c. Der Einmarsch der Sowjets. — Die Verschleppung.

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Am 31. August 1944 rückten die Spitzen der Roten Armee in Bukarest ein. Am 7. September erreichten sie nach Überschreitung der Karpaten Hermannstadt und Kronstadt, um in den folgenden Tagen auch das übrige Süd-Siebenbürgen zu besetzen. Dem Einmarsch in Temeschburg und Arad — 17./2l. September — folgten die Kämpfe mit den zurückgehenden deutschen Truppen im Nordwesten des Banats. Nach dem Durchbrach der am 6. Oktober beginnenden sowjetischen Offensive südlich Großwardein mußten auch Nord-Siebenbürgen und das Sathmar-Marmarosch-Gebiet preisgegeben werden, so daß Ende Oktober das gesamte Vorkriegs-Territorium des rumänischen Staates durch die Sowjets besetzt war.

Der Einzug der sowjetischen Kampftruppen, die als „Freunde” und „Verbündete” Rumäniens kamen, vollzog sich verhältnismäßig diszipliniert119. Besonders in den Städten suchten die russischen Kommandeure die Ordnung durch Alkoholverbote, Kontrollstreifen und strenge Bestrafungen zu wahren120 Überfälle auf Straßenpassanten, denen Uhren, Schmuck und andere Wertsachen abgenommen wurden, waren freilich nicht zu verhindern. In den Außenbezirken wie in den umliegenden Dörfern kam es zu einzelnen Gewalttaten, zu Plünderungen und Vergewaltigungen, von denen jedoch Rumänen, Deutsche und Madjaren gleichmäßig betroffen wurden121. Rücksichtsloser hauste die sowjetische Soldateska in den im Kampf


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eroberten Gebieten122. Im Banater Kampfgebiet wurden die Bewohner einiger Gemeinden von den Sowjets vorübergehend evakuiert, um ihre Besitzungen bei der Rückkehr geplündert vorzufinden123.

Richtete sich das Vorgehen der Sowjets nur in beschränktem Maße gegen die Volksdeutschen, so gab ihr Einmarsch doch zugleich dem ortsansässigen rumänischen Pöbel freie Hand. Besonders in den von den deutschen Bewohnern ganz oder teilweise geräumten Gemeinden plünderten Zigeuner und Rumänen ungehindert124. Auch die zurückgebliebenen deutschen Bauern waren Übergriffen im allgemeinen schutzlos preisgegeben; ihre Weinkeller wurden geleert, ihr Vieh weggetrieben, wenn man sie nicht überhaupt kurzerhand von ihren Höfen verjagte125. In ähnlicher Form kam es auch in den Städten, in denen sich die zahlenmäßig zunächst unbedeutenden Kommunisten rasch in den Vordergrund drängten, zu willkürlichen Übergriffen. Der kommunistisch gesteuerten Propaganda gegen Kriegsverbrecher, Faschisten und Kapitalisten folgten Haussuchungen und Verhaftungen; zahlreiche Familien wurden aus ihren Wohnungen verdrängt, anderen wurden Möbel, Kleider oder sonstige Wertgegenstände beschlagnahmt126. Diese örtlichen Gewaltmaßnahmen hatten freilich keinen systematischen Charakter.

Zu den von den Sowjets geforderten Arbeitsleistungen wurden schon in den Herbstmonaten in zunehmendem Maße Volksdeutsche herangezogen, wobei mancherorts besonders auf die Angehörigen der SS-„Freiwilligen„ zurückgegriffen wurde. Die Männer wurden zur Instandsetzung des Hermanstädter Flugplatzes, zu Straßen- und Gleisarbeiten eingesetzt, während die Frauen in russischen Lazaretten aushelfen mußten127. Dennoch verliefen die ersten Monate nach der sowjetischen Besetzung im allgemeinen ruhiger, als man erwartet hatte128.

Schon unmittelbar nach der rumänischen Kapitulation war gelegentlich von einer bevorstehenden Deportation der Volksdeutschen die Rede gewesen129. Stärker noch als die erste Registrierung Ende August waren erneute Zusammenstellungen aller arbeitsfähigen Deutschen im Oktober und November des Jahres mit Mißtrauen aufgenommen worden130. Gegen Ende des Jahres verstärkten sich die Gerüchte über eine unmittelbar bevor-


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stehende Verschleppung131; durchfahrende Züge mit verschleppten Volksdeutschen aus Jugoslawien mußten die Unruhe noch vermehren132.

Anders als Ungarn oder die von den Sowjets besetzten deutschen Ostgebiete galt Rumänien nicht als „Feindesland”133. Die rumänische Regierung vermochte sich der von den Sowjets geforderten Stellung von Arbeitskräften für den Wiederaufbau in der Sowjetunion dennoch nicht ganz zu entziehen, doch wurde die Aktion im wesentlichen auf die arbeitsfähigen Jahrgänge der Volksdeutschen Bevölkerung beschränkt134. Ob und wieweit die von der geflüchteten Volksgruppenführung unter Andreas Schmidt im November 1944 organisierten Sabotageaktionen hinter der rassisch-rumänischen Front die Deportationspläne beeinflußt haben, muß dahingestellt bleiben135. Sicher haben sie die Bemühungen Volksdeutscher Politiker, die Verschleppung zu verhindern oder doch einzuschränken, ernsthaft beeinträchtigt. Hans Otto Roth, der anerkannte Sprecher der Siebenbürger Sachsen, versuchte in den ersten Januartagen gemeinsam mit dem Banater Dr. Franz Krauter, in direkter Aussprache mit Ministerpräsident Rădescu wie durch Vermittlung der demokratischen Parteiführer Maniu und Brătianu, durch den Nuntius und über den jüdischen Politiker Dr. Fildermann eine Milderung, einen Aufschub der geplanten Deportationen zu erreichen136. Doch blieben alle Interventionsversuche — auch anderer volkdeutscher Gruppen137 — erfolglos. Erste Meldungen über den Gang der Gespräche hatten freilich beruhigend gewirkt, so daß der unvermittelte Beginnt der Deportationen in Siebenbürgen um; so überraschender kam138.

Unter den Deutschen des Sathmar-Gebiets hatten die Deportationen schon am 2. und 3. Januar begonnen139. Nachdem die Aktion in der Nacht


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vom 10. zum 11. Januar 1945 in Kronstadt und Bukarest angelaufen war, setzten die Aushebungen fast schlagartig im ganzen Lande ein140. Im Gegensatz zu der wilden Menschenfängerei serbischer Partisanen in Süd-Ungarn141 vollzog sich die Deportation in Rumänien nach einem von den rumänischen Behörden sorgfältig vorbereiteten Plan. Auf Grund der im Herbst durchgeführten Registrierung — zum Teil auch noch des in rumänische Hand gefallenen Nationalkatasters von 194l142 — wurden Listen der Deutschen zusammengestellt, die in die zur Deportation vorgesehenen Altersklassen fielen: Männer von 17 bis zu 45, Frauen von 18 bis zu 30 Jahren143; Übergriffe nach oben und unten waren vor allem auf dem Lande häufig144. Vor Beginn der Aktion wurden die Ortsausgänge vielfach durch Polizei, Militär, oder auch rumänische Freiwillige abgesperrt, Telefon, Telegraph und Eisenbahnbetrieb unterbrochen, so daß eine Flucht nur sehr begrenzt möglich war145. In den Städten gingen gemischte rumänisch-sowjetische Patrouillen von Haus zu Haus, um die Betroffenen auszuheben; zum Teil wurden sie völlig unvorbereitet in den Straßen aufgegriffen146. Die deutschen Einwohner auf den Dörfern wurden vielfach kurzerhand durch den Gemeindeboten oder Gendarmen aufgefordert, sich zu festgesetzter Zeit im Gemeindeamt oder in der Schule einzufinden147.

Ein Großteil leistete schon der ersten Aufforderung Folge, wobei man oft an einen der üblichen kurzfristigen Arbeitseinsätze glaubte148. Andere suchten sich zu verstecken, wurden aber durch die Razzien und Haussuchungen der folgenden Wochen nachträglich erfaßt; die Drohung, Eltern oder Verwandte als Geiseln zu verhaften, zwang manchen, sich freiwillig zu stellen149. Dennoch gelang es nicht wenigen, sich der Deportation zu ent-


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ziehen150. Trotz der damit verbundenen Gefahren erwiesen sich die rumänischen Nachbarn, ja selbst rumänische Beamte und Offiziere in vielen Fällen über Erwarten hilfsbereit151.

Die politische Haltung des einzelnen spielte bei den Aushebungen keine Rolle. Die Insassen der Internierunglager wurden ebenso betroffen152 wie die zum Teil aktiven deutschen Kommunisten des Industriezentrums Reschitza153 und die madjarisierten Schwaben des Sathmar-Gebiets154. Selbst die noch in der rumänischen Armee dienenden Deutschen sollten ausgehoben werden, wurden allerdings zum Teil von ihren Vorgesetzten gedeckt155. — Als die Aktion nach mehreren Wochen endgültig abgeschlossen wurde, waren insgesamt rund 75 000 Volksdeutsche deportiert worden156.

Das Schicksal der Ausgehobenen entsprach im allgemeinen dem ihrer Leidensgenossen aus Ungarn, aus Jugoslawien und den deutschen Ostgebieten, wenn sie auch als nominell „freiwillige” Aufbauarbeiter in Rußland im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten zum Teil günstiger behandelt wurden157.

Von Sammellagern in den Aushebungsorten wurden die Zwangsarbeiter zu Fuß oder mit Lastwagenkolonnen und Fuhrwerken zu den nächsten Bahnstationen gebracht, um dort unter Bewachung sowjetischer Soldaten in vergitterte Viehwagen verladen zu werden. In mehrwöchiger Fahrt wurden sie - in Jassy oder Kischinew in russische Breitspur-Waggons umgeladen — in die sowjetischen Arbeitslager übergeführt158. Die Mehrzahl fand in den Lagern des Donezbeckens um Stalino und Woroschilowgrad Unterkunft159.


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Ein Teil der Verschleppten kam allerdings schon diesseits des Dnjepr um Kriwoi-Rog und Dnjepropetrowsk zum, Einsatz160, während kleinere Gruppen bis in die Bergwerkslager beiderseits des Ural geführt wurden161.

Schon auf der langwierigen Fahrt in den überfüllten, primitiv eingerichteten Waggons hatten Hunger und Kälte die ersten Todesopfer gefordert. Den ungewohnten Anforderungen der schweren Arbeit unter Tage, bei Wald- oder Erdarbeiten waren viele gesundheitlich nicht gewachsen. Verpflegung und Bekleidung waren, zumindest in den ersten Jahren, sehr schlecht, so daß es trotz zum Teil fast wohlwollender Behandlung durch die sowjetischen Vorgesetzten zu zahlreichen Krankheits- und Todesfällen kaml162.

Schon im Spätsommer 1945 kehrten die ersten Krankentransporte nach Rumänien zurück163. Weitere Transporte mit Arbeitsunfähigen folgten. In den Jahren 1946/47 wurden diese Heimkehrerzüge allerdings fast ausschließlich über Frankfurt a. d. 0. nach Mitteldeutschland geführt164; eine Rückkehr nach Rumänien wurden den Angehörigen dieser Tranporte, die zum Teil jahrelang in sowjetzonalen Arbeitslagern oder zur Landarbeit eingesetzt wurden165, im allgemeinen nicht gestattet. Die Masse der Deportierten wurde in den Jahren 1948/49 nach Rumänien oder Deutschland zurückgeführt; die letzten konnten erst 1950/51 heimkehren166. Nach zuverlässigen Schätzungen muß mit einer Verlustquote von nahezu 15 % gerechnet werden: mehr als 10 000 kehrten nicht zurück. Von den Heimkehrern blieb fast die Hälfte in Deutschland und Österreich167.


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