Nr. 4: Die Ereignisse in der deutschen Siedlung Schutzberg in Bosnien von April 1941 bis zur Umsiedlung der deutschen Bevölkerung im November 1942.

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Bericht des Pfarrers Ferdinand Sommer ans Schntzberg (Glogovac), Bezirk Prnjavor in Bosnien.

Abschrift (vom Vf. durchkorrigiert und bestätigt), Frühjahr 1958, 178 Seiten, mschr. Teilabdruck 1.

In seiner Darstellung der Geschichte Schutzbergs berichtet der Vf., der von 1920-1942 Pfarrer der evangelischen Gemeinde war, über das Schicksal der deutschen Siedlung seit ihrer Gründung (1895) im versumpften Waldgebiet des Ukrinatals (Ukrinski Lug) und der Verlegung auf den


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Höhenrücken Glogovac (1902/03) in ihrer durch die Ungunst der Lage und verheerende Unwetter bedrohten Entwicklung bis zu ihrer Auflösung durch die deutschen Umsiedlungen im Zweiten Weltkrieg.

Der deutsche Siedler in Schutzberg und anderwärts war im Durchschnitt weder Held noch Schwächling, man darf ihn weder verhimmeln noch verwerfen. Genauso wie man nach dem Tun und Treiben eines einzelnen nicht ein ganzes Volk beurteilen darf, so darf dies auch nicht in einer Siedlung geschehen. In keiner Richtung. In einer Siedlung deutscher Menschen im anderssprachigen Gebiet wird gelacht und geweint, geschuftet und gefaulenzt, gibt es ehrliche und unehrliche Leute, Heiliges und Unheiliges. Ein Urteil über die Siedlung und über die Siedler in einem Satz ist immer verfehlt, ganz gleich ob es aus guter oder böser Absicht kommt.

Schutzberg liegt so weit von den deutschen Siedlungen Bosniens und denen ganz Jugoslawiens entfernt, daß es zu keiner Verbindung kommen konnte, kein Austausch von Erfahrungen, Gedanken und Erlebnissen möglich war. Darin lagen manchmal Vorteile, meistens wirkte sich aber diese Abgeschlossenheit nachteilig aus. Die Vereinsamung läßt das Gefühl des Vergessenseins und der Ohnmacht aufkommen. In der Einsamkeit konnte die Tatsache des Verbundenseins mit einer großen Volksgemeinschaft auf Gedeih und Verderb kaum fördernd oder hemmend wirken. Der Siedler lebte sein einsames deutsches Leben, hielt am Überlieferten fest und ließ nicht davon. Die Abwehreinstellung gegen Fremdes lag ihm schon im Blute. Angriffe auf Volkstum, Sitte, Herkommen und Glauben zeitigten stets eine stärkere Widerstandskraft in ihm. "Das ist eine Ehre für einen Deutschen", "das tut kein Deutscher" und "das ist eine Schande für einen Deutschen" waren nicht nur Redensarten, sondern tiefstes Volksbewußtsein. Erfreulicherweise erschöpfte es sich nicht darin. Gewiß, es wäre falsch, wenn man nicht sagen würde, daß es auch Dorfpolitik und Dorfpolitiker gab, daß es zu Reibereien und Streitereien kam. Das verhindert aber nicht, daß die Siedler in großen und letzten Fragen einig und geschlossen waren, sich gegenseitig halfen, soweit dies nur möglich war. Und in manchen Stunden stieg trotz aller Abgeschlossenheit dennoch der Gedanke empor an eine Verbundenheit mit etwas, das freilich ganz fern war, dem Siedler aber restlose Erfüllung bedeutete: Deutsche Heimat und deutsches Volk!

Die Verhältnisse im Lande, die Erfahrungen, die er machte, brachten es mit sich, daß der Siedler von Anfang an allen Menschen und Dingen ein großes Mißtrauen entgegenbringen mußte. Er erwartete nichts Gutes und Selbstloses von anderen Menschen, auch dann nicht, wenn zweifellos gutes und selbstloses Handeln vorlag. Irgendein Vorteil des Betreffenden war


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nach der Ansicht des Siedlers doch die Triebkraft seines Tuns. Wer einen Einblick in die Geschichte des Siedlers und der Siedlung hat, kann diese Einstellung gut verstehen. Der Siedler wurde oft, zu oft, wie man zu sagen pflegt, "hintenherum" geführt und kam oft, zu oft, nur durch Bestechung, auch bei staatlichen Stellen, zum Ziele. Das gehörte mit zu dem Schwersten und Verderblichsten.

Schutzbergs großer Nachteil war, daß die Siedler keine Überliefung mitbrachten, daß sie wohl Deutsche und Evangelische waren, aber aus den verschiedensten Gegenden kamen und kein festes Brauchtum mitbrachten. Bezeichnend war es, daß sich im Laufe der Jahre eine fast eigene deutsche Mundart bilden mußte, die pfälzisches, hessisches, schwäbisches und anderes Sprachgut enthält. Es bedurfte langer Jahre und vieler Heiraten, bis der Galizianer, der Zipser und der Batschkaer als "Stamm" allmählich zum Verschwinden kam und daraus der Schutzberger wurde 2 .

Eine gemeinsame Volkstracht konnte es natürlich nicht geben. Es kam zu einem Ausgleich, der für die Frau das langweilige dunkle Kleid mit dunklem Kopftuch und für den Mann ebenfalls den dunklen Anzug brachte. Die Jugend kleidete sich lichter, eine Tracht hatte sie nicht.

Bewußt wurde und wird das ganze Siedlerleben von der Kirche geführt und diese Führung als etwas Selbstverständliches anerkannt. Immer war sie die Stelle, an die sich der Siedler in allen Lebenslagen wandte. Und sie hat die schöne, aber auch überaus verantwortungsvolle Aufgabe, ihm in alltäglichen und letzten Fragen Erzieher und Führer zu sein.

Ehen mit Andersvölkischen und Andersgläubigen galten als etwas Verächtliches. Solche, die Volkstum und kirchliches Bekenntnis aufgaben, waren kaum unter uns. Sie wurden auch nie von den Siedlern verstanden oder entschuldigt. Das starke Festhalten an dem von den Vorfahren Übernommenen schuf die Abwehrstellung dem Fremden, der Umgebung gegenüber. Man konnte nicht aus seiner Haut fahren. Und ein Wechseln, ein Fallen auf eine Seite, die Gewinn, Sicherheit und andere Dinge zu bieten hatte, konnte nur als etwas angesehen werden, das zu verachten war.

Es wurde diese Einstellung des deutschen evangelischen Siedlers oft als Untreue dem Staate gegenüber angesehen und das Aufgehen in Sprache und Volkstum desselben gefordert und angestrebt. Die Erfüllung dieser Forderung hätte mit einer Untreue zur Vergangenheit begonnen, und es ist


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sicher, daß aus dieser nichts Gutes hätte kommen können. Nur unlautere Elemente können nach Bedarf und Forderung Farbe und Einstellung wechseln.

Das Verbleiben des Siedlers in Muttersprache und Mutterkirche schloß Treue zu dem Staate Jugoslawien nicht aus, sondern geradezu ein. Dem Staate gab der Siedler als Staatsbürger stets das, was er ihm zu geben schuldig war, oft sogar mehr. Vor einem Schuldigwerden des deutschen Siedlers in Bosnien wurde der Staat Jugoslawien diesem gegenüber schuldig. Doch wer kann hier über schuldig und nichtschuldig reden?

Schutzberg war eine reindeutsche Siedlung, in deren Mitte die serbische Schule, das serbische Pfarrhaus und die serbische Kirche standen. Diese Gebäude waren der Mittelpunkt der serbischen Ortschaft Štrpci, die aus lauter weit auseinanderliegenden Streuhöfen bestand. Im persönlichen Verkehr und in Fragen der Nachbarschaft war das Verhältnis zwischen den Serben und Deutschen im allgemeinen ein gutes. Zu Spannungen kam es, wie es auch zwischen Serben und Serben, Deutschen und Deutschen dazu kommen konnte.

Wenn aber die Deutschen als Ganzes, die Serben als Ganzes genommen werden, dann war das Verhältnis zueinander wesentlich anders. Die Deutschen standen kulturell und wirtschaftlich höher und besser als die Serben. Die Deutschen waren sich dessen sehr stark bewußt und ließen das die Serben spüren. Letztere merkten es ohnehin, konnten das als sogenanntes Staatsvolk ohne Neid und Haß nicht hinnehmen. Die Deutschen hatten einen übermäßig großen Landhunger; Land, das von serbischer Seite verkauft wurde, ging meistens in deutschen Besitz über. Man sah in dieser Tatsache eine große Gefahr und verfolgte die Angelegenheit mit großer Erbitterung. Das ging so weit, daß durch die Landesregierung der Verkauf von Land an Deutsche verboten wurde.

Mit einem Satz kann gesagt werden, daß man wohl den Deutschen im Lande in mancher Richtung brauchte, ihn aber nicht liebte, wohl auch nicht lieben konnte.

Die Deutschen waren von dem Gefühl beseelt, daß ihnen nicht immer das Recht wurde, wenn es ihnen zustand. Dieses Gefühl war manchmal falsch, manchmal richtig. Die Deutschen litten oft und schwer unter Weide-und Flurschaden durch die benachbarte Bevölkerung, auch durch Holzdiebstahl in ihrem Waldbesitz.

Ursache aller Spannungen mit staatlichen Stellen waren Auseinandersetzungen in Fragen des Minderheitenrechtes. Denn das Gesetz zum Schutz der Minderheiten wurde in Jugoslawien in der Form, in der es vorgesehen war, nicht verwirklicht. Und die Mächte, die den Minderheitenschutz proklamiert hatten, nahmen seine Nichterfüllung und selbst die offensichtlichste Vergewaltigung der Minderheiten stillschweigend hin.

Der Aufstieg und die Machtentfaltung Deutschlands nach 1933 machten sich bis in das entlegenste deutsche Siedlungsgebiet des Südostens bemerkbar. (Es soll hier nicht über die Art des Aufstieges und der Machtentfaltung


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gesprochen werden, sie soll nur festgestellt werden.) Man wagte nicht mehr, sich offen gegen die im Lande befindlichen Deutschen zu stellen, sondern machte diesen allerlei Zugeständnisse auf hartumstrittenen Gebieten des Lebens. Diese Zugeständnisse waren freilich nicht auf Freundschaft und Entgegenkommen gegründet, die Quelle dazu war ganz gewöhnliche Angst vor Deutschland. Der Druck von deutscher Seite tat noch ein übriges. Die Deutschen im Südosten Europas konnten die Erfüllung vieler Forderungen an die Staaten, in denen sie Heimatrecht hatten, eher mehr mit Zittern als Freude entgegennehmen. Erpreßtes Entgegenkommen und erzwungene Zugeständnisse sind sehr fraglicher Gewinn. Es tauchte selbst in den Tagen stärkster Machtentfaltung Deutschlands die Frage auf, wie sich wohl alles gestalten würde, wenn einmal der Tag käme, an dem es im Lande keine Angst mehr vor Deutschland geben würde.

Es kam aber bald noch viel dazu, das fragen machen mußte. Die bisherige völkische Führung im Südosten hatte durch ihren Einfluß mehr Bedeutung als irgendein Verein. Sie sah ihre Aufgaben ganz richtig mehr in der Abwehr als im Angriff. Nach der Übernahme der Staatsgewalt in Deutschland durch den Nationalsozialismus entbrannte im südosteuropäischen Räume zwischen den bestehenden Führungen der deutschen Volksgruppen und jüngeren vordrängenden Kräften ein Kampf um das Führungsrecht, der sehr oft beschämende Formen annahm. Der Ausgang dieser Auseinandersetzung war vorauszusehen, da die jüngeren Kräfte jedes Mittel zur Stärkung ihrer Position benutzten und sie auch von reichsdeutscher Seite unterstützt wurden. Sie rissen die Führung an sich, ohne die Mehrheit der Deutschen des Landes hinter sich zu haben. Sie bauten eine Organisation auf, die in Namen und Art der Parteiführung des Reiches ähnelte. Von vornherein konnte das nicht als Gewinn für das Deutschtum im Südostraum angesehen werden 3 .

Nach einigen Bemerkungen über die Umstellung in der Führung des Schwäbisch-Deutschen Kulturbundes und die neuen Einrichtungen der Volksgruppenorganisation gibt der Vf. einen Brief an die Leitung des Kulturbundes vom Februar 1939 wieder, worin er sich gegen Angriffe eines führenden Funktionärs gegen die evangelische Kirche in Bosnien verwahrte, und erwähnt weiter, daß die politischen Aktionen des Deutschen Reiches seit 1938 und vor allem der Krieg gegen Polen ein wachsendes Mißtrauen gegen die Deutschen im Lande zur Folge hatten.

In dieser unruhevollen Zeit kam das Gerücht auf, daß die Bosniendeutschen umgesiedelt, aus Bosnien in die Batschka gebracht werden sollten. Es war nicht neu, daß man eine Umsiedlung plante, aus der Erkenntnis heraus, daß auf die Dauer das Leben der Deutschen im Lande nicht tragbar sei. Schon 1917/18 hatten Pfarrer Oehler und dessen Bruder Dr. Oehler 4


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Verhandlungen in Kurland mit dem dortigen deutschen Adel aufgenommen und war eine "Kurlandgcsellschaft" gegründet worden, die ihren Sitz in Berlin hatte. Diese Gesellschaft verfügte über bedeutende Geldmittel und hatte auch die Zusicherung, daß die Reichsregierung die Durchführung des Planes unterstützen würde. Die Brüder Oehler waren wiederholt in Kurland, der deutsche Adel war zur großzügigen Abgabe von Boden bereit, die bosnischen Siedler erklärten sich bei einer Fühlungnahme mit einer Umsiedlung einverstanden. Der Ausgang des Krieges 1918 zerschlug diesen Plan 5 .

Den Vorschlag der deutschen Volksgruppenführung, in die Batschka umzusiedeln, lehnten die Bosniendeutschen mit der Begründung ab, daß es jetzt (1940) die ungünstigste Zeit für eine solche sei, sie auch nicht Knechte der Deutschen in der Batschka werden möchten. Die Begründung war wahrhaftig nicht aus der Luft gegriffen 6 .

Das folgende Kapitel der Geschichte Schutzbergs, so stellt der Vf. fest, könne er nur als Erlebnisbericht über Ereignisse schreiben, an denen er selbst unmittelbar teilgenommen und oft aus eigener Initiative handelnd mitgewirkt habe.

In den ersten Abschnitten seines Erlebnisberichtes schildert der Vf. zunächst einige Vorgänge in Schutzberg und seiner serbischen Umgebung, während des Krieges und der chaotischen Verhältnisse des jugoslawischen Zusammenbruchs und während der kurzen Besatzungszeit durch deutsche Truppen bis Ende Mai 1941; er erklärt wiederholt, daß auch nach Kriegsende immer wieder auftauchende Gerüchte über einen bevorstehenden Überfall auf Schutzberg, Schießereien in der Umgebung und die steigende Erregung der Serben nach Ausrufung des kroatischen Staates die deutsche Bevölkerung sehr beunruhigten, so daß die bisherigen Wachen, die schon zu Beginn der Unruhen aufgestellt worden waren, schließlich in ein bewaffnetes Schutzkorps aus allen männlichen Einwohnern zwischen 18 und


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60 Jahren umgewandelt werden mußten, das unter seinem Befehl stand, da ihm in einer Gemeindeversammlung für die Übergangszeit die volle Verantwortung für die Leitung der Gemeinde anvertraut worden war. Anschließend berichtet der Vf. über die Sonderstellung der deutschen Volksgruppe im Unabhängigen Staat Kroatien und fährt fort:

Von der Neuordnung wird auch Schutzberg getroffen. Die Siedlung ist keiner staatlichen Stelle mehr unterworfen, sondern der Führung der Volksgruppe der Deutschen, die natürlich ihre Weisungen von Berlin bekommt. Mit der Volksgruppenführung muß auch wegen der deutschen Schule in Schutzberg verhandelt werden. Eine rechte Not ist es mit dieser. Den Lehrer Koller, der nach Macht strebt, sich um alles kümmert, nur nicht um die Schule, muß ich auf das stärkste bekämpfen. Die Volksgruppenführung sieht schließlich auch ein, daß er nicht verwendbar ist. All den Fragen um seine Person macht Koller durch seine Flucht nach Ungarn ein Ende. Andere Lehrkräfte sind kaum zu haben, da man seit altersher Bosnien als eine Art Sibirien ansah und dort nicht Dienst tun wollte. Das trifft auch zu auf die deutschen Lehrkräfte, die man in deutsche Siedlungen in Bosnien versetzen will. Man hat überall große Worte über Volkstum und über die darauf stehende Verpflichtung. Wenn es aber darauf ankommt, ist Ablehnung die Antwort. - Der frühere Schulleiter, ein Kroate, will mir in den Schulbetrieb hineinreden und beruft sich dabei darauf, daß er der Schulleiter sei. Ich muß ihm erklären, daß er das gewesen sei und ich mir jede Einmischung in den Betrieb der deutschen Schule verbitte.

Im Frühjahr erfolgte die Aussaat; die notwendigen landwirtschaftlichen Arbeiten werden laufend getan. Eigentlich nebenher, da es nach wie vor Hauptsache ist, Tag und Nacht Wache zu stehen, für die Männer eine Belastung, die sie kaum dauernd tragen können. Alles hätte ein friedliches Gesicht, wenn wir nicht vorsichtshalber bei Tag und Nacht Wache halten müßten. Von der Außenwelt dringt nicht viel zu uns. Allerlei Volk strömt in das deutsche Dorf, kauft zu unglaublichen Preisen Lebensmittel. Teilweise für den eigenen Bedarf, teilweise für den Weiterverkauf. Auch Tauschhandel macht sich bemerkbar. Die meisten Einkäufer kommen aus Sarajevo. Kommt das Verkehrsauto an, dann wird das Dorf förmlich gestürmt. Das Geld im Dorf wird immer flüssiger. Das merkt man auch daran, daß Schutzberger plötzlich in größerer Anzahl ihre Kinder in die deutsche Lehrerbildungsanstalt in Esseg geben wollen. Das ist noch nie dagewesen.

Die serbische Umgebung bringt gleich uns die Ernte ein, die verhältnismäßig gut ist.

Die Spannung zwischen Serben und Kroaten ist groß. Erfahre ich aus meiner Umgebung, daß eine Gefahr für die Serben von kroatischer Seite droht, verhandle ich mit dem serbischen Pfarrer Babić, bitte und warne, fahre nach Prnjavor, verhandle mit den serbischen führenden Männern. Man hat volles Vertrauen zu mir. Es ist aber klar, daß die Serben gegen die Kroaten, wohl auch gegen uns Deutsche Dinge planen, die gerade nicht auf Wohlwollen gründen. Das alles gleicht einem Donnergrollen und muß Besorgnis erwecken.


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In dem jetzt an Ungarn gefallenen Teil Jugoslawiens war eine ganze Anzahl Lehrlinge und Arbeitskräfte, die aus Schutzberg stammen, in Stellung. Die meisten von ihnen sind jetzt hier eingetroffen, haben den weiten Weg zu Fuß zurückgelegt. Ihre Sachen mußten sie zurücklassen.

Kurz vor Beginn der Ernte kommt hier eine reichsdeutsche Kommission an, die um slawische und deutsche Arbeitskräfte wirbt. Eine ganze Anzahl Slawen hat sich anwerben lassen, allerdings nur wenig Serben, die auch wohl kaum den Anforderungen gewachsen wären. Aus Schutzberg haben sich 130 Arbeitskräfte, männliche und weibliche, anwerben lassen. Das Abgehen dieser 130 deutschen Menschen kann nur mit größter Besorgnis betrachtet werden. Das Schutzkorps wird durch den Abzug wehrfähiger Männer geschwächt und die Einbringung der Ernte gefährdet. Ich weise auf die Gefahren hin, die infolge des Einbruchs in unsere Arbeitskraft auftreten - es ist vergeblich.

Alle in das Reich gehenden Arbeiter, deutsche und slawische, sollen auf Abruf warten. Sie fahren aber schwarz ab, kommen dort auch schwarz an, ob sie auch schwarz arbeiten, das weiß ich nicht. Das ganze ist ein Einbruch in bestehende Ordnung und Gesetze, kann nicht helfend und aufbauend, sondern nur verhängnisvoll wirken, in jeder Richtung.

Ständig tauchen Pläne auf, nach welchen die Bosniendeutschen in andere deutsche Siedlungsgebiete umgesiedelt werden sollen . . .

Um allen Aufregungen bezüglich einer Umsiedlung innerhalb des südosteuropäischen Raumes ein Ende zu bereiten, geben alle bosnischen Ortsgruppen auf meine Veranlassung an alle deutschen amtlichen Stellen die Erklärung ab, daß sie jede Umsiedlung im Südostraume Europas ablehnen, aber mit einer Umsiedlung in das deutsche Reichsgebiet einverstanden wären.

Was die Umsiedlungsgerüchte für Notstände in Schutzberg schafften, läßt sich schwer sagen. Es gab Kauf- und Verkaufsgeschäfte aus bäuerlicher Schlauheit und Angst. Auch Land wurde umgesetzt. Das Schlimmste war wohl die innere Lösung von all dem, was dem einzelnen wertvoll'war und einer Heimatlosigkeit Raum gab, die beklagenswert war. Die Besten der Siedlung ließen sich aber nicht beirren, hielten sich treu an das, was ihnen Heimat war. Bedeutend ruhiger wurde es bezüglich der Frage der Umsiedlung erst, als auf mein Drängen am 18. Oktober 1941 der Volksgruppenführer Altgayer nach Schutzberg kam und erklärte, daß weder Absiedlungspläne bestanden hätten, noch bestehen und die bosnischen Siedlungen in bisheriger Form bleiben würden.

Das alles geschieht, während unauffällig nach und nach ein neuer Krieg ausbricht. - Ich bin der festen Überzeugung, daß deutsche Stellen diesen vor seinem Ausbruch hätten unterdrücken können. Ich mußte mich aber davon überzeugen, daß dieser Krieg nach dem Kriege von deutschen Stellen erwünscht war und gebilligt wurde. Das war nicht nur kurzsichtig und verhängnisvoll, sondern auch schauderhaft beschämend. Die Kroaten fühlten sich trotz ihrer "unabhängigen" Abhängigkeit als Herren der Lage den


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Serben gegenüber; diese wurden Freiwild. - Es kommen unerhörte Übergriffe vor, die die Serben zur Verzweiflung treiben müssen. Was sich zwischen diesen beiden Völkern abspielt, geht auf das Lastenkonto der Deutschen, - das in der Folge Schutzberg mit bezahlen mußte . . .

Mitte Juni 1941 werden im Lande die serbischen Pfarrer von kroatischen Behörden verhaftet und mit ihren Familien fortgebracht. Es gehört'zu dem Schmerzvollsten, daß ich den Abtransport unseres serbischen Pfarrers hilflos ansehen muß, der viel zu unserer Rettung beigetragen hat 7 , und ich ihn nicht schützen kann. Mit Frau und Kindern wird er auf ein Lastauto verladen, einige serbische Gemeindemitglieder stehen um den Wagen. "Gott schütze Euch" ist sein letzter Gruß an diese, und der Wagen rollt davon. Meine Eingaben an deutsche Stellen, die darauf hinweisen, was der Mann für uns getan hat, alles Bitten um seine Befreiung bringt mir nicht einmal eine Antwort, geschweige denn Abhilfe. - Vielleicht war der spätere Erlaß deutscher militärischer Stellen, man dürfe sich nicht für verhaftete Personen verwenden, die Antwort. - Die Schwester des serbischen Pfarrers mußte nicht mit. Da die Wohnungseinrichtung im serbischen Pfarrhaus durch die Kroaten gefährdet ist, bringt sie den wertvollsten Teil derselben auf mein Anerbieten in das deutsche Pfarrhaus. Wir bringen alles auf dem Kirchboden unter.

Die Ustaschen tauchen auch in unserer Umgebung auf und beginnen eine verhängnisvolle Rolle zu spielen. Zumeist ganz junge Burschen. Wenn sie sich in der Übermacht sicher fühlen, dann wüten sie gegen die Serben und terrorisieren sie mit teuflischer Hinterhältigkeit und Brutalität. Sie sind die ausführenden Organe des Agramer Regimes.

Es taucht im Winter 1941/42 plötzlich in Schutzberg eine abenteuerliche Gesellschaft auf, darunter auch Frauen. Schwer bewaffnetes fragwürdiges Gcsindel auf Schlitten. Schreiend und johlend durchziehen sie das Dorf, um angeblich bei den umwohnenden Serben nach Waffen zu suchen. Nachmittags kommt die Bande zurück mit einer großen Viehherde, die Schlitten mit geraubtem Gut beladen. Von der Beute wird zu Spottpreisen verkauft, was Käufer findet. Der Rest der Beute wird in die Kreisstadt Prnjavor gebracht. Durch den geraubten Alkohol, den man sich nicht versagt, kommt der errungene Sieg des Feldzuges gegen Wehrlose erst richtig in dem Bewußtsein der Sieger auf und verlangt nach weiterer Heldentat. Diese erfolgt in der serbisch-orthodoxen .Kirche in der Kreisstadt. Das Vieh wird in diese getrieben, einem schwarzen Ochsen wird ein Ornat umgehängt, zwei "fromme" Ustaschen stehen rechts und links des Ochsen mit brennenden Kerzen in der Hand, einer hält dem Ochsen das Liturgiebuch vor die Augen. - Es ist das nicht der erste Feldzug dieser Art in der Umgebung Schutzbergs, schon früher haben ähnliche Aktionen stattgefunden; die Serben wurden ausgeplündert, gefangengenommen und erschossen.

1. 2. 1942: In der Nacht vom 31. Januar auf den 1. Februar hört man in Schutzberg ein starkes Maschiuengewehrfeuer. Wir stellen fest, daß 17 Ser-


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ben, die vor kurzer Zeit hier verhaftet und nach Prnjavor gebracht worden waren, angeblich nach Derventa gebracht werden sollten. Unterwegs wollten die Serben nach Aussagen der Ustaschen flüchten, da mähte man sie mit Maschinengewehrfeuer nieder. Daß ausgerechnet an der Stelle, an der die Serben flüchten wollten, schon Maschinengewehre eingebaut waren, durch die sie getötet wurden, ist merkwürdig. - Zigeuner zogen die Leichen später vollständig aus, für die Kleider der Toten mußten sie diese am Straßenrand einscharren. Unter den Toten war auch unser früherer serbischer Gemeindenotär.

Die furchtbarste Aktion erfolgte am 7. 2. 1942: Gegen Mittag ziehen auf 60 Schlitten rund 100 Ustaschen in das Ukrinatal. Von dort hört man bald darauf eine starke Schießerei; wir glauben, daß es sich um einen heftigen Kampf zwischen Ustaschen und Serben handeln würde. Nachmittags ziehen die Ustaschen wieder durch Schutzberg, viel Rindvieh, Schweine, Schafe und Pferde mit sich führend, die Schlitten mit Getreide, Wolle, Fleisch, Geflügel und Schnapsfässern beladen. Sachen und Tiere werden zu Spottpreisen an Kaufwillige abgegeben. An unserem Gemeindeamt macht der Zug halt, man läßt uns wissen, daß man Serben erschossen habe, deren Beerdigung wir zu beaufsichtigen hätten. Diesen Auftrag lehnen wir natürlich ab. Als gefangene Serben haben sie mitgebracht: Mirko Todorovic, Lazar Stanković, Rajko Todorović, Ljubo Stokanović und dessen jüngeren Bruder. Sie beauftragen uns, die Genannten zu erschießen. Wir widersprechen nicht, um nicht das Leben der Gefangenen in Gefahr zu bringen und nehmen sie in Verwahrung. Nach dem Abzug der Ustaschen lassen wir sie frei, da uns alle bekannt und unverdächtig sind.

Tags darauf, den 8. Februar, wurde von uns das Gebiet der Aktion abgesucht und wurde von uns festgestellt: Die Aktion begann in Musa und ging über Genice nach Trnjani.

Der Besuch der Einzelhäuser ergab folgendes:

Haus des Gabro Elisković: 12 Tote, darunter 3 Frauen, 2 Mädchen im Alter zwischen 17 und 18 Jahren. 4 Kinder im Alter von drei Monaten aufwärts und 3 Männer. Die Toten wiesen neben Schußwunden auch Hieb- und Stichwunden auf. Anscheinend wurden sie vor dem Tode noch gequält. Angeblich soll es einer Frau noch gelungen sein, sich unter den Toten zu verstecken und nach dem Abzüge der Ustaschen zu flüchten.

Haus des Simon Dujaković: 7 Tote, darunter 3 tote Frauen, von denen eine hochschwanger war. Es wurde festgestellt, daß eine der Frauen vor ihrer Ermordung vergewaltigt wurde. Außerdem waren 3 Kinder im Alter zwischen fünf Monaten und drei Jahren ermordet. Dem kleinsten Kind war durch den Mund geschossen worden, eine Frau hatte einen Halsschnitt bekommen, den Hausvater hatte man durch einen Bauchquerschnitt getötet.

Haus des Stanko Elisković: 3 Tote, 2 Frauen und ein Kind, alles in einer Blutlache. Schweine hatte man in das Zimmer der Toten getrieben, welche die Leichen angefressen hatten.


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Auf dem Felde wurden erschossen von uns aufgefunden: Stanoja Stanić, Gabro Iliskovic, Marko Carić, Toma Cavić. Alle trugen blaue Flecken am Körper, sie wurden wohl vor dem Erschießen stark geschlagen.

In den Häusern war alles, was bei der Plünderung nicht mitgenommen wurde, kurz und klein geschlagen. Von einigen Serben wurde uns gesagt, daß man ihnen Geld geraubt habe. Solches taten die Ustaschen.

Soweit die Aufzeichnung, wie ich sie bei der Tatbestandsaufnahme machte. Wir machten Lichtbildaufnahmen; ich gab einen Bericht dazu. Unter größten Vorsichtsmaßregeln, damit nichts in kroatische Hände falle, gab ich den Bericht über diese Vorfälle an die Volksgruppenführung und an die deutsche diplomatische Vertretung in Agram weiter. Eine Antwort erfolgte nicht. Ich weiß aber, daß führende Männer über das Vorgehen der Ustaschen entsetzt waren und dieses auch aussprachen.

Frühjahr 1942: Es bildet sich nach und nach ein Belagerungsring um Schutzberg, er wird ständig stärker und enger. Die ihres Lebens bedrohten Serben verlassen ihre Häuser fluchtartig, bringen irgendwo ihre Familien unter, nehmen ihre Waffen - welcher Serbe in Bosnien ist ohne Waffen? - und gehen zu den Aufständischen über. Der Haß der Serben richtet sich nicht nur gegen die Kroaten, sondern noch mehr gegen das Deutsche Reich, unter dessen Oberherrschaft solches geschieht, und - gegen Schutzberg. Zuerst spielt sich der Kampf zwischen kroatischen und serbischen Siedlungsgebieten in unserer Gegend ab. Abend um Abend leuchtet der Himmel um uns brandrot auf. Mein kleines Schutzkorps ist mehr als überfordert, denn wir sind auf Selbstschutz angewiesen. Nach und nach wird der Belagerungsring so stark, daß wir nur noch die Straße nach Derventa benutzen können, und auch die ist alles andere denn sicher. Auf unsere Felder kommen wir nicht mehr, da sofort feindliche Kugeln pfeifen.

Einzigartig ist das Belagerungsheer. Es setzt sich aus zwei Gruppen zusammen, und zwar aus nationalen Serben und kommunistischen Titobanden. Beide stehen zueinander wie Feuer und Wasser, bekämpfen sich mit der Waffe, gemeinsam stehen sie aber gegen das deutsche Dorf, das sie umzingeln. Wo Titobanden stehen, da leuchtet Abend um Abend der blutrote Stern auf; wo nationale Serben stehen, ist es dunkel. Und wir in der belagerten Ortschaft stehen mit der Waffe in der Hand auf Posten, restlos zur Verteidigung gerüstet, auf den Angriff wartend. Als letzter Verteidigungsring ist wieder der um die Schutzkirche vorgesehen, in der Frauen und Kinder notfalls untergebracht werden sollen.

Neben der kirchlichen laufenden Arbeit liegt aber auch alles auf mir, was geschieht und was nicht geschieht. Ich habe eine große Anzahl treuer Helfer, im Schutzkorps stehen ernannte Unteroffiziere ihren Mann; die Beaufsichtigung und die Kontrolle bei Tag und Nacht liegt aber auf mir. Der Abwehrkampf ist nicht allein das, was mich beschäftigt. Da ist die Schulfrage, die Ernährungsfrage, das Beschaffen von Mangelware, die Hilfe für Notleidende und Kranke, die später einsetzende Flüchtlingsnot; alles verlangt Entscheidungen von mir, die über mein Wissen und Können gehen, aber es muß sein.


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Hätten die Kroaten die Serben nicht so grausam behandelt, dann hätten diese nicht fluchtartig Haus und Hof verlassen. Es wären dann nur die Titobanden zu bekämpfen gewesen. - Der Ring um uns ist natürlich nicht ganz dicht; eine Straße ist meistens frei, auch wenn sie nur unter Lebensgefahr zu benutzen ist. Das Quälende bei der Belagerung ist die Tatsache, daß ein Angriff auf das Dorf jeden Augenblick erfolgen kann und wir nicht so stark sind, ernsthaft Widerstand leisten zu können. Beruhigend kann nur wirken, daß die um uns befindlichen schwerbewaffneten Aufständischen sich sicher der Tatsache bewußt sind, daß ein überrennen der deutschen Gemeinde ein böses Strafgericht über sie bringen würde.

Ab Herbst 1941 kam dann auf mein Drängen bei der Volksgruppenführung in Esseg Verstärkung für unser Schutzkorps in Gestalt der Deutschen Mannschaft. In Schutzberg schwankte die Besatzung durch die Deutsche Mannschaft der Volksgruppenführung zwischen 10 und 50 Mann; es gab ununterbrorhen sehr kurzfristige Ablösungen. Die Männer Schutzbergs wurden in diese Mannschaft eingereiht; ich brauchte mich eigentlich nicht mehr um die Verteidigung zu kümmern. Diese Mannschaft bestand nicht aus ausgebildeten Soldaten und hatte kein Interesse an Schutzberg. Wir bekamen das immer wieder zu spüren und zu hören . ..

Den Wachdienst versieht weiterhin eigentlich nur die Schutzberger Mannschaft. Sie ist überfordert, übermüdet, sie weiß aber, um was es geht, und gehorcht. Nur selten gibt es ein Versagen bei einzelnen. Die in Schutzberg anwesende Deutsche Mannschaft kann nur als Bauernschreck für die Aufständischen angesehen werden. Es kommt zu starken Spannungen zwischen ihr und den Männern des Schutzberger Schutzkorps; hier entspannend zu wirken ist schwer. Schutzberg muß aber die Deutsche Mannschaft über sich ergehen lassen und dabei noch dankbar sein, daß sie da ist. ..

Es geschieht in der Umgebung Schutzbergs allerlei an Überfällen, Gefangennahme, Vergewaltigung und Prügeln bis zum Tode; wir sind bis jetzt bewahrt geblieben. Der Kreis Prnjavor, in welchem Schutzberg und die deutsch-katholische Siedlung sibovska liegen, wird außerdem von Serben, Kroaten, Türken, Ukrainern, Polen, Ungarn, Tschechen und Zigeunern bewohnt. Durch diese Völkermischung ist der Kreis Prnjavor eine Art Hexenkessel geworden, in dem zur Stunde alle gegen alle stehen. Politischen und persönlichen Gegensätzen ist eine wundervolle Gelegenheit zu einer Auseinandersetzung gegeben; sie erfolgt in der auf dem Balkan üblichen Form. Ich gebe zu, daß Gerüchte übertreiben, ich habe aber Augen, die sehen.

Der Ring um Schutzberg wird enger, unsere Felder können nicht mehr bearbeitet werden. Das Vieh darf nicht mehr auf die Weide. Das an 7 km lange Reihendorf ist mehr als gefährdet. Ich mache bei der Volksgruppenführung immer und immer wieder auf die Gefahr aufmerksam; leider muß ich den Eindruck gewinnen, daß die zuständigen Stellen uns nicht helfen können.

Gegen meinen Einspruch erfolgt am 5. November 1941 unter Führung eines aus Esseg abgesandten Offiziers ein Angriff der Deutschen Mannschaft


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und des Schutzkorps auf den Gegner, Richtung Ukrinatal. Während des Gefechtes, dessen Lärm bis in die Siedlung dringt, tauchen in dieser die schlimmsten Gerüchte über Verluste auf unserer Seite auf. Um mich sammelt sich eine große Anzahl aufgeregter Frauen und Mütter, deren Männer oder Söhne angeblich gefallen sind. Es sind für mich entsetzliche Stunden. Schließlich kommen unsere Männer zurück. Das Ergebnis des Unternehmens besteht darin: Auf der Gegenseite fiel der Anführer und eine größere Anzahl von Männern. Wir haben auch einen Verlust. Mein guter Johann Wahn bekam einen Kopfschuß und war sofort tot. Furchtbar ist das für die junge Frau mit ihren zwei Kindern und die greise Mutter des Gefallenen. Ich gehe in das Haus und stehe am Totenlager. Die Mutter des Toten fällt mir weinend um den Hals, hält mich fest und hilfesuchend umschlungen. Nebenbei steht die junge Frau des Gefallenen mit ihren zwei Kindern, die nichts von dem Geschehen begreifen können. Ich bin hilflos, kann auch nur weinen. Das Erlebnis gehört zu den schwersten dieser Zeit.

Ob dieser Angriff notwendig und richtig war, kann ich nicht beurteilen; die Folgen, die er haben wird, weiß ich auch nicht. - Weil mir nichts mehr sicher erscheint, lasse ich die standesamtlichen Kirchenbücher und die Abendmahlsgeräte nach Esseg bringen.

Die Zeit der Belagerung brachte ein Flüchtlingsproblem, das mir schwer und viel zu schaffen machte. Zuerst kamen die Streudeutschen aus dem Gebiete, das der Feind besetzt hatte; dann kamen Deutsche und Madjaren aus dem Nachbardorf Vučijak, einer ungarischen Siedlung in der Nachbarschaft Schutzbergs, welches die Titobanden besetzt hatten. Die Bewohner haben viel durch Beraubung, durch Mißhandlung erlitten, eine größere Anzahl Männer wurde ohne jegliche vorherige Untersuchung erschossen. Aber zuletzt gewährten die Titobanden den 600 Einwohnern doch freien Abzug. Dann kamen noch Polen, Ukrainer, Tschechen, Serben und Kroaten Schutz suchend, Herberge verlangend in das deutsche Dorf Schutzberg. Hier war zuerst einmal die Frage offen: Wer kommt als Feind, wer als Spion, wem dürfen wir vertrauen? Dann kam die Frage der Unterbringung. Das Flüchtlingsproblem löste sich nicht von selbst, es kam auf mich zu, ich mußte es zu lösen versuchen. Am schwierigsten wurden Fälle, in denen aus allzu klaren Gründen von Flüchtlingen oder Schutzbergern Vorschläge bezüglich der Unterbringung gemacht wurden. Hier gab es bei mir nur ein klares Nein. Es kam dann oft zwischen dem Antragsteller und mir zu heftigen Auseinandersetzungen. War der Antragsteller ein Schutzberger, dann sah ich ihn längere Zeit scharf an, er verstand mich ohne Worte, wurde rot und zog ab. - Ich nannte meine Einstellung in solchen Fällen "unbarmherzige Barmherzigkeit". Ich glaube, noch heute ist mir mancher Schutzberger dankbar, daß ich ihm nicht nachgegeben, ihn bewahrt habe. - Es kam zwischen Hausbesitzern und Einquartierten zu Auseinandersetzungen, die ich zu schlichten versuchte. Ganz fragwürdige Flüchtlinge ließ ich in der serbischen Schule lagermäßig unterbringen und beaufsichtigen.

Schutzberg hat sein deutsches Gesicht verloren! Alles ist ein Jammer und eine Gefahr. Ich bin besonders besorgt wegen Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten. - Im deutschen Dorfe hatten wir kaum solche. Wer


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Bosnien aber kennt, der weiß von der Verseuchung, die bis zu 80 Prozent der Bevölkerung und mehr in Besitz hat. - Zum Glück macht die Ernährung keine Schwierigkeiten, da die meisten Flüchtlinge Lebensmittel mitgebracht haben. Fehlen ihnen solche, dann wird von ihnen aus den in der Umgebung liegenden geräumten serbischen Häusern geholt, was dort noch vorhanden ist.

Meine Männer wünschen die Einreihung der Flüchtlinge in die Wachmannschaft, ich muß das entschieden ablehnen. Schließlich verstehen sie, daß das mehr Gefahr als Gewinn wäre.

Alle Vorstellungen bei der Volksgruppenführung und bei kroatischen Stellen, die Flüchtlinge in ein anderes Gebiet abzuberufen, haben keinen Erfolg. Zuletzt haben wir mindestens so viel Flüchtlinge im Dorfe wie ursprüngliche Einwohner. Die Wohnräume gleichen Warteräumen dritter Klasse der Eisenbahn. Bleibt der Zustand lange, dann kommen Läuse, Krätze, Flecktyphus und andere Krankheiten in das Dorf. Was wir an Seuchenabwehr tun können, das bedeutet kaum etwas. - Es macht sich außerdem das Zersetzende des unkontrollierbaren buntvölkischen Flüchtlingselementes breit.

Was niemand erreichen konnte, das bringen im April 1942 die slawischen Flüchtlinge selber fertig: sie räumen Schutzberg. Das ist ein großer Gewinn. Es taucht natürlich die Frage auf, warum diese Räumung so plötzlich und geschlossen erfolgt. Vielleicht liegt eine Weisung von auswärts vor und plant man etwas gegen uns. Für alle Fälle bitte ich bei der Volksgruppenführung um Verstärkung der Besatzung und erhalte sie auch.

Die Serben der Umgebung, die geflüchtet waren, kehren wieder in ihre leeren und ausgeraubten Häuser zurück. Die Kroaten beginnen mit einer starken Werbung für deren Übertritt zur katholischen Kirche. Man muß in dieser Werbung mehr eine nationale als kirchliche sehen. Wechselt der Serbe von seiner orthodoxen Kirche zur katholischen hinüber, dann ist er nicht mehr Serbe, er wird Kroate. Diese Werbeaktion soll wohl dem Serbentum im Unabhängigen Staate Kroatien ein Ende bereiten und ein einheitliches Staatsvolk schaffen . . . Serbische Dörfer und Einzelpersonen, die katholisch werden, sind sofort jeder Gefahr und Verfolgung enthoben; sie sind jetzt Kroaten. Wird der freiwillige Übertritt abgelehnt, dann setzen die Ustaschen die Werbung mit anderen Mitteln fort. Auch mit Feuer und Schwert. Dörfer in unserer Umgebung haben den Wechsel des Bekenntnisses nicht mitgemacht, aber Einzelpersonen der Bezirksstadt Prnjavor. Höhnisch erklären sie mir, daß sie keine Serben mehr wären, sondern Kroaten. Man spürt aber, daß sie innerlich mehr Serben sind, als sie es je waren.

Es kommt im Frühjahr 1942 eine große Abordnung der Serben aus der Umgebung Schutzbergs zu mir. Die meisten Männer der Abordnung kenne ich. Mir erklären diese Männer, daß sie und die anderen Serben der Umgebung Schutzbergs, wenn sie ihren Glauben schon wechseln müßten, lieber den deutschen (lies evangelischen) als den kroatischen (lies katholischen) Glauben annehmen möchten. Sie bitten mich deshalb um geschlossene Aufnahme der Serben in die evangelische Kirche. Dieses Ansuchen bewegt mich,


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macht mir zu schaffen, läßt Gedanken aufstehen und wieder verwerfen. In was für Not können doch Menschen kommen in Kriegszeiten. Und welches Spiel mit Gewissens- und Glaubensfragen!

ErscJiüttert und durch dies Ansuchen selbst in Gewissensnot gebracht, erklärt der Vf. der Abordnung, daß es nicht um irgendeinen Glaubentwechsel der Serben ginge, sondern um den Übertritt zum katholischen (kroatischen) Bekenntnis, ermähnte sie, in ihrem Glauben zu beharren, und versprach, sein möglichstes zum Schütze der serbischen orthodoxen Einwohner des Bezirks zu tun.

Im folgenden berichtet der Vf., daß ihn neben der Sorge um die Sicherung des Ortes und die Regelung verschiedenster Angelegenheiten vor allem auch die Betreuung der Kinder und die Schulfrage beschäftigten, wobei es auch zu Auseinandersetzungen mit der Bezirksleiterin der Frauenschaft und mit der Volksgruppenführung kam.

Ich kann nicht begreifen, daß die deutsche Volksgruppenführung Dinge einleiten und durchführen will, die ich ruhigeren Zeiten überlassen würde. Bauernführer, Blockleiter, Jugendgruppe, Steueramt, Appelle, Winterhilfswerk usw. sind Angelegenheiten, die heute nicht sein müßten. Alles das wird aber als dringlich genommen. Der Schutzberger, der mit einer dieser Angelegenheiten beauftragt wird, schiebt die Sache ab, da er sie nicht führen kann oder will, schließlich landet sie bei mir. Ich erledige alles in eigener Übersetzung. Wissen möchte ich nur, ob das alles auf Drängen Berlins gemacht wird oder ob die Volksgruppenführung in Kroatien das aus eigenem Antrieb tut.

Mehr Sorgen machen mir andere Dinge. Die Beschaffung von Mangelwaren ist äußerst schwer. Durch die Volksgruppenführung erhalten wir manchmal Petroleum, Zucker und Salz, öfters machen wir dann notgedrungen auch "in schwarz"' und tauschen. Wir müssen einfach diese Bedarfsgüter haben. Zum Teil geht das über mich, noch mehr aber in Regie des einzelnen. Die Preise für Lebensmittel und andere Bedarfsartikel sind sehr hoch. Schuhe und Kleidung fehlen sehr, da ist aber nichts zu ändern.

Da der Anbau sehr eingeschränkt wurde - 103 Hektar Land sind vom Feinde besetzt, wir können nicht auf die Felder, ohne beschossen zu werden -, droht auch noch der Hunger. Ich habe mit der deutschen Volksgruppenführung viel verhandelt, Weizen ist in Aussicht gestellt. Vorsichtshalber soll er aber nicht im Orte, sondern auswärts gelagert werden. Angesichts der Ernährungslage verbiete ich jeden Umsatz von Lebensmitteln. Das ist aber leichter verboten, als durchgeführt, auch dann noch, als ein Stab von Helfern mir zur Seite steht. In Tagen, die ausgefüllt sind mit Sorgen um die Ernährung des Ortes und der Besatzung, erscheint ein Herr vom Kreisamt Prnjavor, ersucht um Lieferung von Großvieh für die Ernährung der kroatischen Bevölkerung der Stadt. Ich weiß von planlosem Rauben von Vieh und dessen Verschachern. Ich weiß, daß bei einer Ablieferung von Vieh dieses nicht in die Magen derer wandert, die hungrig sind, sondern ganz woanders hin. Die Verwaltungsbehörden sind gewissenlos, und so muß ich dem Vertreter des Kreisamtes erklären, daß ich sein


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Ansuchen zur Kenntnis nehme, meinen Schutzbergern aber verbieten müsse, an die Kreisverwaltung Vieh abzuliefern. Er zog dann ab.

Zeitweise kann man nach Sarajevo mit der Eisenbahn fahren. Ist das der Fall, dann kommen allerlei Deutsche von dort, um hier Lebensmittel zu hamstern. In Sarajevo herrscht tatsächlich Hunger. Manchmal fahren auch Schutzberger dorthin. Um die Bahn benutzen zu dürfen, brauchen sie einen Ausweis von mir; auch die Erlaubnis zur Mitnahme von Lebensmitteln muß von mir gegeben werden. Letztere gebe ich nur in ganz klaren Fällen, nur, wenn ich ziemlich sicher bin, daß daraus kein Schwarzhandel wird . . .

Jeder Deutsche im Staate bekommt von der Volksgruppenführung einen persönlichen Ausweis, für die Schutzberger muß ich dieselben fertigmachen. Es melden sich nun viele Andersvölkische bei mir, die irgendwie Verbindung mit Deutscheu haben und jetzt zur deutschen Volksgruppe gehören wollen. Man erhofft sich daraus Vorteile. Ich kann in der Aufnahme Andersvölkischer in die deutsche Volksgruppe keinen Gewinn für das deutsche Volk erblicken und lehne entschieden ab.

Eine ganze Anzahl junger Schutzberger, die vor einiger Zeit als Arbeitskräfte nach Deutschland gingen, wurden dort 1942 zwangsweise in das Heer oder in die Waffen-SS als unfreiwillige Freiwillige eingereiht. Deren unversorgte Angehörige hier bekommen Versorgungsgelder. Zwei junge Schutzberger sind im Osten gefallen.

Der Krieg geht weiter. Am 1. 6. 1942 wird Franz Schmidt, ein Zwanzigjähriger, von Aufständischen erschossen. Bald darauf wird Frau Eisenbeis mit ihrem Söhnchen auf dem Feld gefangengenommen und werden beide zu Tode geschunden. Die einzige Straße, die noch passierbar ist, ist nur noch zeitweise frei. Benutzt man die Straße, muß man damit rechnen, daß man beschossen wird.

In Schutzberg sind nach und nach 52 Erdstollen gebaut worden. Tag und Nacht stehen Schutzbergs Männer in diesen als Wachtposten. Eigentlicher Schutz sind die Stollen kaum. Als letzter Wall ist ein Stollenring um die Schutzkirche gezogen. Wieder soll im äußersten Fall die Kirche Zuflucht für Frauen und Kinder sein. Ich spüre, und wohl der größte Teil der Schutzberger mit mir, daß die Entscheidungsstunde ganz nahe ist. Unsere Männer sind vollständig verbraucht durch Überanstrengung. Des Tages Feldarbeit und des Nachts Wachdienst, das ist auf die Dauer nicht tragbar. Doch ist es jedem bewußt, um was es geht. Nur von einzelnen Männern wird der Dienst nicht mehr pflichtbewußt erfüllt. Durch einige üble Gestalten wird gehetzt, wird Zwietracht unter die gequälten Menschen gesät. Das macht vereinzelte müde und lässig, ja aufsässig. Übermäßiges Rauchen, teilweise auch Alkohol und geschlechtliche Ausschreitungen machen sich bemerkbar. Es ist wie ein gieriges Nehmen all dessen, was noch vor dem Untergang genommen werden kann. Zum Glück handelt es sich da nur um eine kleine Gruppe, die Großzahl der Männer tut tapfer und treu den Dienst, weil sie weiß, daß es gar nicht anders sein darf. Aber auch diesen Männern können eines Tages die Nerven reißen. Die Deutsche Mannschaft kann kaum als Schutz und Unterstützung angesehen werden. Nur Schutzberg ist schuld daran, daß sie Militär-


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dienst tun muß; jeder einzelne der Mannschaft trägt in sich die feste Überzeugung, daß er daheim in seiner Behausung sitzen könnte, wenn es diesen Ort Schutzberg nicht geben würde.

Eine große Anzahl Schutzberger erscheint Mitte Juni 1942 auf dem Pfarrhofe und erklärt mir, daß die ganze Bevölkerung sich einig sei und am nächsten Tage das Dorf räumen werde. Es würde auf Wagen geladen, was geladen werden könnte, alle anderen Güter würden zurückbleiben. Ich verhandle mit den Männern, in mir bebt alles, meine zur Schau getragene Ruhe ist eine erzwungene. Ich weise auf die furchtbaren Folgen hin, die die Durchführung dieses Vorsatzes haben würde. Es ist ein grausames Ringen um Erhaltung und um Preisgabe. Schließlich wird es stiller, die Vernunft hat über das Fieber gesiegt. Wird es aber das nächste Mal auch so sein? Werden wir nicht doch eines Tages fluchtartig davongehen? Wenn es überhaupt noch eine Gelegenheit zur Flucht geben wird! - Über den Vorfall berichte ich der Volksgruppenführung.

Es ist jetzt so weit, daß ich nicht mehr die Verantwortung trage, die Verantwortung trägt mich. Wenn ich ganz zerschlagen bin, nimmer kann, dann kommt aus mir der Vorwurf, daß es besser gewesen wäre, mich nicht in all diese Dinge einzumischen. Ich weise diesen Vorwurf zurück. Es mußte sein. Ich müßte mich zeitlebens schämen, wenn ich in dieser Zeit nur Beobachter von der Kirchturmspitze aus gewesen wäre. - Wenn hier Blatt um Blatt kaum etwas von Gott und Gottesdienst die Rede war, so möchte ich doch festhalten, daß auch bei all dem, was geschah, die letzte ZuSucht, die feste Burg der war, der des Armen Schutz, ein. Schutz in der Not ist. Auch dann, wenn nichts von letzter Zuflucht und fester Burg sichtbar war. - Die Gottesdienste finden regelmäßig statt; außer denen, die den Wachdienst versehen, fehlt kaum jemand bei denselben. Getragen sind sie von dem schweren Ernst, der über unseren Tagen liegt. Wir beten weiterhin in jedem Gottesdienst das Vaterunser kniend. Dieses gemeinsame, laut gesprochene Vaterunser ist dessen Höhepunkt. Da ist eine Gemeinde vor Gott, die nicht weiß, was auf sie zukommt. Wie schwer kann Glaubenhalten sein! Gott schenkte aber Glaubensstärke. Selbst in den zerfurchten und geängstigten Gesichtern unserer Frauen wird das sichtbar. - Bei jedem Gottesdienst ist die Frage offen, ob das wohl nicht der letzte in der Schutzkirche sei. Der Gottesdienst des Alltags, der in Erfüllung der Tagespflicht besteht, findet schwer das Ja zu der Forderung Gottes, schwerer als am Sonntage in der Stunde der Anbetung.

In den letzten Junitagen 1942 stelle ich nochmals der Volksgruppenführung den furchtbaren Ernst der Lage der Deutschen in Schutzberg vor. Das stete kurzfristige Ablösen der Deutschen Mannschaft, die geringe Zahl der Männer, ihre Unzuverlässigkeit bieten keine Sicherheit für die Siedlung. Ich melde, daß die Belagerungstruppen der nationalen Serben und der kommunistischen Titoleute deutschen Feldbesitz, der in dem Räume liegt, den die Belagerer besetzt halten, an Kaufwillige gegen Bezahlung abgetreten haben. Die Schutzberger bekommen laufend Nachrichten über diesen Verkauf ihrer Grundstücke. Gewiß können nur Narren heute Grundstücke kaufen, aber es geschieht.


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Es gibt keine Aussicht mehr auf ein tragbares Nebeneinander, in keiner Richtung. Alles ist Untergang, ist Ende. Daran ändert auch nichts die Tatsache, daß die Ukrainische Legion - was gibt es nicht alles in diesem Lande an militärischen Organisationen! - die Aufständischen zurückgedrängt hat. Und nun kommt in all den Wirren der Abschluß eines "Friedensvertrages" am 30. 6. 1942. Der Vertreter der deutschen Volksgruppenführung bei dem Kreisamte und der Verantwortliche der Deutschen Mannschaft der Besatzung von Schutzberg schließen einen solchen mit den aufständischen Serben. Von seilen Schutzbergs ist niemand gefragt, niemand beigezogen worden. Durch diesen Vertrag werden die Stellungen des Feindes vorverlegt und alle Ortsausgänge bis auf einen besetzt. Die neuen Stellungen bringen die ganze Siedlung in den Bereich des feindlichen Gewehrfeuers. Unter gewissen Bedingungen, mit einer Art Visum, ist Deutschen das Bearbeiten ihrer Felder im Feindgebiet möglich. Unter denselben Bedingungen kann sich der Feind aber auch voll bewaffnet im deutschen Ort bewegen, und er tut es auch . . .

Das Belagerungsheer rückt nun laut Friedensvertrag naher gegen Schutzberg vor. Es werden von diesem zuerst die Serben, die in diesem Gebiet leben, zum Heeresdienst eingezogen. Dann werden für dieses Gebiet serbische Richter und Gemeinderäte gewählt. Alles Land, das früher einmal auf ordentlichem Wege von Serben an Deutsche verkauft wurde, fällt an erstere zurück. Überall wird erklärt, daß die Deutschen, seien sie auch noch so gut, Feinde blieben. In der deutschen Siedlung hören wir die Serben singen: "Adolf Hitler bis zum halben Sommer, dann kommt König Peter, deutsches Blut bis an die Knie"; weiter die Drohung: "Fünfzehn Deutsche für einen Serben!" Einer deutschen Frau, die im Weinberg arbeitet, sagt ein Serbe: "Aufbinden kannst Du den Wein, trinken wirst Du ihn nimmer." Verschiedene Deutsche, die früher in Spannung mit Serben waren, müssen um ihrer Sicherheit willen aus Schutzberg über die Sawe nach Kroatien in dortige deutsche Siedlungen flüchten. Die einzige Ausfallstraße, die wir haben, wollen die Aufständischen an deren Kreuzung besetzen. Dieser Friedensvertrag läßt mich nach dem Verbleiben der deutschen Volksgruppenführung im Unabhängigen Staat Kroatien fragen. Unsere Lage muß eine verdammt schlechte sein, sonst hätte man doch kaum einen derartigen Friedensvertrag unterschrieben. Er ist weniger Friedensvertrag als bedingungslose Kapitulation. Noch mehr bangend frage ich nach der deutschen Wehrmacht, die doch das Land besiegt hat und besetzt hält. Ich sehe keine Lösung mehr, und so schreibe ich ganz schwer das Wort von einer notwendigen Absiedlung.

Schutzberg ist nicht mehr Schutzberg, unsere Äcker sind nicht mehr unsere Äcker, unsere Häuser sind nicht mehr unsere Häuser, alles hat ein anderes, ein fremdes Gesicht. Wir haben die Heimat verloren. Ich hatte immer ganz große Bedenken gegen eine Umsiedlung, die immer ein Wagnis auf Leben und Tod ist, erst recht in schwerer Kriegszeit. Aber es muß wohl sein. Unruhige Elemente in Schutzberg behaupten zwar schon lange, daß die Bosniendeutschen längst abgesiedelt wären, wenn ich nicht Widerstand


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leisten würde, aber ich widerstrebe einer solchen nicht, da sie wohl der einzige Ausweg ist.

Wie unsicher die Lage ist, ist daran ersichtlich, daß in diesen Tagen eine Abordnung der in der Umgebung lebenden 200 Ukrainerfamilien bei mir vorspricht, mich ersucht, der deutschen Gesandtschaft in Agram zu schreiben, daß die Ukrainer, die im Kreise Prnjavor leben, geschlossen wieder in die Ukraine übersiedeln möchten. Ihre Häuser und ihren Grundbesitz hier, durch 40 Jahre ihr Eigentum, haben die Aufständischen an sich gezogen, so daß diese Ukrainer buchstäblich auf der Straße liegen. Sie unterstreichen ihr Bekenntnis der Freundschaft zu dem deutschen Volke mit dem Hinweis, daß etwa 150 junge Ukrainer aus dem Kreise Prnjavor bei der deutsch-ukrainischen Legion in Rußland kämpfen. Ich schreibe ein entsprechendes Gesuch und leite es nach Agram. Ob es ein Ergebnis zeitigt, das weiß ich nicht. . .

Immer lauter wird das Verlangen nach Abzug, immer lauter die Behauptung, daß nur ich schuldig sei am Verbleiben. - Es ist für mich beruhigend, daß im August bekannt wird, daß Verhandlungen zwischen dem Deutschen Reich und dem Unabhängigen Staate Kroatien stattfinden sollen über die Absiedlung der Deutschen in Bosnien. Die Neuansiedlung soll im Osten des Reiches erfolgen. Ende August 1942 wird bekannt, daß die Verträge abgeschlossen, unsere Tage in Schutzberg, in Bosnien gezählt sind 8 . So beginnt das letzte, die Auflösung all dessen, was mühsam vor beinahe einem halben Jahrhundert begonnen wurde.

Vor dem Währungsverfall wurde hier im Auftrag der deutschen Volksgruppenführung eine Vermögensaufstellung durchgeführt. Sie ergab folgende Zahlen:

1308,62 Hektar Landbesitz 27 037 500 Kuna
Wohn- und Wirtschaftsgebäude 12 413 300 Kuna
Industrie und ähnliche Werte 1 266 500 Kuna
240 Pferde 2 061 000 Kuna
558 Stück Rindvieh 3 313 300 Kuna
260 Schweine 317 300 Kuna

1308,62 Hektar Landbesitz 27037500 Kuna

Wohn- und Wirtschaftsgebäude 12 413 300 Kuna

Industrie und ähnliche Werte l 266 500 Kuna

240 Pferde 2 061 000 Kuna

558 Stück Rindvieh 3 313 300 Kuna

260 Schweine 317300 Kuna

Es waren natürlich noch viele andere Werte vorhanden. Die hier angegebenen Werte sollten als Grundlage für die an die deutsche Volksgruppe zu zahlende Steuer dienen. Jedermann weiß, wie solche Angaben zur Wirklichkeit stehen. Der Kuna oder der Dinar galt zur Zeit 8 bis 9 Pfennig in deutscher Währung.

Die bevorstehende Auflösung ändert nichts am Kriegszustand, Wachen und Vorsichtsmaßregeln bleiben. Zeitweise haben wir Verbindung mit der Außenwelt, zeitweise nicht. Glaubte ich. daß es jetzt ruhiger um mich würde, daß die Schutzberger weniger sorgenvoll wären, so war das ein ganz falscher Glaube. Schutzberg wird zu einem Bienenhaus, in das etwas Unheimliches

Es waren natürlich noch viele andere Werte vorhanden. Die hier angegebenen Werte sollten als Grundlage für die an die deutsche Volksgruppe zu zahlende Steuer dienen. Jedermann weiß, wie solche Angaben zur Wirklichkeit stehen. Der Kuna oder der Dinar galt zur Zeit 8 bis 9 Pfennig in deutscher Währung.

Die bevorstehende Auflösung ändert nichts am Kriegszustand, Wachen und Vorsichtsmaßregeln bleiben. Zeitweise haben wir Verbindung mit der Außenwelt, zeitweise nicht. Glaubte ich. daß es jetzt ruhiger um mich würde, daß die Schutzberger weniger sorgenvoll wären, so war das ein ganz falscher Glaube. Schutzberg wird zu einem Bienenhaus, in das etwas Unheimliches


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gefallen ist. Die Pfarrkanzlei wird zu einem Auskunftsbüro, vor dem lange Schlangen von Menschen stehen, die Auskunft haben wollen, die ich aber nicht geben kann, da ich selbst nichts weiß. Was soll man verkaufen, was behalten? Was wird mit dem Geld? Wo werden wir angesiedelt? Sollen die in Deutschland in Arbeit befindlichen Familienmitglieder zurückgerufen werden? Was ist mit dem Kofferkauf? Gefragt werde ich sogar, ob einer wie der andere gleichviel bei einer Neuansiedlung erhalten würde. Es sei unrecht, den, der weniger besitzt, dem, der hier mehr hat, gleichzustellen. Und noch viele andere Fragen kommen auf mich zu. Ich höre und höre an, kann nur immer mein einziges Wissen anbringen: Ich weiß nicht, abwarten. Nebenher läuft das Ausstellen von kirchlichen standesamtlichen Auszügen, die alle Schutzberger möglichst in Händen haben wollen. Es geht um Hunderte von Scheinen. - Im Auftrage des Bischofsamtes in Agram soll ich das Pfarramt in Slawonisch Brod übernehmen. Wenn die Straße frei ist, werden die Möbel des Pfarrhauses in das nach Bosnisch Brod in Lastwagen verfrachtet und dort in einem Notraum untergebracht.

Ganz Schutzberg steht in Planung und Vorarbeit für den Abzug. Alle vorhandenen Getreidevorräte werden im Zwinglisaal abgeliefert und gehen unter dem Schutz der Deutschen Mannschaft an die deutsche Genossenschaftszentrale in Esseg. Vergeblich fordere ich die Verladung nach Deutschland für die Versorgung der Umsiedler in kommender Zeit. Getreide, Vieh und Wirtschaftsgüter werden auch schwarz verkauft.

In all der Unruhe will ich in der letzten Zeit dafür arbeiten, daß die Menschen innerlich ruhiger werden, in ihnen etwas Dauerndes gefestigt wird. Es setzen die letzten kirchlichen Feiern ein. Am 13. Oktober haben wir die letzte Abendmahlsfeier in der Schutzkirche. Die Kirche ist überfüllt. Bewegt und erschüttert steht die Gemeinde am Altar: die letzte gemeinsame Abendmahlsfeier in der Schutzkirche. Der Predigttext ist die Losung Schutzbergs, Psalm 9, Vers 10: "Der Herr ist des Armen Schutz, ein Schutz in der Not." Bei der Ansiedlung auf dem Dornenberg, bei dem ersten Gottesdienst in einem bescheidenen Siedlerhaus hatte Pfarrer Geissler über dasselbe Wort gesprochen, als Verheißung für die kommende Zeit auf dem Berge 9 ; heute soll es Geleitwort sein auf einen Weg, den wir nicht kennen. Es ist als habe Pfarrer Geissler bei der Gründung der Siedlung gefühlt, daß ihre Zukunft stürmisch sein wird bis an ihr Ende, daß dabei aber immer Gottes Schutz greifbar und sichtbar sein werde.

Wenn das Dorf von uns geräumt wird, dann ist es ziemlich sicher, daß alles in die Hände der aufständischen Serben fällt. Es ist für mich ein untragbarer Gedanke, daß auch die Glocken, die Turmuhr und die Orgel in deren Hände fallen sollen. So ordne ich deren Abmontierung an. Als die Gemeinde davon erfährt, geht eine große Freude durch diese. In einem neuen Schutzberg, irgendwo, sollen Glocken, Turmuhr und Orgel wieder


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ihren Dienst tun. Ich gebe durch, daß die Glocken am 23. Oktober, abends 6 Uhr, zum letztenmal über Schutzberg läuten, zuerst die große, dann die kleine, nachher beide gleichzeitig eine halbe Stunde. Eine große Anzahl Männer mit Tränen in den Augen kommt auf den Lutherplatz bittend, daß die Glocken noch eine halbe Stunde länger läuten sollen; das geschieht. In dieser Stunde ist Schutzberg Erinnerung und Abschiedsschmerz. Nur 32 Jahre haben "Arbeite" und "Bete" Schutzberg gedient. Ihr Dienst war ein Dienst sondergleichen. Ihr Ton verhallt, wird nimmer durch die Gemeinde, durch das Ukrinatal klingen. Wie zu keiner Zeit steht es mir klar vor Augen, daß alles Zeitliche vergänglich ist. Was Menschen als unvergänglich ansehen, Bauten, seien sie noch so fest, sinkt in Trümmer; Einrichtungen, für lange Zeit geschaffen, sind über Nacht ausgelöscht. Und Menschen, seien sie groß oder klein, werden rasch vergessen. Nichts ist bleibend, nichts ist ewig. Ewig ist nur der, zu dem wir in Staub bekennen: "Herrgott, Du bist unsere Zuflucht für und für." - Über Schutzberg ist Blitz und Donner, ein schweres Herbstgewitter steht am Himmel, die Sonne scheint aber immer wieder hindurch, nicht nur in der Natur.

Die Abtragung der Glocken, der Turmuhr und der Orgel ist nicht einfach, schließlich ist es doch vollbracht. Die Orgel und die Turmuhr liegen in Kisten verpackt im Kirchenraum, die 600 und 800 kg schweren Gußstahlglocken auf einer Plattform vor der Kirche auf dem Lutherplatz. Kinder schmücken sie liebevoll mit Eichenzweigen. Der Abschied von den Glocken bringt die Gemeinde wieder auf den Lutherplatz. Wir singen "Großer Gott, wir loben Dich". Wir beten, ich will reden, kann es aber kaum, - über Römer 8, 28. Wir gedenken auch derer, die die Glocken, die Orgel und die Turmuhr einst Schutzberg geschenkt haben. Wir gedenken derer, die die Kirche gebaut haben, nicht zuletzt des Gustav-Adolf-Vereines. Und dann über allem Zeitlichen das Ewige. Viele weinen, und doch liegt über allen eine große Zuversicht in dieser Stunde, die mit dem Lied "Ein' feste Burg ist unser Gott" endigt. Nun kommen Hände, viele Männer-, Frauen- und Kinderhände, greifen die verstummten Glocken zum Abschied, streicheln sie, wie eine Mutter Kinder streichelt.

Wir dürfen noch Erntedankfest feiern; mit uns geht die Verheißung: "Solange die Erde steht, soll nicht aufhören . . ."

Noch ein Sonntag wird uns in Schutzberg geschenkt. Er bringt uns den härtesten Abschiedsschmerz. Wir stehen im wundervollen Frühmorgen des Herbstes auf unserem Friedhof, an unseren zum letztenmal geschmückten Gräbern. Wie nie wird uns das Wort klar, das davon spricht, daß wir hier keine bleibende Statt haben, sondern die zukünftige suchen. Die Gräber unserer Toten werden nicht bleiben, vielleicht geht bald der Pflug über sie. Was auch kommen mag, wir wissen unsere Toten in Gotteshand. Noch einmal singen wir: "Jesus, meine Zuversicht" auf unserem Friedhof, und dann noch die Abschiedsbesuche an den Einzelgräbern.

Am Nachmittag haben wir die letzte Presbyteriumsitzung in der Pfarrkanzlei. Wir sitzen da wie immer, und doch ist es ganz anders. Die Männer vor mir sind schmäler geworden. In ihren Augen kann man das Schwere


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der Stunde lesen, wir sind alle reifer geworden. Es sind keine Beschlüsse mehr zu fassen; nur das Bedürfnis und die Verpflichtung, noch einmal als Presbyter zusammenzusein, hat uns vereint. Das Bischofsamt verlangt die Sicherung des kirchlichen Vermögens für dasselbe. Es soll ein diesbezüglicher Beschluß und die Übertragung des Gemeindevermögens auf das Bischofsamt grundbücherlich durchgeführt werden. Unser Beschluß würde kaum etwas wert sein; die Übertragung im Grundbuchamt, das es kaum noch gibt, morgen sicher nicht mehr geben wird, ist zwecklos. Was gehört in Bosnien noch wem? Man weiß scheinbar im Unabhängigen Staat Kroatien nichts über unsere Verhältnisse, auch nicht bei dem evangelischen Bischofsamt in Agram. Der ganz kleine Kassenbestand der Kirchenkasse geht in meine Hände über und soll später verrechnet werden. Alle Presbyter sind der Ansicht, daß wir geschlossen angesiedelt, geschlossen wieder eine Kirchengemeinde bilden werden. Wir schließen diese letzte Sitzung des Schutzberger Presbyteriums mit Gebet.

Das Reformationsfest feiern wir auch noch in der Kirche, die nicht mehr das ist, was sie war. Es fehlt die Orgel, es fehlen die Glocken. - Wir wußten noch nicht, daß dies der letzte Gottesdienst in der Schutzkirche war. Acht Tage später hätten wir Kirchweih gefeiert, wären es 32 Jahre seit der Einweihung derselben gewesen. Seit diesem 7. November 1942 gibt es kein Schutzberg und keine Schutzkirche mehr.

Am 1. 11. nachmittags trifft die Vorhut der Absiedlungskommission ein. Da starker Regen fällt, versammelt sich die Gemeinde, bis auf die auf Posten stehende Mannschaft, in der Kirche, wo die Umsiedlungsbedingungen bekanntgegeben werden. Im Orte sind Plakate angeklebt, auf denen ein Auszug des Umsiedlungsvertrages zwischen dem Deutschen Reich und dem Unabhängigen Staate Kroatien bekanntgemacht wird 10 . Der kroatische Staat übernimmt alles zurückbleibende bewegliche und unbewegliche Vermögen der Umsiedler. Eine Kommission, bestehend aus Vertretern der Vertragsschließenden, schätzt das Vermögen ab. Darüber sind Protokolle aufzunehmen. Der kroatische Staat zahlt an das Deutsche Reich den errechneten Wert der übergebenen Güter. - Anmerken möchte ich, daß den Umsiedlern nicht gesagt wurde, wie hoch ihr Besitz geschätzt wurde.

Kirchliches Vermögen fällt nicht unter diese Bestimmung, sondern wird Eigentum der Kirche, der die Gemeinde bekenntnismäßig angehört. Die standesamtlichen Kirchenbücher sind dem Reichssippenamt, Bargeld, Sparbücher und Wertpapiere sind der Umsiedlungskommission zu übergeben. Verboten ist, privat deutsche Währung für kroatische zu kaufen, verboten ist auch das Veräußern von Wirtschaftsgegenständen oder Vieh. Mitgenommen werden Kleidung, Wäsche, Geschirr, Lebensrnittel und kleine Pflaumenschnapsfässer. Das alles wird sorgfältig mit Namen und Nummern versehen und unter der Bewachung der Deutschen Mannschaft nach Derventa gebracht und in Eisenbahnwagen verladen. -- Möbel dürfen nicht mitgenommen werden.


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Die Kranken und die ganz Alten werden in Lastwagen in das Umsiedlungslager, das in Bosnisch Brod musterhaft eingerichtet ist, gebracht. Die Tage, und auch ein großer Teil der Nächte, sind der Registrierung der Umsiedler gewidmet. In den schon geräumten Zimmern des Pfarrhauses sind Schreibzimmer eingerichtet, in denen Schreibmaschinen klappern, Angaben um Angaben gemacht werden müssen. Jeder Umsiedler erhält eine Umsiedlungsnummer. Die Kommission besteht aus rund 20 Männern, für die in der Pfarrhausküche unter Aufsicht meiner Frau gekocht wird. Am bemerkenswertesten ist die Geldwirtschaft in dem großen Eßzimmer des Pfarrhauses. Ich kenne meine Schutzberger nicht mehr. In Geldsachen waren sie stets das Mißtrauen selbst. Allen Menschen und Organisationen gegenüber. Nicht immer unberechtigt. Selbst die eigene Raiffeisenkasse war ihnen nie sicher genug. - Ich erinnere mich an eine Frau, die in bestimmten Abschnitten des Jahres zu mir kam, sich aus der Raiffeisenkasse ihre Einlage vorzählen ließ, um wieder befriedigt abzuziehen, da das Geld noch da war, sogar etwas mehr. - Es kommen überraschend große Beträge zur Ablieferung; sie sind kein Zeichen von Reichtum, sondern zeugen davon, daß Geld in der Kriegszeit leicht zu erlangen war.

In all die Unruhe des bevorstehenden Abzuges platz die Nachricht, daß die kroatische Regierung eine ukrainische Militärabteilung in die Siedlung legen will. Diese soll nach unserem Abzug die Besetzung des Dorfes durch die aufständischen Serben verhindern. Daß die kroatische Regierung all die Werte, die jetzt ihr Eigentum sind, schützen will, das ist verständlich, daß das aber nicht durch kroatisches Militär, sondern durch eine ukrainische Legion geschehen soll, ist bemerkenswert. Wo mögen die Ustaschi sein, die sich früher so oft zeigten? Ich fahre zum Umsiedlungskommando nach Brod und trage dort vor, daß eine Besetzung des Dorfes durch ukrainische Legionäre die Aufständischen herausfordern würde, so daß, wenn es zu Kämpfen käme, es auch für uns verhängnisvoll werden könnten. Ich erreiche, daß die Besetzung durch Ukrainer abgeblasen wird.

Vor einer Woche mußte ich etwas tun, was ich noch nie getan habe, konnte darüber nicht gleich etwas niederschreiben, da alles in mir bebte: Ich räume meine Kirche. Daß es so etwas geben kann und geben muß! Ich greife nach dem Kruzifix, nach den Leuchtern. Das Kruzifix wird hier nimmer zeugen von der großen Tat des Heilandes, die Leuchter werden hier nimmer Kerzen tragen, die in das Dunkel des Lebens leuchten. Ich greife nach der Altarbibel, die einst der Vater des ersten Ortspfarrers gespendet hat; ich greife nach den Abendmahlsgeräten, die 1910 zur Einweihung der Kirche von Seminaristen in Köthen-Anhalt gestiftet wurden. Ich nehme die Altardecke vom Altar, den Kanzelbehang von der Kanzel. Ostpreußische Frauen gaben mir im Jahre 1935 bei dem großen Gustav-Adolf-Fest in Königsberg die wundervoll fein gearbeitete Decke und den Kanzelbehang mit dem eingestickten "Friede sei mit Euch". Das alles lege ich in eine Kiste, alles soll mitgehen. Wann und wo dies alles wieder seinem Zweck dienen darf? Nie, nie und nimmer will ich wieder eine Kirche räumen! - Nun ist die Schutzkirche nimmer Kirche. Es bleibt nur die Inschrift an der Stirnwand: "Der Herr ist des Armen Schutz, ein Schutz in der Not."


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Die Absiedlungskommission setzt als Abzugstag den 6. 11. fest. Ich darf diesen Tag erst am Vorabend der Gemeinde bekanntgeben, da man einen eventuellen Überfall in letzter Stunde verhüten will. Man hat es mir gesagt, ich darf es aber erst am Vorabend des Abzuges bekanntgeben. Ich rufe die Gemeinde am 5. November für 17 Uhr zum letztenmal auf den Lutherplatz. Es weiß keiner, um was es geht; die Gemeinde ist da, die Absiedlungskommission ebenfalls. Über uns die Fahne. Wir singen nun zum letztenmal das so oft gesungene "Heilig Vaterland''. Dann spreche ich die letzten Sätze, verhalten und am ganzen Körper bebend. Zuletzt gebe ich bekannt: Der Abzug erfolgt morgen früh 6 Uhr.

Die Registrierung arbeitet noch die ganze Nacht durch. Im Dorf wird immer noch fieberhaft gepackt. Spät abends gehe ich noch durch dasselbe. Aus jedem Hause dröhnen Hammerschläge.

Es treibt mich nach des Tages Unruhe nochmals in die Schutzkirche. Das Dunkel und die Stille der Mitternacht umhüllen mich. Es zieht alles an mir vorüber, was in den Jahren meines Lebens in Schutzberg gewesen ist; die Erinnerung wird übermächtig. Ich predige in dieser Stunde nicht, ich höre. Ich bin Gemeinde, Gemeinde, die geirrt und gefehlt hat, Gemeinde, die arbeitete und betete, daß das Gottesreich auch zu uns kommen möge. Und dann kommt ein Danken sondergleichen über mich. Ich durfte hier den Dienst tun, meine Frau und ich durften gemeinsam hier schaffen und wirken für die Menschen, die uns anvertraut waren. Es war immer harter und schwerer Dienst, und darin Gottesdienst. Ich verabschiede mich von meiner Schutzkirche in dieser Mittenachtsstunde. Was aus ihr werden wird? Hat es gelohnt, für 32 Jahre einen solchen Bau zu erstellen und ihn so liebevoll einzurichten? Hat es sich gelohnt, daß das Pfarrhaus gebaut wurde und im Jahre 1935 die Frauen des Gustav-Adolf-Vereines in Deutschland den Ausbau übernahmen? War es in Ordnung, daß Schweizer Freunde uns das Zwinglihaus bauten? Und durch all die Jahrzehnte nahmen wir Beihilfen für Pfarramt, Jugendpflege, Kindergarten, Schwesternstation von vielen hilfsbereiten Stellen und Freunden. Hat es sich gelohnt? Ich kann in dieser Stunde mit einem ganz klaren "Ja" antworten. Und wenn Schutzberg das alles nur von 1941 bis 1942 gehabt hätte, hätte es sich gelohnt. - Wo auch heute Schutzberger wandern mögen, sie zehren und werden immer zehren von dem, was ihnen in Schutzberg gegeben wurde. - Ich sitze im Zuhörerraum der Kirche. In der tiefen Dunkelheit finde ich leicht die Stufen des Altars, stehe vor dem armen abgeräumten Altar; ich wende mich gegen die Kirchenbänke, die für mich nicht leer sind, ich kenne ja alle, die da vor mir saßen, weiß um sie; und als letztes sage ich laut zum Abschied von Gemeinde und Kirchenbau in die Dunkelheit der Mitternachtsstunde und in die Dunkelheit des Kommenden: "Jesus Christus, gestern, heute und derselbe in Ewigkeit." Und als Abschluß die Fürbitte für meine Schutzberger: Herr, segne und behüte, lasse leuchten dein Angesicht, sei gnädig, hebe dein Angesicht auf uns und gib uns Frieden. Amen. -

Erst um 12 Uhr nachts komme ich in das leere Pfarrhaus, meine Frau ist schon seit einigen Tagen in Slawonisch Brod. Ich kann nicht in den Räumen die letzte Nacht verbringen, die uns 23 Jahre Heimat waren. Im


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kleinsten Gaststübchen liegt eine Schütte Stroh., eine Wolldecke und das notwendigste Handgepäck, hier schlafe ich das letztemal in Schutzberg.

Am 6. November, früh 6 Uhr, kommen von allen Seiten mit Menschen und Gepäck beladene Wagen an die Sammelstelle. Ich bin umringt von denen, die von mir Abschied nehmen wollen. Da ich das Pfarramt in Brod übernehmen soll, nicht die Fahrt mit den Umsiedlern antrete, fällt der Abschied uns allen schwer. Die Schwester des serbischen Pfarrers, der ich wiederholt schützend beistehen konnte, fällt mir weinend um den Hals, gibt mir einen Abschiedskuß. Die aufständischen Serben haben uns einen Brief gesandt, laut dem sie uns eine glückliche Zukunft wünschen, - eine versöhnende Geste.

Unter dem Schütze unserer bewaffneten Mannschaft setzen sich rund 130 Wagen in einer langen Reihe in Bewegung; ein Dorf wandert 11 . Die Wagenkolonne fährt den Berg hinunter, unter Singen, Schüssen, Lachen, Weinen. Ich bin noch im Dorfe. Von der Steinstraße unten klingt das Rauschen der vielen rollenden Räder wie eine Art Orkan. Schutzberg ist ein totes Dorf.

Von der Einwandererzentralstelle Litzmannstadt sind gestern noch deren Leiter, v. Malsen, und Dr. Gradmann eingetroffen, Sie wünschen, unter meiner Führung noch die Siedlung zu sehen, um zu wissen, wie es um diese bestellt war. Und so gehen wir durch das tote Dorf, Haus um Haus, Wirtschaftsgebäude um Wirtschaftsgebäude, Stall um Stall. Für mich ist dieser Gang durch das tote Dorf qualvoll. In einem Haus brennt noch das Licht, in einem anderen steht noch Brot und Milch auf dem Tisch. Feuer findet sich noch fast in jedem Herde. Wir machen Stalltüren auf, das Vieh steht ahnungslos vor den vollen Krippen. Eimer voll Wasser stehen fürsorglich daneben. Der Abschied von den Tieren fiel den Schutzbergern besonders schwer. Schließlich geht es über meine Kraft; ich muß erklären, daß ich nicht mehr die leeren Häuser sehen kann. Darauf geht es zum allerletzten Male durch die Schutzkirche und das Pfarrhaus. Ich höre das Urteil über den Bau: "Schade, daß man so etwas hierlassen muß." Die Kirche und das Pfarrhaus bleiben unverschlossen ihrem Schicksal überlassen, und wir marschieren den Weg abwärts. Um uns knallen schon die Freudenschüsse der serbischen Aufständischen, die von allen Höhen in das Dorf kommen.

Meine Begleiter wünschen noch ein serbisches Haus zu sehen, und so führe ich sie in eines, das an der Straße liegt und so primitiv ist, wie et eben nur sein kann. Es ist das Haus eines wirtschaftlich gutgestellten Serben in unserer Umgebung. Wir kommen aus dem Haus heraus und stoßen auf die Volksdeutsche Mannschaft, die jetzt auch abzieht. Hinterdrein marschieren einige kroatische Soldaten, die irgendwie in das Dorf gekommen waren, ganz so, als würden sie sich der Sicherheit freuen, die ihnen die


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Volksdeutsche Mannschaft gewährt. Aus dem Tale kommen eine ganze Anzahl Pferdewagen herauf auf den Glogovac, auf denen städtisch angezogene Männer und Frauen sitzen. Sie haben sogar Schreibmaschinen bei sich. Ein Herr stürmt auf mich zu, ich erkenne ihn als den kroatischen Kommissar, der die Übernahme Schutzbergs in die kroatische Hand leitete und in den letzten Tagen hier gearbeitet hat. Als er mich sieht, kommt er sofort auf mich zu und bittet flehentlich, daß ich doch die Deutsche Mannschaft zum Schütze der Kommission zur Verfügung stellen solle, bis sie das Dorf übernommen hätten. Ich muß ihm erklären, daß es kein Schulzberg mehr gäbe, daß wir kein Interesse an Glogovac hätten und kein einziger deutscher Manu für diesen Ort eingesetzt werden könne. Auf meine Frage, wo denn das kroatische Militär sei. erklärte er mir, daß solches nicht zur Verfügung stünde. Ich stelle ihm dann den Ernst der Lage vor, daß es gefährlich sei, in das schon teilweise von aufständischen Serben besetzte Glogovac zu fahren, an eine Übernahme des Dorfes ohne militärischen Schutz sei nicht zu denken. Ich gebe ihm noch den Rat, daß, wenn ihm sein Kopf und die Köpfe seiner Begleitung etwas wert wären, er die Fuhrwerke wenden lassen müßte. - Das geschah dann auch, und so fiel Glogovac in die Hände der aufständischen Serben.

Bemerkenswert ist noch, daß in den letzten Tagen vor dem Abzug massenhaft Ukrainer in das Dorf kamen, sich die Wirtschaften, die sie übernehmen wollten, ausgesucht und sich in diese festgesetzt hatten. Im Augenblick des Abzuges der Deutschen müssen ihnen aber dann doch Bedenken gekommen sein; sie fielen förmlich über den Umsiedlungsstab her, erklärten ihm, daß sie sich bedroht fühlten und mit den Deutschen abziehen möchten. Das war natürlich unmöglich. Was aus ihnen geworden ist, das weiß ich nicht.

Es war gegen 10 Uhr vormittags, als wir den Wagen bestiegen und den Siedlern nachfuhren. Wir holten sie bald ein, unser Kraftwagen fuhr an all den Wagen vorbei. In einer Stunde waren wir im Umsiedlungslager in Brod. Die Umsiedler fuhren in ihren Wagen bis Derventa, wurden dort in Eisenbahnzüge verladen und nach Brod gebracht. Die Pferde und die Wagen sollte die kroatische Regierung in Derventa übernehmen. Es war aber niemand da, der sie übernahm. Die armen Tiere sind tagelang in Derventa umhergeirrt, manche im Geschirr, von ihren Wagen gelöst. Die armen Tiere, von denen der Abschied besonders schwer war; sagte mir doch ein Umsiedler: "Alles kann ich lassen, nur nicht meine Pferde." - In Brod fuhr die Hälfte der Umsiedler mit der Eisenbahn gleich weiter, die anderen am nächsten Morgen, nachdem sie die Nacht im Lager verbracht hatten.

Bei meiner Ankunft in dem Pfarrhaus in Slawonisch Brod finde ich meine Fau in einem trostlosen Durcheinander im kleinsten Raum. Ein Hoffen auf Freiwerden von Wohn- und Arbeitsraum im Pfarrhaus ist aussichtslos. Deutsche Offiziere und andere Gruppen halten im Pfarrhaus alle Räume besetzt. Der einzige Raum, von unserem Hausrat vollgestopft, bietet nicht so viel freien Platz, daß ein Bett aufgestellt werden kann. Ich suche Tuchfühlung mit den Männern der Kirchengemeinde und finde sie nicht. Ein Fremdsein sondergleichen kommt über uns. Es trifft dann noch eine


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Zuschrift ein, nach welcher ich neben der Pfarrstelle einen sehr verantwortungsvollen Dienst bei der Deutschen Volksgruppenführung übernehmen soll. Meine Frau und ich beraten all das, was auf uns zukommt, und erkennen, daß unsere Zukunft nicht Slawonisch Brod sein kann. Es wird uns klar, daß es von vornherein unrichtig war, die Schutzberger ziehen zu lassen und hier zu bleiben. So lasse ich mich in Brod zur Umsiedlung registrieren, bekomme zwei Eisenbahnwagen, einen für unsere Möbel, einen für die Glocken, die Orgel, die Turmuhr. Die Verladung durch hungrige Arbeiter eines Spediteurs ist schwierig.

In der Broder Evangelischen Kirche vollziehe ich als einzige Handlung eine Taufe. Die Taufe eines kleinen Franz-Josefsfelders, der unbedingt als Bosniak geboren werden wollte und im Umsiedlungslager das Licht der Welt erblickte.

Spät abends kommen wir im Umsiedlungslager an, lagern mit anderen Umsiedlern auf Strohsäcken auf dem Boden der Halle. Die Nacht ist voller Unruhe, die Mütter können die Kleinstkinder nicht beruhigen, ganz als ahnten diese die Schwere der kommenden Tage. Früh um 7 Uhr werden wir in einem sehr langen Eisenbahnzuge untergebracht, der für alle überreichlich Platz hat. Es gibt Decken und alles Notwendige für die lange Fahrt. Noch grüßt uns der Moscheeturm, noch grüßt die kleine, nun auch verlassene evangelische Kapelle, dann geht es über die Sawe in Richtung Deutschland.


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