c. Wirtschaftlich-soziale Struktur.

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Von den 745 421 rumänischen Staatsbürgern deutscher Volkszugehörigkeit des Jahres 1930 wurden 192 879 in den Städten, 552 542 in ländlichen


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Gemeinden gezählt. Der Anteil der städtischen Bevölkerung lag für die Deutschen mit 25,9% über dem Landesdurchschnitt (20 %), da die Rumänen zu 83,4 % Landbewohner waren47. Schematische Statistiken dieser Art geben allerdings kein zuverlässiges Bild der sozialen Schichtung; zahlreichen Ackerbürgern in den Kleinstädten des Ostbanats standen Gewerbetreibende und Industriearbeiter in den ländlichen Großgemeinden des Westens gegenüber. Grundsätzlich muß auch eine Betrachtung der wirtschaftlichen und sozialen Lage des rumänischen Deutschtums die strukturellen Verschiedenheiten der einzelnen Siedlungsgebiete beachten. Dennoch bleibt allgemein festzustellen, daß die Mehrzahl der deutschen Siedler, in Siebenbürgen wie in den Kolonisationsgebieten, im Banat, in Sathmar und Bessarabien, als Bauern ins Land gekommen waren, daß geschlossene bäuerliche Siedlungen die breite Grundlage des rumänischen Deutschtums stellten.

Die Siebenbürger Sachsen bildeten die wirtschaftlich bedeutendste und zugleich die in ihrer sozialen Gliederung ausgewogenste unter den deutschen Gruppen Groß-Rumäniens. Neben dem Bauerntum der sächsischen Dörfer, in denen die Höfe mittlerer Größe (zwischen 5 und 10 ha) überwogen, fand sich in den Städten eine alteingesessene bürgerliche Schicht von Handwerkern, Geschäftsleuten, Beamten und Akademikern. Auch in den Städten und Großgemeinden des Banats hatte sich freilich neben und aus dem wohlhabenden schwäbischen Bauerntum heraus ein breiter bürgerlicher Mittelstand von Gewerbetreibenden, Kaufleuten und Akademikern gebildet; der relativ hohe Prozentsatz deutscher Arbeiter in den Industrieorten des Berglandes wie in den zunehmend industrialisierten Städten Temeschburg und Arad schuf hier besondere soziale Probleme48. In der schwäbischen Bevölkerung des Sathmar-Gebiets war das bäuerliche Element klar vorherrschend, wobei die ursprünglichen Siedlerstellen durch Realteilung mehr noch als im Banat49 zerstückelt worden waren. In noch stärkerem Maße als in den donau-


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schwäbischen Gebieten blieb in den deutschen Dörfern Bessarabiens das Bauerntum bestimmend. Obwohl den reichen Großbauern der alten Kolonistendörfer um Tarutino in den jüngeren Ansiedlungen — in Bessarabien wie in der angrenzenden Dobrudscha — oft kaum lebensfähige Klein- und Kleinstbetriebe gegenüber standen50, waren Gewerbe und Kleinindustrie in beiden Gebieten kaum entwickelt51. In der Bukowina hatte das im wesentlichen ungesteuerte Einströmen deutscher Siedler die Herausbildung eines organischen Sozialgefüges innerhalb der deutschen Bevölkerung verhindert. Neben einer unverhältnismäßig hohen Zahl von Beamten und Rentnern als Hinterlassenschaft der österreichischen Verwaltung fanden sich hier Angehörige fast aller Berufsklassen, Kaufleute und Handwerker, Arbeiter, Häusler und schließlich — vor allem in Nordosten der Provinz — auch Bauern in größerer Zahl52.


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Die Zerschlagung des südosteuropäischen Großwirtschaftsraumes beließ die Nachfolgestaaten Österreich-Ungarns in einer durch die allgemeine Nachkriegsentwicklung der Weltwirtschaft noch verschärften Krisensituation, die in Rumänien in den Jahrzehnten zwischen den Kriegen trotz der natürlichen Reichtümer des Landes nie ganz behoben werden konnte. Das innerhalb der deutschen Bevölkerung des Landes dominierende Bauerntum war von dem Verlust seiner alten Absatzgebiete, den Schwierigkeiten der Einordnung in das Gefüge der rumänischen Wirtschaft zunächst in besonders starkem Maße betroffen. Die rumänischen Agrarreformen der Jahre 1921 bis 1924 trafen — neben dem korporativen Besitz deutscher kirchlicher und kultureller Institutionen in Siebenbürgen und im Banat — vor allem das Großbauerntum Bessarabiens53. Die Bevorzugung von Stammes-Rumänen bei der Bodenverteilung bewirkte eine rumänische Unterwanderung deutscher Gemeinden. Da die Aufteilung der großen Güter die Möglichkeit neuen Bodenerwerbs auch für die Folgezeit stark einschränkte, sahen sich zahlreiche deutsche Bauern, insbesondere aus dem Banat und aus Bessarabieu, zur Auswanderung getrieben54. Die im Vergleich zu den oft noch rückständigen rumänischen Bauernwirtschaften intensivere Bewirtschaftung der deutschen Höfe und die hochstehende Viehzucht ließen die vielfach genossenschaftlich zusammengefaßten deutschen Bauern jedoch trotz der geschilderten Schwierigkeiten bald wesentlich zu den Überschüssen des Landes beitragen.

Besonders stark war der deutsche Anteil an Handwerk und Kleingewerbe des neuen Gesamtstaates, der auf rund 25 % geschätzt wurde55. Auch in der noch in der Entwicklung begriffenen rumänischen Industrie, sowie in Handel und Geldwirtschaft waren die devitschen Positionen nicht zu übersehen56. Besonders in den gehobenen Berufssparten machten sich jedoch gewisse — schon in den Agrarreformen wahrnehmbare — nationalitätenfeindliche Tendenzen der rumänischen Politik hemmend bemerkbar.

Chauvinistisch-nationale Ressentiments, die bei den Rumänen sehr viel schwächer ausgebildet waren, als bei Slawen und Madjaren, hatten auf die


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Nationalitätenpolitik des groß-rumänischen Staates im ganzen nur geringen Einfluß. Besonders die rumänischen Liberalen entwickelten jedoch einen an französischen Staatsprinzipien orientierten Etatismus und Zentralismus, der die Stellung ihrer Politiker zur Minderheitenfrage bestimmte. Konnte dies einerseits zur Gewährung einzelner Konzessionen, besonders auf kulturellem Gebiet führen, um die Einfügung der zahlenmäßig starken Minderheiten in den Rahmen des Gesamtstaates zu erleichtern, so mußte der Staat auf der anderen Seite darauf bedacht sein, die Stellung des rumänischen Staatsvolkes gegenüber den in mancher Hinsicht zunächst überlegenen nationalen Minoritäten mit allen Mitteln zu stärken. Diskriminierende Maßnahmen der verschiedensten Art, das Bakkalaureat57, rumänische Sprachprüfungen und der Zwang zur „Nostrifizierung” im Ausland erworbener akademischer Grade vor rumänischen Prüfungskommissionen erschwerten den Zugang zur Beamtenlaufbahn wie zu den akademischen Berufen58.

Gefährlicher waren die immer wieder auflebenden Bestrebungen rumänischer Politiker, den sogenannten „numerus valachicus” — eingeführt zunächst an den Hochschulen als Mindestquote volksrumänischer Studenten — nicht nur auf die Verwaltung, sondern auch auf die gewerbliche Wirtschaft auszudehnen. Ein entsprechender Gesetzentwurf, der im Jahre 1937 veröffentlicht wurde, konnte freilich nur in stark gemilderter Form verwirklicht werden59.