3. Die Auflösung der Lager im Jahre 1948 und die Überführung der Internierten in ein "vertragliches Arbeitsverhältnis"; die Familienzusammenführung; die Deutschen in der FVR Jugoslawien.

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Seit dem Ende des Jahres 1947 begann eine neue Phase in der Behandlung der internierten Volksdeutschen. Die bis zum Dezember 1947 geduldete Fluchtbewegung aus den Lagern wurde unterbunden, die Grenze wieder scharf bewacht. Viele jüngere arbeitsfähige Volksdeutsche wurden seither zur Arbeit in den Bergwerken verpflichtet, wo man sie anstelle der deutschen Kriegsgefangenen, deren Zahl sich durch Entlassungen stark vermindert hatte, unter Tage einsetzte 1 . Gleichzeitig wurden die Lager in der Woiwodina bis Ende März 1948 in mehreren Stufen aufgelöst. Zuerst wurden die noch Arbeitsfähigen gesondert erfaßt, den Staatsgütern und staatlichen Industriebetrieben zugewiesen 2 und von diesen in der Regel für zunächst drei Jahre in ein sogenanntes vertragliches Arbeitsverhältnis übernommen, das aber noch keineswegs volle Freiheit brachte. Ausgangsbeschränkungen, Meldepflicht und Polizeikontrollen gehörten zum Alltag der Entlassenen. Auf den Staatsgütern brachte man die


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Volksdeutschen in provisorisch errichteten Baracken, in Scheunen oder sogar in Ställen unter 3 . Die Verpflegung war spürbar besser als in den Lagern. Dafür wurde allerdings auch von der Entlohnung in Bargeld ein hohes Kostgeld abgezogen. Allmählich erhielten dann auch diese in der Landwirtschaft eingesetzten Deutschen Lebensmittel- und Textilkarten. Das durchweg freundliche Verhalten der andersnationalen Bevölkerung 4 und die sich schrittweise verbessernden Lebensbedingungen erlaubten ihnen, sich ihr Leben erträglicher zu machen und die Vorteile der neuen Arbeitsverfassung auszunutzen.

Schwierigeren Aufgaben sahen sich die Volksdeutschen gegenüber, die Industriebetrieben oder Bergwerken - z. B. dem Kupferbergwerk Bor oder den Kohlengruben in Serbien - zur Verfügung gestellt worden waren 5 . Wohnräume waren in den Städten ungleich schwerer zu finden als auf dem Lande. Oft mußten die Volksdeutschen bei entfernten Verwandten oder Bekannten monatelang unterschlüpfen, ehe sie ein Zimmer fanden. Die Arbeitsbedingungen, vor allem die nach sowjetrussischem Vorbild ausgebildeten Normen und das Stoßarbeitersystem, verlangten äußerste Anstrengung. Unter primitiven Lebensbedingungen suchten sich diese deutschen Arbeiter, z. T. mit ihren Angehörigen, durchzuschlagen und zu einer eigenen kleinen Wohnung zu kommen; die Frauen bemühten sich, als Köchinnen in Betriebskantinen oder Gasthäusern angestellt zu werden oder sonstwie eine Arbeitsstelle zu finden, um Lebensmittelkarten für Arbeitende zu erhalten 6 . Selbst dann noch waren sie darauf angewiesen, durch den blühenden Schwarzhandel die offizielle Zuteilung nach Karten eu ergänzen.

Während die Transporte der Arbeitsfähigen die Lager verließen, wurden auch die Arbeitsunfähigen gesammelt und nach Rudolfsgnad überführt. Dort strömten bis zur Auflösung des Lagers im März 1948 noch einmal Tausende von neuen Insassen zusammen: zumeist arbeitsunfähige Deutsche aus kleineren Ortslagern 7 . Die Belegschaft von Rudolfsgnad wurde dann wieder aufgeteilt. Die als arbeitsfähig Erklärten wurden zu neuer Tätigkeit auf Staatsgütern und in Fabriken verpflichtet, die Alten und Arbeitsunfähigen in das Lager Karlsdorf transportiert, das sich seit dem April 1948 zu einem großen Alters- und Krankenheim für Volksdeutsche entwickelte. Die zahlreichen elternlosen Kinder verbrachte man in staatliche Kinderheime. Außer in Karlsdorf wurde im Oktober 1948 noch in St. Georgen im Banat ein zweites Altersheim für Volksdeutsche eingerichtet 8 . Die pflegebedürftigen Alten und Kranken wurden dort im allgemeinen recht human behandelt und genossen ausreichende ärztliche Fürsorge.

Nach der Entlassung aus den Internierungslagern erhielten viele Volksdeutsche in der Woiwodina die Aufforderung, ihre Staatsbürgerschaft bei


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den jugoslawischen Behörden registrieren zu lassen 9 . Bisweilen wurde sogar die Entlassung von einer solchen Eingabe abhängig gemacht 10 . In manchen Fällen aber überging man stillschweigend die Vorschriften des Staatsangehörigkeitsgesetzes und behandelte die entlassenen Volksdeutschen ohne weitere Formalitäten als jugoslawische Staatsbürger 11 . Für die jungen Männer bedeutete das auch, daß sie von ihren Arbeitsstellen weg zum jugoslawischen Wehrdienst einberufen wurden und zum Teil ihre Dienstzeit voll ableisten mußten 12 . -

Seit der Begründung der Bundesrepublik Deutschland bemühten sich die meisten der zurückgebliebenen Jugoslawiendeutschen um eine Ausreisegenehmigung. Manchen von denen, die es abgelehnt hatten, die Staatsbürgerschaft zu beantragen, gelang es, relativ frühzeitig über Triest in einigen Sammeltransporten das Land zu verlassen 13 . Für die Mehrheit der Ausreisewilligen aber konnten erst nach dem Übergang der Paßhoheit von den alliierten auf deutsche Dienststellen im Oktober 1951 die rechtlichen Voraussetzungen für ihre Überführung in das Bundesgebiet geschaffen werden 14 . Allerdings waren mit Hilfe des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes schon seit dem April 1950 vorläufige Vereinbarungen des Deutschen mit dem Jugoslawischen Roten Kreuz zustande gekommen. Seit diesem Zeitpunkt wurde versucht, in erster Linie getrennt lebende Familien nach "Dringlichkeitsstufen" zusammenzuführen. Die jugoslawischen Behörden zögerten zuerst, solche Anträge zu bewilligen und machten geltend, die ausreisenden Volksdeutschen würden bei einem solchen Verfahren ihre jugoslawische Staatsangehörigkeit verlieren, ohne vorher eine andere Staatsangehörigkeit erworben zu haben; dies könne Jugoslawien als Signatarstaat der "Allgemeinen Deklaration der Menschenrechte" nicht zulassen. Hinter solchen Vorwänden mag sich die Absicht verborgen haben, nicht eine zu große Anzahl billiger Arbeitskräfte zu verlieren. Nach erneuten Verhandlungen zwischen Vertretern des Internationalen Roten Kreuzes in Genf und der jugoslawischen Rot-Kreuz-Organisation im Jahre 1952 begnügten sich die jugoslawischen Stellen schließlich mit der Erklärung, daß die ausreisenden Volksdeutschen in der Bundesrepublik nicht als Staatenlose, sondern wie Bundesbürger behandelt werden sollten.

Darauf konnte das Ausreiseprogramm auf eine breitere Grundlage gestellt werden. Die Jugoslawiendeutschen mußten die Zuzugsgenehmigung eines Landes der Bundesrepublik vorweisen und sich gegen eine Gebühr die Entlassung aus dem jugoslawischen Staatsverband bestätigen lassen, in den sie manchmal erst vor kurzen aufgenommen worden waren. Der Preis für den Verzicht auf die jugoslawische Staatsangehörigkeit betrug


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am Anfang 1500 Dinar pro Person, stieg aber sehr bald auf 12 000 Dinar 15 , d. h. auf die Höhe eines drei- bis vierfachen durchschnittlichen Monatsgehaltes an und erreichte damit eine für viele zunächst unerschwingliche Höhe, lag doch die Internierungszeit und der Neubeginn eigener Einkünfte nach völliger Mittellosigkeit erst zwei, drei Jahre zurück. Dennoch gelang es im Laufe der folgenden Jahre den meisten, die sich zur Ausreise entschlossen hatten und die erforderlichen Unterlagen beibringen konnten, Gebühren, Rechtsanwaltsspesen und Fahrkosten aufzubringen.

Allmählich wurde dann das Programm der Familienzusammenführung ergänzt. Anträge von Volksdeutschen, die die Zugehörigkeit zur deutschen Wehrmacht oder den Aufenthalt in einem Internierungslager glaubhaft nachzuweisen vermochten, wurden jetzt von deutscher Seite berücksichtigt. Seit 1956 war das Verfahren soweit erleichtert, daß es für die Überführung in die Bundesrepublik genügte, für die deutsche Behörden den Nachweis der deutschen Volkszugehörigkeit (§ 6 des Bundesvertriebenengesetzes vom 13. 5. 1953) und für Jugoslawien die Bestätigung des künftigen Rechtsstatus von deutscher Seite durch eine Gleichstellungsbescheinigung zu erbringen. Daraufhin wurden die Antragsteller aus dem jugoslawischen Staatsverband entlassen. Von 1952 bis 1955 stieg die Anzahl der in die Bundesrepublik Deutschland übernommenen sogenannten "deutschen Aussiedler" aus der FVR Jugoslawien auf 11 839 im Jahre 1955 an und sank dann langsam ab. Im Jahre 1960 war sie ungefähr wieder auf den Stand von 1952 zurückgegangen 16 .

Nach der jugoslawischen Volkszählung vom 31. 3. 1953 wurden noch ca. 62 000 Volksdeutsche in der FVR Jugoslawien gezählt. Davon entfielen auf die Woiwodina 35 000, auf Altserbien 13 000, auf Kroatien 11 000, auf Slawonien 1000, auf Bosnien-Herzegowina 1000; der Rest von 1000 verteilte sich auf die übrigen Landesteile 17 . Bis zu diesem Zeitpunkt (31. 3. 1953) waren 9016 Volksdeutsche als Aussiedler in die Bundesrepublik auf-


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genommen worden 18 . Da seit dem 31. 3. 1953 bis Ende 1960 53298 Aussiedlern die Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland gestattet wurde, hat die überwiegende Mehrheit der im Jahre 1944 im Lande verbliebenen Jugoslawiendeutschen, soweit sie die Verfolgungen und Entbehrungen der ersten Nachkriegsjahre überstanden hatten, ihre ihnen entfremdete Heimat verlassen. Zahlreiche z. Zt. bearbeitete Anträge auf Ausreise deuten darauf hin, daß auch von den noch irf Jugoslawien wohnenden Deutschen, die sich nach der jugoslawischen Statistik auf ca. 10 000 beziffern müssen, viele das Land zu verlassen beabsichtigen. Im Gegensatz zu Rumänien und zu Ungarn haben Evakuierung, Flucht, Massenverluste in der Internierungszeit, verschleierter Abschub und schließlich der seit 1950 im Gange befindliche "Transfer" dazu geführt, daß das Deutschtum in der FVR Jugoslawien so gut wie vollständig aus dem Lande verschwunden ist.

Präzise Angaben über die noch in Jugoslawien in der Zerstreuung lebenden Deutschen lassen sich nicht machen. Sie wohnen seit der Arbeitsverpflichtung im Jahre 1948 auf Staatsgüter und in Industriebetriebe jeweils dort, wo sie im System der staatlichen Verwaltungswirtschaft ihren Platz angewiesen erhielten. Die Rückkehr in die von Neusiedlern besetzten Heimatdörfer ist so gut wie ausgeschlossen, auch die ganz wenigen Deutschen, die zunächst, z. B. wegen partisanenfreundlicher Einstellung, noch in den ehemals donauschwäbischen Siedlungen geduldet wurden, sind im Laufe der Zeit verdrängt worden 19 . Die völlige Entwurzelung und Heimatlosigkeit im Lande ist einer der wesentlichen Gründe, weshalb die Volksdeutschen unter Ausnutzung aller Möglichkeiten dem Leben in Jugoslawien zu entrinnen suchen.

Unter diesen Bedingungen kann von einer deutschen Volksgruppe keine Rede mehr sein. Die Deutschen sind auch keine staatsrechtlich anerkannte Minderheit, wie z. B. die Madjaren, Albaner, Slowaken, Rumänen und Skipetaren, so daß sie auch nicht im System der kommunistischen Nationalitätenpolitik ihre nationalkulturelle Eigenart bewahren können 20 . Einige Nachrichten deuten zwar daraufhin, daß ihnen gelegentlich gewisse kulturelle Rechte gewährt werden. So soll an einigen Schulen der Woiwodina 1952 wieder Deutschunterricht eingeführt worden sein, den 17 Volksdeutsche, am Seminar in Subotica ausgebildete Lehrer erteilten 21 . Da aber seither nahezu 85% der 1953 gezählten Volksdeutschen in die Bundesrepublik übergeführt worden sind, ist es fraglich, ob solche Einrichtungen noch bestehen oder wie lange sie noch bestehen werden. Im öffentlichen Leben der FVR Jugoslawien spielen die Deutschen keine Rolle mehr und entbehren im Alltag häufig der vollen tatsächlichen Gleichstellung mit den andersnationalem Staatsbürgern 22 . Da unter solchen Umständen die Ausreise in die Bundesrepublik das Ziel für die meisten der noch in Jugoslawien lebenden Volksdeutschen bleibt, läßt sich der Zeitpunkt absehen, wo es ein Deutschtum in Jugoslawien nicht mehr geben wird.


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