b. Evakuierung und Flucht aus den Randgebieten Siebenbürgens und des Banats.

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Hatte sich die militärische Situation im Inneren Rumäniens schon wenige Tage nach dem Umsturz zugunsten der neuen Regierung geklärt, so war die Lage an den Grenzen im Norden und Westen des Landes zunächst völlig unübersichtlich. Die in den Randprovinzen stationierten deutschen Truppen waren im allgemeinen ungehindert nach Ungarn und Serbien abgerückt. Die zerschlagenen Reste der deutschen 6. und 8. Armee sammelten sich im Gebiet des Szeklerlandes und suchten von dort aus, im Osten auf den Höhenzügen der Karpaten, im Westen dem Verlauf der Schiedsspruch-Grenze folgend, neue Fronten zu schaffen. Obergruppenführer Phleps wurde zum Bevollmächtigten General und Höheren SS- und Polizeiführer in Siebenbürgen ernannt, doch fehlte es auch ihm an einsatzfähigen Truppen. Lediglich die rasch nach Nord-Siebenbürgen geworfene 8. SS-Kavalleriedivision (Standartenführer Rumohr) bot einen gewissen Halt. Im übrigen war die fast 1000 Kilometer lange Grenze von Siebenbürgen bis zum Eisernen Tor kaum gesichert. Erst allmählich wurden die ungarischen Grenzschutzeinheiten durch neu herangeführte deutsche und


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ungarische Divisonen verstärkt34. Freilich standen auch auf rumänischer Seite außer der Grenzbewachung zunächst nur geringfügige reguläre Truppen, die an ein Vorgehen nicht denken konnten. Versprengten deutschen Soldaten, aber auch Volksdeutschen Flüchtlingen aus Siebenbürgen und dem Banat gelang es in zahlreichen Fällen, die nur unzureichend bewachten Grenzen zu überqueren35.

Das Einströmen der Sowjetarmeen nach Innerrumänien vollzog sich' überraschend langsam; ein größerer Teil der sowjetischen Truppen wurde zur Besetzung Bulgariens nach Süden abgezweigt. So sah sich die inzwischen neu formierte Heeresgruppe Frießner — ab 24. September H.Gr. Süd — ermutigt, einen Gegenstoß anzusetzen, der unter Umständen zur Wiedergewinnung Süd-Siebenbürgens und zur Sperrung der südlichen Karpatenpässe vor dem Heranrücken der Sowjets führen sollte36.

Am 5. September traten Einheiten der ungarischen 2. Armee und der deutschen „Gruppe Siebenbürgen” (Phleps) aus dem Raum Klausenburg— Neumarkt zum Angriff an37. Das Erscheinen sowjetischer Spitzen in Kronstadt am 7. September machte die weiter gefaßten Pläne trotz guter Anfangserfolge illusorisch. Doch gelang es den deutsch-ungarischen Kräften in den harten Kämpfen der nächsten Wochen, die Front nach Räumung des Szekler-Zipfels an der Mieresch-Linie vorläufig zum Stehen zu bringen (25. September)38.

Die geflüchteten Funktionäre der deutschen Volksgruppe unter Andreas Schmidt hatten versucht, in Nord-Siebenbürgen aus Volksdeutschen SS-Urlaubern und geflüchteten Siebenbürgern provisorische Hilfseinheiten zur Befreiung Siebenbürgens zusammenzustellen39. Mit Unterstützung der Division „Florian Geyer” gelang es diesen in den ersten Tagen des deutsch-ungarischen Vorgehens, am 7. und 8. September, die Deutschen der am Südrande des Szekler-Zipfels gelegenen Dörfer Katzendorf und Draas40, sowie die sächsischen Gemeinden Zendersch, Zuckmantel, Felldorf, Maniersch und Rode südlich Neumarkt zu evakuieren41. Weitere Aktionen scheiterten am Vordringen der Russen, die die Nachbarorte bereits besetzt hatten. Die Evakuierten, die zum Teil in Trecks mit ihren Gespannen, ihrem Vieh, zum


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Teil unvorbereitet und nur „in den Arbeitskleidern” geflohen waren42, wurden über Neumarkt nach Sächsisch-Reen geführt und dort der anlaufenden Evakuierung Nord-Siebenbürgens angeschlossen.

Im Gegensatz zur Führung der Deutschen Volksgruppe in Rumänien unter Andreas Schmidt hatte sich die Gebietsleitung der Volksgruppe in Nord-Siebenbürgen, die seit dem Wiener Schiedsspruch Budapest unterstellt war, schon im Frühjahr 1944 mit Evakuierungsplänen befaßt43. Nord-Siebenbürgen war seit dem im März 1944 erfolgten Einbruch der Sowjets in die Bukowina und nördliche Moldau unmittelbares Hinterland der Front44. Bereits im Herbst 1943 hatten die Trecks der vor der Roten Armee geflüchteten Schwarzmeer- und Krim-Deutschen Nord-Siebenbürgen passiert; im April 1944 waren ihnen 63 000 Transnistrien-Deutsche, im Juni Trecks und Transporte mit Volksdeutschen aus der Ukraine gefolgt45. In der Betreuung dieser Flüchtlinge sammelte die Volksgruppe Erfahrungen. Sie kaufte zurückgelassene Gespanne an, teilte die nordsiebenbürgischen Gemeinden für deu Ernstfall in Treckgruppen ein, bestimmte Treckleiter, legte Verpflegungs- und Sanitätsstationen fest und sprach die Pläne in Budapest mit der Volksgruppenführung und mit reichsdeutschen Stellen (Volksdeutsche Mittelstelle) ab46.

Nach der rumänischen Kapitulation wurden die Vorbereitungen intensiviert. Am 5. September gab Obergruppenführer Phleps, der selbst Siebenbürger war und daher bei der Volksdeutschen Führung Vertrauen genoß, Weisung, die Evakuierung zu beginnen —- ungeachtet der gleichzeitig einsetzenden Angriffsoperationen47. Die ungarischen Behörden machten zunächst Schwierigkeiten. Nach Rückfrage in Budapest gab der Obergespan des Komitats Maros-Torda jedoch am 10. September Befehl, allen, die das Komitat freiwillig verlassen wollten, den Weg freizugeben48; gelegentlich war dann sogar von einem Räumungsbefehl des Oberstuhlrichters die Rede49. Am 10. September abends gab die Kreisleistung der Volksgruppe den Startbefehl für die deutschen Gemeinden um Sächsisch-Reen, deren Trecks sich in den folgenden Tagen nach Nordwesten in Bewegung setzten50. Zwischen dem 17. und 20. September folgten die Trecks des Bistritzer Kreises51.


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Frauen und Kinder waren zum Teil schon vor dem Aufbruch der Trecks mit Militärfahrzeugen und Bahntransporten vorausgeschickt worden52. Auch die bürgerliche Bevölkerung der Städte Sächsisch-Reen und Bistritz wurde mit Transportzügen evakuiert, deren letzter Bistritz erst am 9. Oktober verließ53. Auf den Döfern zogen nicht selten auch Pfarrer und Lehrer, Ärzte und Apotheker im Treck mit54. In ihrer großen Mehrzahl leisteten die sächsischen Bewohner der mehr als vierzig nordsiebenbürgischen Gemeinden den Räumungsbefehlen der Volksgruppenführung, die freilich gelegentlich von einer Räumung für wenige Tage oder doch nur einige Wochen sprachen55, ohne Widerspruch Folge, so schwer ihnen das Verlassen der angestammten Heimat wurde56'. Zögernde wurden allerdings von Wehrmacht, SS und in einzelnen Fällen sogar ungarischer Gendarmerie mit Nachdruck zur Räumung aufgefordert57; einzelne zurückgebliebene Familien wurden noch Anfang Oktober von Räumkommandos der SS gewaltsam evakuiert58. Nachdem zwischen dem 10. und 12. Oktober mit den abrückenden deutschen Truppen auch die letzten zum Schutz der geräumten Dörfer zurückgelassenen Nachhuten abgezogen waren59, dürften die sowjetischen Truppen bei ihrem Einmarsch in Nord-Siebenbürgen nur noch sehr vereinzelt deutsche Bewohner angetroffen haben.

Die Größe der Trecks schwankte, den Einwohnerzahlen der einzelnen deutschen Dörfer entsprechend, zwischen 50 und 400 Fuhrwerken, die zum Teil mit Pferden, zum Teil mit Ochsen oder Kühen bespannt waren. Geführt von den Ortsleitern, vielfach aber auch von Urlaubern der


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Waffen-SS60, zogen die Wagenkolonnen in Tagesmärschen von 25 bis 40 km auf der festgelegten Route über Dej zunächst nach Sathmar—Groß-Karol, dessen Umgebung an sich als vorläufiges Aufnahmegebiet vorgesehen war61. Doch kam es hier nur in einzelnen Fällen zu mehrtägigen Aufenthalten, da das Vordringen der Russen im Raum Großwardein die rasche Weiterfahrt ratsam erscheinen ließ62. Größere Teile, vor allem der zu langsam vorankommenden Hornviehtrecks, wurden in Dej und Karol aufgelöst und auf Güterzüge verladen63. Die übrigen zogen — zum Teil mit neu eingetauschten Pferden — weiter, in Richtung Nyiregiháza, Miskolc; sie durchquerten Nord-Ungarn und gelangten, nördlich an Budapest vorbei, über Waitzen an den Donauübergang bei Gran, der im allgemeinen Mitte Oktober passiert wurde64. Auf der weiteren Fahrt über Komorn—Raab oder südlich über Kisbér wurden zum Teil mehrwöchige Pausen eingeschoben; gelegentlich wurden die Flüchtlinge auch zum Ernteeinsatz auf ungarischen Dörfern herangezogen65.

Im ganzen ereigneten sich im Verlauf der Trecks keine ernsthafteren Zwischenfälle. Verluste durch Tieffliegerangriffe waren trotz häufigen Alarms selten66. Es kam allerdings wiederholt zu Straßenverstopfungen durch vor- oder zurückgehende deutsche Truppen, so daß gelegentlich Umwege gewählt werden mußten67. Schwierigkeiten ergaben sich besonders an den Theiß-Übergängen bei Tiszafüred und Polgár68. Die Versorgung, insbesondere mit Futtermitteln, verlief nicht immer reibungslos, so daß oft zur Selbsthilfe gegriffen werden mußte69. Erst ab Waitzen standen in


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regelmäßigen Abständen Verpflegungsstationen zur Verfügung70. Das Verhalten der ungarischen Behörden war unterschiedlich; versuchten sie die Trecks einmal an der Weiterfahrt zu hindern, so erwiesen sie sich an anderen Orten als hilfsbereit71. Betont unfreundlich verhielt sich in manchen der passierten ungarischen Gemeinden die deutsch-schwäbische Bevölkerung72. Die Rücksichtslosigkeit einzelner Wehrmachteinheiten gab gelegentlich Anlaß zu Beschwerden73; andererseits trug gerade die Wehrmacht wesentlich zur Versorgung und Verpflegung der Flüchtlinge bei74. Der durch deutsches Eingreifen rasch niedergeschlagene Umsturzversuch der ungarischen Regierung (15. Oktober) verursachte nur vorübergehend Beunruhigung75.

Die ersten Trecks der Nord-Siebenbürger überquerten die damalige Reichsgrenze westlich Ödenburg bereits Mitte Oktober, die letzen um den 6. November76. In Auffanglagern des österreichischen Grenzgebiets erhielten die Flüchtlinge ihre weiteren Anweisungen, so daß sie zum großen Teil unmittelbar über Sankt Polten in die zur Aufnahme vorgesehenen Kreise Nieder- und Oberösterreichs weiterziehen konnten77. Sie hatten mit ihren Gespannen zum Teil über 1000 km zurückgelegt78.

Sehr viel schwieriger als die Trecks gestalteten sich wider Erwarten die Bahntransporte, die in sehr viel stärkerem Maße den immer zahlreicheren Angriffen der angloamerikanischen und rumänischen Jagdbomber ausgesetzt waren79. Konnten die ersten Flüchtlingszüge zum Teil ungehindert bis Budapest oder sogar Wien durchfahren80, so wurden die späteren Transporte durch blockierte Strecken, zerstörte Bahnhöfe und Brücken, sowie durch mangelndes Entgegenkommen seitens der ungarischen Behörden immer wieder aufgehalten81. Das zur Verfügung gestellte Wagenmaterial,


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zum Teil flache, ungedeckte Schotterwagen, ließ oft zu wünschen übrig, so daß die Lebensbedingungen im Verlauf der wochenlangen Fahrt in manchen Zügen unerträglich wurden82. Die Transporte wurden in der Mehrzahl über Miskolc durch die Slowakei und das damalige Generalgouvernement, über Kaschau, Neusandez nach Oberschlesien geführt, wo sie erst in der zweiten Oktoberhälfte eintrafen83. Die auf dem Schienenwege abtransportierten Flüchtlinge fanden, getrennt von ihren getreckten Landsleuten, in Lagern der Volksdeutschen Mittelstelle in Oberschlesien und im Sudetenland Unterkunft84.

Der Bistritzer Gebietsleitung unterstanden auch die Karpato-Ukraine und das Sathmarer Siedlungsgebiet, für die ein besonderer Evakuierungsplan ausgearbeitet worden war85. Am 6. Oktober verließen die letzten Trecks der Nord-Siebenbürger den Sathmarer Raum86. Wenige Tage später konnte nach schwierigen Verhandlungen mit der ungarischen Regierung auch für die schwäbischen Dörfer des Sathmarer Kreises der Evakuierungsbefehl gegeben werden87. Die zu einem großen Teil madjarisch gesinnten, ja ungarisch sprechenden Schwaben folgten den Aufrufen der Volksgruppe jedoch nur zum kleinen Teil. Bei den von der angestrebten Wiedererweckung des Deutschtums nur teilweise tiefer berührten schwäbischen Bauern überwog das Festhalten an der Scholle, das durch ungarische Gegenpropaganda gestützt wurde. Dennoch brachen einige Gemeinden — Scheindorf, Kriegsdorf, Burlescht — am 10. Oktober fast vollzählig auf88. Kleinere Trecks aus anderen Orten schlössen sich an89. Sie folgten — zeitweise nur wenige Kilometer von der Front entfernt90 — dem Marschweg der Siebenbürger, wurden allerdings südlich Budapest über Budaörs, Kisbér nach Ödenburg geführt91. Ein Teil der Flüchtlinge wurde in Budaörs verladen und auf dem Schienenwege nach Thüringen gebracht; die übrigen fanden wie die Siebenbürger in Österreich Aufnahme, wo sie im Laufe des November eintrafen92.


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An der Westgrenze Rumäniens, von Großwardein bis zum Eisernen Tor, gab es in den ersten Tagen nach dem 23. August keinerlei militärische Fronten, Wie Andreas Schmidt in Neumarkt versuchte Andreas Rührig, der Stabsführer der deutschen Volksgruppe, in Groß-Kikinda aus SS-Urlaubern, Flüchtlingen und rumänischen Legionären eine Einsatzgruppe aufzustellen, die jedoch nur geringen Kampfwert besaß93. Anfang September traf aus Griechenland die der Heeresgruppe F (Generalfeldmarschall v. Weichs) unterstellte 4. SS-Polizei-Panzergrenadierdivision (Oberführer Schmedes) im serbischen Banat ein. Erst als von Süden weitere deutsche Kräfte nachrückten, während sich an der ungarischen Grenze die 3. ungarische Armee formierte, konnte hier an weiterreichende Aktionen gedacht werden94. Nach einem ersten vorbereitenden Vorstoß bis in die Nähe von Temeschburg95 schritten; die zahlenmäßig noch immer unzureichenden deutschen und ungarischen Trupepn zwischen dem 13. und 15. September zum Angriff, der auch hier zur Gewinnung der Karpatenpässe vor dem Anrücken der nördlich abgelenkten Sowjets führen sollte96'. Im Norden drangen ungarische Truppen nach der Einnahme von Arad bis Lippa vor, während ganz im Süden deutsche Einheiten (wohl Teile der 117. Jägerdivison) bis Steierdorf-Anina im Banater Bergland gelangten97. Die im Zentrum angreifende Polizei-Division stieß jedoch beiderseits Temeschburg bereits auf sowjetische Truppen und konnte die Einnahme der Stadt nicht mehr erzwingen. Als die im Nordabschnitt kämpfenden Ungarn am 19. September vor den vordrängenden Russen zurückwichen — Arad wurde in der Nacht vom 19. zum 20. aufgegeben — war die Lage auch im Süden nicht mehr zu halten98. Dennoch war vorübergehend der größte Teil des schwäbischen Siedlungsgebiets im Banat von den angreifenden Truppen besetzt.


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Die im Mittelabschnitt eingesetzte „Kampfgruppe Behrens” arbeitete bewußt auf eine systematische Evakuierung der deutschen Bevölkerung hin”” Unmittelbar nach dem Eindringen der deutschen Truppen wurde in den schwäbischen Gemeinden östlich Temeschburg zur Evakuierung aufgerufen, so daß sich erste Wagenkolonnen mit Volksdeutschen Flüchtlingen bereits am 15., 16. und 17. September in Marsch setzten100. Freilich schloß sich vielfach nur ein Teil der deutschen Bevölkerung — in Gertianosch etwa die Hälfte — den Trecks an, die überdies zumeist schon unmittelbar jenseits der serbischen Grenze, in Groß-Kikinda, Zerne oder Stefansfeld Halt machten101. Zahlreiche Flüchtlinge kehrten in den nächsten Tagen, als die Lage sich vorübergehend zu festigen schien, in ihre Heimatgemeinden zarück, um dann unter Umständen erneut zu fliehen102. Andere wurden in den serbischen Aufnahmeorten vom sowjetischen Vormarsch überrollt und später nach Rumänien zurückgeführt103. Die Lage war denkbar unklar. Die Parolen wechselten. Am stärksten wirkte sich dies in den deutschen Dörfern um Arad aus, da die Ungarn sich offen gegen die Evakuierung aussprachen, ja sie in manchen Orten regelrecht untersagten104. Das Durcheinander der Befehle, die unklare Kompetenzverteilung und bis zu einem gewissen Grade das Versagen der zur Organisation herangezogenen Vertreter der Volksdeutschen Mittelstelle machten eine systematische Evakuierung in vielen Dörfern unmöglich105.

Einige Gemeinden in der Temeschburger Heide brachen dennoch in geschlossenen Trecks auf, mit Pferdegespannen, zum Teil sogar mit Traktoren, und zogen durch das serbische Banat — gelegentlich von Partisanen belästigt — über Groß-Kikinda, Rudolfsgnad nach Ungarn106. Im südlichen Bergland wurden die über 6000 deutschen Bewohner von Steierdorf-Anina auf Befehl eines deutschen Majors am 16. September ohne Rücksicht auf Widerstände evakuiert und mit Lastwagen nach Werschetz gefahren, wo sie in Güterzüge verladen wurden107. Im Arader Raum kam es zum Teil zu regelloser Flucht, unmittelbar vor den anrückenden Sowjets, so daß sich größere Trecks erst nach dem Überschreiten der Grenze auf ungarischem Gebiet formieren konnten108.


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Im Nordwest-Teil des Banats, der länger gehalten und zum Teil von den nach Norden durchstoßenden Griechenland-Truppen und Einheiten der 7. SS-Gebirgsdivision „Prinz Eugen” nach mehrtägiger sowjetischer Besetzung noch einmal zurückerobert wurde, konnten die deutschen Gemeinden der Bezirke Groß-Sankt Nikolaus und Perjamosch noch in den ersten Oktobertagen evakuiert werden109. Ihre Trecks gerieten verschiedentlich in die Schußlinie der nachdrängenden Front, so daß auch Verluste an Menschenleben zu beklagen waren. In der Mehrzahl gelang es ihnen jedoch, die Straße nach Szeged zu gewinnen und von dort ungestört nach Westen weiterzuziehen. Die Strapazen waren zum Teil ungeheuer, da oft Tag und Nacht durchgefahren werden mußte; Strecken von bis zu 100 km wurden ohne Rast zurückgelegt110.

An den Donauübergängen bei Baja und Dunaföldvar trafen die Flüchtlinge auf die Straße der durch Jugoslawien gezogenen Trecks, Östlich vom Plattensee vorbei, durch den Bakonywald (Veszprém) zogen die Fuhrwerke der Schwaben auf vielfach verstopften und überlasteten Straßen der deutschen Grenze zu. Zumeist erreichten sie diese noch vor den Siebenbürgern, in der zweiten Oktoberhälfte, um von dort ohne Aufenthalt in ihre Aufnahmegebiete, in erster Linie die niederösterreichischen Kreise nördlich der Donau, an der Grenze nach Mähren hin, weitergeleitet zu werden111. Zu einem kleinen Teil waren auch Banater Flüchtlinge mit Bahntransporten von Kikinda durch Süd-Ungarn oder auch durch Jugoslawien über Belgrad zurückgeführt worden112.

Die Gesamtzahl der von Ende August bis Anfang Oktober 1944 aus dem heutigen rumänischen Staatsgebiet evakuierten Volksdeutschen ist schwer zu bestimmen. Ein Monatsbericht der Volksdeutschen Mittelstelle nennt für Nord-Siebenbürgen Ende November 1944 insgesamt 48 000113. Die ca. 2500 Angehörigen der Sathmarer Trecks114 wie, auch die Flüchtlinge aus den südsiebenbürgischen Randgemeinden dürften in dieser Zählung einbegriffen sein115. Die Zahl der evakuierten Banater Schwaben lag andererseits sicher


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über den damals von der VOMI nachgewieseneu 12 500 Personen116. Selbst die von einem Teilnehmer der Evakuierungsaktion genannte Zahl von 36 000 greift wahrscheinlich zu niedrig117. Insgesamt werden sich somit bei Kriegsende nahezu 100 000 Volksdeutsche Flüchtlinge aus Rumänien auf dem Boden des damaligen Deutschen Reiches befunden haben118. Der größere Teil der Sachsen und Schwaben blieb jedoch in Rumänien zurück.