter Einschluß ganz Ostsyrmiens 20 , dem Berliner Projekt einer neuen deutschen Militärgrenze einschließlich der "Reichsfestimg Belgrad" 21 oder gar den ungarischen Befürchtungen eines "deutschen Staates" an der Donau 22 . Er hätte sich bei phantasievoll-willkürlicher Grenzziehung (längs


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der Sawe, über Belgrad hinaus nach Nordosten, Siebenbürgen einschließend, dann durch die Batschka und die Schwäbische Türkei) entweder schlauchartig an das Reich anschließen oder als unmittelbar von ihm gelenkter deutscher Donaustaat errichten lassen. All diesen künstlichen und kurzlebigen Konstruktionen, wie sie seit dem April 1941 erwogen oder als Wunschträume geäußert wurden, wird man kein übermäßig großes Gewicht beimessen können. Außerhalb des Bereichs der grundsätzlich maßlosen nationalsozialistischen Expansionspolitik lagen sie jedoch keineswegs, und fraglos wären Umsiedlungen von Volksdeutschen in dieses donaudeutsche Staatsgebilde die Konsequenz gewesen. Ebenso steht es außer Zweifel, daß seil dem September 1942 Himmlers Pläne einer Gesamtumsiedlung des Kroatiendeutschtums doch schon der Verwirklichung näherrückten. Den Anstoß dazu 23 hatte im August 1942 der Befehl des Oberbefehlshabers Südost, Generaloberst Löhrs, an den "deutschen General in Agram", v. Glaise-Horstenau, gegeben, entgegen dem seit dem Mai 1942 fixierten Ausschließlichkeitsanspruch der Waffen-SS auf kroatiendeutsche Rekruten, weitere Volksdeutsche zum Dienst in kroatischen Regimentern heranzuziehen. Ehe noch v. Glaise-Horstenau wegen dieses Vorhabens die Verbindung mit dem Agramer Gesandten Kasche aufgenommen hatte, erfuhr Himmler von dieser gegen seine Waffen-SS gerichteten Aktion und gab, um mit einem Radikalmittel die weitere Störung seiner Kreise zu verhindern, sogleich der VOMI und dem SS-Stabshauptamt den Befehl, "die gesamten Volksdeutschen aus Kroatien auszusiedeln" 24 . Mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer Absprache mit dem Auswärtigen Amt erreichte der Leiter des SS-Führungshauptamtes, Berger, zunächst einen Aufschub. In entschiedenen Worten erklärte sodann das Auswärtige Amt, daß die "Aussiedlung . . . technisch und politisch zur Zeit indiskutabel" sei 25 , nachdem auch der Gesandte Kasche in seiner erbetenen Stellungnahme die "Gesamtumsiedlung" zwar für "grundsätzlich bejahenswert" hielt, von ihrer Durchführung während des Krieges aber nachdrücklich abriet 26 . Himmler nahm den Rat an, seinen Plan nicht sogleich auszuführen, verzichtete jedoch


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keineswegs endgültig auf ihn, sondern trachtete danach, ihn stufenweise zu verwirklichen. Schon am 22. 1. 1943 beauftragte er den Leiter der VOMI, mit dem Auswärtigen Amt die Aussiedlung der Kroatiendeutschen mit Ausnahme der syrmischen Siedlungen, die Anschluß an das deutsche Banat besäßen, zu erörtern 27 . In erster Linie sollten "die Deutschen aus Westslawonien" und aus den bei der Bosnienumsiedlung ausgesparten Dörfern 28 , in einer zweiten Aktion solle das Deutschtum aus Mittelslawonien noch im Jahre 1943 in den Distrikt Lublin transportiert werden 29 . Weder das Auswärtige Amt noch die VOMI hielten die Umsiedlung unter den Kriegsbedingungen für zweckmäßig 30 . Für diese ablehnende Haltung, die sich zudem auf das offene Widerstreben der kroatischen Regierung berufen konnte 31 , wurde auch der bis dahin Zurückhaltung wahrende Ribbentrop gewonnen 32 . Mit der Konzession, daß allerdings eine "interne Umsiedlung" aus Westslawonien nach Syrmien "zur stärkeren Durchsetzung des Landes mit Deutschen" gutgeheißen werde, wurde Himmler zu einer abermaligen Verschiebung bestimmt 33 . Wahrscheinlich steht die frühzeitige Evakuierung der Deutschen in Westslawonien nach Syrmien seit Anfang 1944 im Zusammenhang mit diesem informellen Stillhalteabkommen und wird als verspätete Realisierung eines Teils der SS-Umsiedlungspläne aufgefaßt werden können 34 .

Diese Pläne beschränkten sich jedoch nicht nur auf das Deutschtum in Kroatien. Die Schwierigkeiten, die im Zusammenhang mit der ersten Werbungsaktion der Waffen-SS in Ungarn entstanden, haben vielmehr, wie schon erwähnt 35 , das Motiv für weitere Umsiedlungspläne abgegeben, die das Deutschtum der Batschka und Baranja unmittelbar in Mitleidenschaft zu ziehen trachteten. Um die SS-Freiwilligen und ihre Angehörigen, die durch den Wehrdienst der Männer zwar die ungarische Staatsangehörigkeit verloren, die deutsche aber nicht erhalten hatten, daher auch von Himmler persönlich direkt als "staatenlos" bezeichnet wurden, aus ihrem rechtlich und praktisch unhaltbaren Schwebezustand zu befreien, schlug Himmler dem Auswärtigen Amt ihre Umsiedlung, damit auch ihre Einbürgerung ins Reich vor 36 . Dieses Ansinnen traf jedoch dort auf starke Bedenken, da die


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Unruhe, welche eine Umsiedlung in die ungarndeutsche Volksgruppe hineintragen werde, und die Unterstützung, die durch eine solche Maßnahme den Gegnern des VDU - "und dies ist die weitaus größte Zahl der Deutschstämmigen in Ungarn" - zuteil werde 37 , die Vorteile mehr als wettmache. Obschon Ribbentrop dem Vorhaben Himmlers ursprünglich dennoch zuneigte 38 , beugte er sich schließlich den gleichlautenden Gegenargumenten, die von der deutschen Gesandtschaft in Budapest und der Volksgruppenführung, zuletzt auch während einer Besprechung mit dem Gesandten v. Jagow und Dr. Basch in Berlin, geltend gemacht wurden 39 . In der Zwischenzeit waren diese Pläne offensichtlich auch zu Ohren Hitlers gekommen, der bei dieser Gelegenheit seine Absicht bekräftigte, "die Volksdeutschen aus Rumänien und Ungarn zurückzusiedeln, gleichgültig, ob die Gastländer dies wünschten oder nicht. Hierdurch würde ein ewiges Element der Streitigkeiten beseitigt" 40 . Vorläufig aber scheiterten die Absichten Hitlers an der ablehnenden Haltung des Auswärtigen Amtes, der Volksgruppe und an der Überzeugungskraft der von ihnen vorgebrachten politischen und technischen Gegengründe.

Im April 1943 tauchte die ungarische Umsiedlungsfrage bei Besprechungen zwischen Hitler und v. Horthy erneut auf. Für das ungarische Zugeständnis, die in der Honved dienenden Volksdeutschen für die Waffen-SS freizugeben, erklärte sich Hitler mit einer Umsiedlung der Waffen-SS-Angehörigen mit ihren Familien einverstanden 41 . Das Auswärtige Amt konnte gleichwohl seine Abneigung gegen ein "festes Aussiedlungsabkommen"' nicht verhehlen, da der Eintritt in die Waffen-SS "eine spätere Umsiedlung" nicht präjudizieren dürfe 42 . Es empfahl Ribbentrop, die Frage dilatorisch zu behandeln; tatsächlich wurde die Budapester Gesandtschaft instruiert, einer Vereinbarung mit der ungarischen Regierung auszuweichen 43 , die bis Kriegsende auch nicht mehr zustande kam.