Nr. 32: Rückführung nach Böhmen-Mähren evakuierter Volksdeutscher aus dem Banat im Treck bis Neusatz im Juli 1945, Verweigerung ihrer Wiederaufnahme im Heimatort durch die jugoslawischen Zentralbehörden und Anordnung ihres sofortigen Abschubs über die Grenze nach Ungarn.

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Protokollierte Aussage des Kaufmanns J. T. aus Perlas (Perlez), Bezirk Groß-Betschkerek (Veliki Bečkerek) im Banat.

Original, 16. Oktober 1945, 7 Seiten, mschr. Teilabdruck.

Ich wurde mit meiner Familie am 2. Oktober 1944 aus meinem Heimatort Perlez zwangsevakuiert und gelangte am 5. November 1944 nach Datschitz in Mähren, Kreis Iglau 1 . Diesen Ort mußten wir am 20. April 1945 vor den herannahenden sowjetrussischen Truppen auf Anordnung der Behörden verlassen und kamen zuerst nach Richterhof bei Krumau, wo wir vier Wochen verbrachten. Von Richterhof wurden wir Anfang Mai, schon unter amerikanischer Besetzung, in ein Flüchtlingssammellager in Wallern bei Krumau gebracht, wo wir sechs Wochen mit unseren Fuhrwerken im Freien kampierten. Um diese Zeit wurde das Lager von amerikanischen Offizieren besucht, welche die Flüchtlinge befragten, ob und wer von ihnen nach Jugoslawien zurückkehren wolle. Es meldeten sich daraufhin etwa dreißig Familien aus Perlez, dreißig Familien aus Etschka, Bezirk Petrovgrad, denen sich etwa vierzig Familien aus Lenauheim im rumänischen Banat anschlössen. Insgesamt waren das einhundert Wagen mit etwa fünfhundert Menschen, die mit amerikanischer Bewilligung und amerikanischen Papieren um den 20. Juni 1944 2 die Rückreise nach dem Banat antraten.

Wir wurden von amerikanischen Soldaten bis zur russischen Demarkationslinie begleitet, dort wurden wir in ein Sammellager bei Korneuburg


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gewiesen. Von Korneuburg begleiteten uns drei russische Soldaten über Hörn, Wien, ödenburg, Kaposvar bis Bares an der jugoslawischen Grenze. Ein russischer Hauptmann führte uns bei Bares über die Dräu und übergab uns in Virovitica dem jugoslawischen Partisanenkommando am 18. Juli 1945. In Virovitica kampierten wir drei Tage, bis das jugoslawische Partisanenkommando von seinen vorgesetzten Stellen die Weisung erhielt, uns nach Novi Sad (Neusatz) zu überstellen. In Begleitung von zwei Partisanen, reiferen Männern in Zivil, die uns nicht schlecht behandelten, setzte sich unsere Kolonne entlang der Dräu und Donau über Osijek (Esseg), Vukovar, Beočin, Peterwardein nach Novi Sad in Marsch, wo wir am 28. Juli 1945 ankamen.

In Novi Sad wurden wir in ein Arbeitslager (Zwangsarbeitslager) gebracht, dessen Insassen jugoslawische Deutsche (Schwaben) aus dem Banat und der Batschka waren. Auf dem Wege zu diesem Lager begegnete uns in der Stadt Novi Sad ein Serbe aus meiner Heimatgemeinde Perlez, namens Dušan Aćimov, der iu Novi Sad Kommandant eines anderen Arbeitslagers ist (es gab dort deren vier oder fünf). Mit diesem serbischen Landsmann stand ich von früher her sehr gut. Er sprach auch jetzt offen und freundlich zu mir und machte uns Vorhaltungen, warum wir nicht noch länger im Auslande verblieben, es werde uns in der Heimat jetzt noch nicht gut gehen. Er sagte uns, daß wir wahrscheinlich wieder über die Landesgrenze würden zurückgeschafft werden, meinte aber doch, daß vielleicht eine Möglichkeit für uns besteht, in der Heimat bleiben zu können, wenn der Gemeindeausschuß unserer Heimatgemeinde beschließen würde, daß er uns wieder in die Gemeinde aufzunehmen bereit sei. Aćimov fuhr sogar persönlich nach Perlez, um über unsere Rückkehr zu berichten und unsere Bitte um Wiederaufnahme vorzutragen. Der Gemeindeausschuß beschloß, uns wieder aufzunehmen, und der Gemeinderichter (Bürgermeister) Mika Todorevski überbrachte diesen Beschluß persönlich der vorgesetzten Behörde in Novi Sad. Diese leitete den Beschluß der Gemeinde nach Belgrad. Von dort erfolgte jedoch ein abweisender Bescheid mit der Anordnung, uns wieder über die ungarische Grenze zurückzuschaffen, da Jugoslawien die Rückkehr deutscher Flüchtlinge nicht gestatte. Noch vor Eintreffen dieses Bescheides aus Belgrad waren uns im Lager in Novi Sad unsere Pferde, Wagen und unser Gepäck vom Lagerkommando abgenommen worden. Auch mußten wir alle unsere Habseligkeiten, auch das Geld, Schmuckgegenstände u. a. Wertsachen abgeben. Wir sollten nur den Anzug, das Hemd, die Schuhe, die wir anhatten, behalten dürfen. Es wurde uns dann aber doch gestattet, noch einen Anzug, ein Hemd und ein paar Schuhe mitzunehmen. Manchen wurde aber dieses zweite Paar Schuhe wieder abgenommen.

In dieser Verfassung, unserer ganzen Habe beraubt, wurden wir am 1. August 1945 in ein Durchgangslager in Subotica (Szabadka) gebracht und von dort am 3. August 1945 über die ungarisch-jugoslawische Grenze bei Kelebia gesetzt. Wir fuhren nun von der ungarischen Grenze, nachdem wir da freigelassen worden waren, nach Kiskunhalas, wo wir hofften, in einem Lager unterkommen zu können. Da in Kiskunhalas alles überfüllt war, fuhr ich mit meiner Familie zu meinen Verwandten nach Csävoly, während die


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übrigen mit uns aus Jugoslawien angekommenen Flüchtlinge von der ungarischen Polizei in ein großes Flüchtlingslager nach Kecskemet gebracht wurden 3 .

In Csävoly verblieb ich bis zum 21. September 1945, da jedoch inzwischen die ungarische Polizei auch begonnen hatte, die in den ungarischen Grenzgemeinden zu Tausenden angesammelten Flüchtlinge, denen die Rückkehr nach Jugoslawien nicht gestattet worden war, namentlich die Männer unter ihnen, angeblich für Arbeitszwecke aufzugreifen und, unbekannt wohin, fortzubringen, entfloh ich am 21. September aus Csävoly und kam über ödenburg, Wien, Linz glücklich nach Andorf zu meinen Landsleuten, die sich da aufhalten.

Über meine Erlebnisse und Eindrücke während meiner langen Reise nach Jugoslawien und zurück kann ich wahrheitsgemäß folgendes berichten:

Durch Ungarn vollzog sich unsere Hinreise nach Jugoslawien ohne besondere Zwischenfälle. Auch unsere Verpflegung stieß auf keine größeren Schwierigkeiten, da die ungarische Landbevölkerung den Weisungen der uns begleitenden russischen Soldaten wegen Bestellung von Nachtquartier, Verpflegung und Futtermitteln für unsere Pferde ohne Widerspruch Folge leistete. - Wir hörten allerdings schon unterwegs in Ungarn von den dort bodenständigen deutschen Dauern, die wir antrafen, daß die Deutschen auch in Ungarn enteignet und viel von ihnen in Lager gebracht werden. Dieses betrifft hauptsächlich die gewesenen SS-Männer, ohne Rücksicht, ob sie freiwillig oder unfreiwillig zur Waffen-SS kamen, weiter die Evakuierten bzw. Flüchtlinge und die ehemaligen Mitglieder des Volksbundes der Deutschen in Ungarn. Es wurde uns auch berichtet, daß die deutschen Ortschaften auch in Ungarn erhebliche Kontingente von Männern und Frauen stellen mußten, die nach Rußland deportiert worden seien. (In jüngster Zeit fanden in größerem Umfange auch Abschiebungen von ungarländischen Deutschen nach Österreich statt) 4 .

Zum Unterschied von Jugoslawien fanden wir aber in Ungarn noch immer eine große Anzahl von deutschen Landbewohnern in ihren Dörfern und Häusern vor, wenn auch meist ältere Leute und Kinder, während in Jugoslawien die zurückgebliebenen Deutschen fast ohne Ausnahme in Zwangsarbeitslagern und sogenannten "Altersheimen", die jedoch in Wirklichkeit Sammel- oder Konzentrationslager schlimmerer Art als die Zwangsarbeitslager selbst sind, interniert waren.

In Jugoslawien wurden wir anfangs nicht schlecht behandelt, merkten bzw. erfuhren aber unterwegs sofort, daß die Deutschen in Jugoslawien mit


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Ausnahme der wenigen, die von früher her schon freundschaftliche Beziehungen mit den Partisanen unterhielten, in den oben angeführten Lagern gehalten werden. - Ein solches Lager befand sich zwei Kilometer von Virovitica entfernt. Aus diesem Lager waren Frauen zur Arbeit nach Virovitica gebracht worden, mit denen wir Gelegenheit zu sprechen fanden und [die] uns über ihr trauriges Los berichteten. - Die kroatische Bevölkerung verhielt sich auf unserer Reise durch Slawonien freundlich gegen uns und gab uns auf Geheiß der uns begleitenden Partisanen willig Lebens- und Futtermittel. Kurz vor Osijek zogen wir durch ein langgestrecktes Dorf, in dem ein großes Lager mit Tausenden von internierten Deutschen untergebracht war 5 .

In Syrmien, in den Dörfern längs der Donau, war die serbische Bevölkerung weniger duldsam uns gegenüber. Wir wurden beschimpft, bedroht und verwünscht, besonders von den Frauen. In einem serbischen Ort vor Beočin, wo wir Mittagsrast halten wollten, wurde auf uns auch geschossen, so daß wir schleunigst weiterziehen mußten.

Auf unserem Marsche durch Slawonien und Syrmien sahen wir große Flächen Landes brachliegen, auf manchen Feldern war der vorjährige .Mais noch nicht gebrochen. Die Partisanen hatten uns aufmerksam gemacht, diese Maisfelder nicht zu betreten, da sie vermint seien . . .

In Novi Sad (Neusatz) bot sich uns im Zwangsarbeitslager, in dem wir vier Tage und Nächte bis zu unserer Abschiebung über die ungarische Grenze verbrachten, ein erschütternder Einblick in die Zustände und in das Leben in diesen Lagern, in denen die noch im Lande verbliebenen jugoslawischen Deutschen ein trauriges Dasein fristen müssen. Gleich bei unserer Ankunft sahen wir unsere Landsleute zerlumpt, abgemagert und verfallen, mit Tränen in den Augen um uns herumstehen, darunter auch einige Dorfgenossen aus Perlez und Lazarfeld im Banat. So sehr sie sich über das unerwartete Wiedersehen freuten, beklagten sie es, daß wir zurückgekehrt seien und nun ihr schweres Los mit ihnen werden teilen müssen.

Nach der Wiedergabe der Erzählung des F. W., eines Onkels seiner Schwiegertochter, über die Ereignisse unter dem, Partisanenregime in der Heimatgemeinde und die Behandlung der internierten Deutschen fährt der Berichterstatter fort:

Eine Frau unseres Trecks war unterwegs von einem Pferde in das Bein gebissen worden und litt große Schmerzen. Sie wollte im Zwangsarbeitslager in Novi Sad zum Arzt gehen, wovon jedoch die Lagerinsassen ängstlich abrieten. Die Frau würde, wie alle, die sich im Lager krank meldeten, in das "Altersheim" nach Bački Jarak bei Novi Sad kommen, und von dort gäbe es keine Rückkehr mehr. - Die Frau verwand ihre Schmerzen und wurde nach vier Tagen mit uns anderen über die ungarische Grenze gesetzt. - Die Verpflegung im Altersheim Bački Jarak sei besonders schlecht und ganz


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unzureichend, daher die Sterblichkeit unter den dort untergebrachten alten Leuten und Kindern außerordentlich groß 6 .

Die Verpflegung der Internierten im Zwangsarbeitslager in Novi Sad, die wir vier Tage selbst genossen haben, bestand aus Bohnen- oder Erbsensuppe, dreimal täglich, und je einer Portion Brot. Diese Verköstigung war für die schwer arbeitenden Männer gewiß nicht ausreichend, doch wären sie physisch sicherlich nicht so herabgekommen, wenn man ihnen nur etwas mehr Ruhe gönnen würde.

Die Lagerinsassen müssen um 3 Uhr morgens aufstehen und kommen vor 22 Uhr, ja meist vor 23 Uhr nachts nicht zur Ruhe. Man treibt sie herum, läßt sie ohne Grund antreten und so weiter. Vier bis fünf Stunden Schlaf sind aber für schwer arbeitende, gänzlich unterernährte Menschen absolut ungenügend. Ihr Kräitezustand und ihre Gesundheit müssen verfallen, um so mehr als sie auch viel unter dem Ungeziefer zu leiden haben, worüber alle große Klage führen. So sehen denn diese Menschen auch aus: elend und herabgekommen, halb verhungert und verzweifelt. Die Behandlung in diesen Zwangsarbeitslagern soll in den ersten Monaten besonders furchtbar gewesen sein. Die Leute seien entsetzlich geprügelt und getreten worden. Schwere lebensgefährliche Mißhandlungen waren an der Tagesordnung. Manche wurden von dem Wachpersonal auf dem Wege zur Arbeit und von der Arbeit unter dem Vorwand, sie hätten flüchten wollen, erschossen und blieben am Straßenrand oder auf den Feldern tagelang als Leichen liegen. Die Wachmannschaften nahmen den Internierten, die gute Schuhe hatten, auch die Schuhe weg, so daß sie mitten im Winter mit bloßen Füßen, um die sie Fetzen, Lumpen oder Säcke gewickelt hatten, zur Arbeit gehen mußten. Um das zu verhüten, zerschnitten und beschädigten die Internierten vielfach selbst ihr Schuhwerk, um wenigstens die guten Sohlen zu erhalten.

W. sagte mir, er wundere sich, daß er das alles habe ertragen können und noch lebe. Er sei einer der wenigen Überlebenden, viele von denen, die mit ihm im November 1944 in dieses schreckliche Lager gebracht wurden, seien inzwischen zugrunde gegangen. In der letzten Zeit hätte sich die Behandlung etwas gebessert. Die Leute würden jetzt nicht mehr soviel geschlagen, aber noch immer sehr hart "bestraft" werden. Ich bin selbst Zeuge einer solchen Bestrafung gewesen. Wir hatten während unseres viertägigen Aufenthaltes unser Nachtlager im Hof unter freiem Himmel in der Nähe eines Bunkers gehabt. In der zweiten Nacht, etwa am 30. Juli sperrte man bei Einbruch der Dunkelheit einen Mann in diesen Bunker und ließ ihn dort die ganze Nacht im Wasser stehen. Der Bunker stand etwa 25-30 cm unter Wasser, wie wir uns später selbst überzeugten.

In diesem Zwangsarbeitslager waren auch zehn katholische deutsche Priester, ältere, bejahrte Männer gehalten worden. Sie wurden zwar nicht auf Arbeit außerhalb des Lagers getrieben, mußten aber im Lager allerhand Hausknechtsarbeit verrichten, Holz schneiden, Hof kehren und dergleichen mehr. Einer von ihnen war inzwischen gestorben. Diese Priester waren auch


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schon schlecht ernährt und herabgekommen, sahen aber doch nicht so zerrissen und zerlumpt aus wie die anderen. Sie waren aber alle sehr niedergedrückt und litten offenkundig schwer unter dem demütigenden Joche, das sie trugen 7 . Als wir das Lager verließen, um über die ungarische Grenze zurückgebracht zu werden, weinten unsere zurückbleibenden unglücklichen Landsleute und priesen uns glücklich, daß wir dieses unselige Land wieder verlassen können.

In Subotica angekommen, wurden wir in einen nach Ungarn fahrenden Zug einwaggoniert, unter bewaffnetem jugoslawischem Geleit bei Kelebia über die Grenze gefahren und auf ungarischem Boden freigelassen. - Das weitere über meine Reise habe ich eingangs berichtet.