Nr. 14: Improvisierte Flucht von Buşteni nach Kronstadt, Weiterfahrt auf Wehrmacht-Fahrzeugen bis zum Erreichen des Evakuierungstransports in Bistritz; zweite Flucht von Krappitz in Oberschlesien.

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Erlebnisbericht der Gerda Knopf aus B n ş t e u i, Plasa Sinaia, Judeţ Prahova in der Großen Walachei.

Original, April 1956, 7 Seiten, mschr.

Die Vfn. beginnt mit allgemeinen Bemerkungen zur Kennzeichnung der politischen Lage im Sommer 1944.

Und dann war das, was [mau] befürchtet hatte, plötzlich da, völlig un-


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erwartet für die in Rumänien stationierten deutschen Truppen. Der König gab am 23. 8. 44 die Waffenniederlegung Rumäniens bekannt!

Es hieß, daß Rußland in den Kapitulationsbedingungen u. a. von Rumänien einige Hunderttausend Arbeitskräfte für den Wiederaufbau gefordert habe. Es war uns klar, daß in dem Falle wir Deutschen als erste zur Zwangsarbeit nach Rußland kämen!

Was sollten wir tun, bis die deutsche Wehrmacht Nachschub bekäme? Denn daß die rumänische Front, zumindest der Karpatenbogen von den Deutschen gehalten würde, davon waren wir überzeugt. Bis aber dieser Nachschub käme, müßten wir ungern Heimatort Buşteni im Prahovatal verlassen, da hier sicher Kampfgebiet werden würde. In Sinaia und Predeal lag viel rumänisches Militär. Wie würde sich das verhalten, wie die rumänische Bevölkerung?

Die hatte anfangs darüber gejubelt, daß der Krieg nun zu Ende sei; nachher war dem Jubel eine abwartende Stille gefolgt. Buşteni hatte z. Z. seine Bevölkerungszahl mehr als verdoppelt durch Flüchtlinge und Evakuierte aus Bukarest; es zählte etwa 12 000 Einwohner. Unsere deutsche Volksgruppe war nur ein kleiner Teil davon, etwa 400 Leute. Dazu kam das Transportkommando der deutschen Wehrmacht, das in unserm Ort stationiert war, etwa 120 Mann. Würden diese von den Rumänen entwaffnet werden oder die Möglichkeit haben, abzuziehen? — Ein rumänischer General versprach, dem Transportkommando einen Zug zur Verfügung zu stellen. Der Kommandant, Oberstleutnant Schade, erwirkte die Erlaubnis, die deutschen Zivilisten mitzunehmen. Aber ein ganzer Tag verstrich und der versprochene Zug wurde nicht gestellt. Sollte man sich auf das Wort eines rumänischen Offiziers verlassen? Sollte man weiter warten? Das 40 km entfernte Kronstadt als größere deutsche Siedlung, wo viel deutsches Militär lag. erschien einem sicher. Wir glaubten, das würde gehalten, bis neue deutsche Truppen herangeführt würden. Deshalb wurde beschlossen, Frauen mit kleinen Kindern, Alte und Kranke mit LKW und PKW nach Kronstadt zu schicken. Noch waren die Landstraßen passierbar. Die anderen wollten versuchen — schlimmstenfalls zu Fuß über die Berge — nach Kronstadt zu gelangen. Mein Schwager bestand darauf, daß meine Mutter und ich auch mit einem Wagen sofort nach Kronstadt sollten (meine Mutter, weil sie so schwer zu Fuß war, und ich, weil ich infolge einer Mandeloperation, die kaum eine Woche zurücklag, noch sehr schwach auf den Beinen war). Ich war verzweifelt, daß ich mich von der Familie und den übrigen Buştenern trennen sollte; aber wir fügten uns, wir wollten den ändern keine Belastung sein. Im Falle der Eisenbahnzug des Transportkommandos zvistande käme, sollten alle Vorausgeschickten in Kronstadt zusteigen.

Am Spätnachmittag des 25. August 1944 kamen wir gut in Kronstadt an. Alles schien dort ruhig zvi sein, nur sah man überall Militärpatrouillen. In der Bahnhofgegend, der sogenannten Blumenau, waren es Rumänen, in der oberen Stadt Deutsche. Vom deutschen Militär waren Gymnasium, Mädchenschule, Volksschule und Sportplatz besetzt. Wir stiegen bei Verwandten ab, die in unmittelbarer Nähe des Sportplatzes wohnen.

Am andern Morgen erfuhren wir, daß der Zug mit den Buştenern in der


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Nacht durchgefahren sei. Mit der Verständigung hatte es nicht ganz geklappt. Einige wenige, darunter wir, konnten nicht verständigt werden. Wir waren zurückgeblieben, alle ändern unserer kleinen Gemeinschaft, die so sehr zusammenhielt, waren fort.

In Kronstadt wurde unter den Deutschen durchgegeben, die Bevölkerung solle sich ruhig verhalten. Man solle in die Keller gehn, es käme wahrscheinlich zu Schießereien, aber Kronstadt würde von der Wehrmacht auf alle Fälle gehalten werden. Viele von unsern deutschen Männern und Jünglingen stellten sich freiwillig und wurden — soweit der Vorrat reichte — in deutsche Uniformen eingekleidet. Schützengräben wurden ausgehoben und Maschinengewehre aufgestellt. So war die Lage mittags. Plötzlich um 2 Uhr nachmittags ging es wie ein Lauffeuer durch die Stadt: „Die deutschen Truppen ziehen ab! Rette sich, wer kann!” Ich stürzte zum Sportplatz: Fahrzeug auf Fahrzeug rollte von dort ab. Auf meine verzweifelte Frage, was aus uns würde, sagte ein Landser: „Wir nehmen jeden Deutschen mit, aber wir fahren in wenigen Minuten.” Es war wohl der schwerste Entschluß meines Lebens, den ich fassen sollte. Ich entschied für die Flucht. Ich rannte um meine Mutter und unsere paar Gepäckstücke. Ein LKW stand fahrbereit. Kisten und Geräte wurden verladen. Meine Mutter fand auf einem Kartoffelsack einen Sitzplatz, unsere Koffer wurden zwischen Maschinengewehren verstaut. Noch etwa 20 Zivilisten, mir unbekannte Kronstädter, z. T. ohne jedes Gepäck, wie sie gingen und standen, einige junge Mädchen, Angestellte der Volksgruppe, nur im Kleid, erkletterten in Hast den Wagen. Wir fuhren ab. Lange Kolonnen von Wehrmachtswagen bewegten sich gegen die ungarische Grenze, die damals infolge der Abtrennung Nordsiebenbürgens nur 20 km entfernt war. Würden wir durchkommen oder würden uns die Rumänen im letzten Moment aufhalten? Langsam nur kam man vorwärts. Überall standen Leute und baten, mitgenommen zu werden. Unser Wagen war zum Bersten voll1.

Das Wetter war klar und sonnig. Im Hintergrund standen unsere heimatlichen Berge; die Gipfel des Bucegi grüßten zu uns herüber. Würde ich diese Höhen, die ich so sehr liebe, noch einmal sehen?

Wir atmeten auf, als die Grenze hinter uns lag. In einem kleinen ungarischen Dorf kamen wir abends 10 Uhr an und sollten dort die Nacht verbringen. Anfangs saßen wir in einer Wehrmachtsdienststube, dann wurden


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uns Nachtquartiere in Privathäusern zugewiesen. Das Gepäck blieb auf den LKW. Erst am nächsten Vormittag sollte es weitergehen. Wir schliefen sehr unruhig. Draußen war es sehr laut, viele Fahrzeuge rollten vorüber, Kommandostimmen ertönten. Es hielt uns nicht länger im Haus. Wir eilten um 5 Uhr früh zur Dienststelle. Die war verlassen. Die Wagenkolonnen waren auf und davon — mit unserm Gepäck. Es hatte in der Nacht Alarm gegeben, die Russen waren bei Palanca durchgebrochen — Feuerschein — Schießen — sofortiger Aufbruchbefehl. Es war keine Zeit, alle Zivilisten von der Abfahrt zu verständigen. Wir standen da und besaßen nur noch die Kleider, die wir anhatten, nicht einmal eine Zahnbürste mehr hatten wir! Noch zwei Leidensgefährten besaßen wir: ein altes Ehepaar aus Câmpina; die Frau hatte sich in der Nacht den Arm gebrochen; als sie beim Alarm den Wagen besteigen wollten, war sie heruntergefallen. Wehrmachtswagen einer andren Einheit waren noch im Dorf. Es wurden Leitungen abmontiert. Man wollte uns mitnehmen und versicherte uns, daß wir unsere Einheit bestimmt irgendwann, irgendwo wieder treffen würden. Zum Glück wußte ich den Namen unseres Fahrers, der den ändern bekannt war. Den ganzen Tag fuhren wir hinter unserm Gepäck her.

Ich war sehr deprimiert und machte mir die bittersten Vorwürfe, meine Mutter diesen Strapazen ausgesetzt zu haben — es wäre vielleicht richtig gewesen, in Kronstadt zu bleiben.

Am Abend waren wir in Sächsisch-Regen, und von dort wurden wir auf ein kleines ungarisches Dorf dirigiert, das wir nach vielen Irrfahrten erreichten. Vergeblich hatte ich überall nach dem Wagen gefragt sind Ausschau gehalten, auf dem unsere Koffer waren. Ein Offizier erbarmte sich unser. Er stellte uns seinen PKW zur Verfügung, um auf die Suche nach unserm Gepäck zu fahren. Und wirklich fanden wir es und alles war da, Rucksack und Koffer. Wie reich kamen wir uns vor! Und dann hatten wir noch eine Freude. Unser Fahrer hatte von seinem Offizier Auftrag, uns unbedingt Nachtquartier zu beschaffen. Er klopfte — es war ungefähr Mitternacht — am Pfarrhaus an. Eine Tür wurde geöffnet und eine Stimme sagte, erst ungarisch, dann deutsch: „Hier ist alles schon von Flüchtlingen belegt.” Es war dunkel, ich konnte niemanden erkennen, aber die Stimme kam mir so bekannt vor. Und dann wußte ich auf einmal, wem sie gehörte; eine Verwandte war es aus Kronstadt, die mit ihrer Familie und ihrem 85jährigen Vater auch mit Wehrmachtswagen bis her gekommen war. Die Überraschung war auf beiden Seiten groß. Welch große Freude und Beruhigung war es — besonders für meine Mutter — nun nicht mehr allein, sondern mit so lieben, vertrauten Menschen zusammen zu sein. Für meine Mutter fand sich ein Sofa, und ich ging ins Heu schlafen, wo noch viele andere Kronstädter waren.

Am ändern Tag wurden dann alle Zivilflüchtlinge gesammelt, etwa 120 waren wir, und in einigen LKW nach Bistritz geführt, wo ein Auffanglager sein sollte. Bei der Einfahrt zur Stadt, etwa 9 Uhr abend, blieb unser Wagen stehn, der Fahrer wollte sich nach dem Weg zum Lager erkundigen. Da hörte ich auf der Straße plötzlich fragen: „Ist nicht vielleicht ein Herr Schiel aus Buşteni auf dem Wagen?” Und ich erfuhr von einer Dame, daß


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der Zug mit den Leuten von Buşteni am Bahnhof stehe und um 10 Uhr abend weiterfahren solle (vermißt war ein Vetter von uns, der in Kronstadt am Bahnhof abhanden gekommen war). Ich war wie elektrisiert. Wenn es uns doch nur gelingen würde, den Zug zu erreichen! Es schien ziemlich aussichtslos. Unser Gepäck befand sich auf einem LKW, der vorausgefahren war. Der Bahnhof war zu weit, als daß meine Mutter ihn hätte zu Fuß erreichen können. Ich bat die Dame inständig, meine im Zug befindlichen Angehörigen von unserm Hiersein zu verständigen.

Wir fuhren weiter bis zum „Gewerbeverein”, wo wir untergebracht werden sollten. Endlich hatte ich unser Gepäck beisammen. Ich ließ meine Mutter damit zurück und lief zum Bahnhof, der etwa ½ Stunde entfernt war. 5 Minuten vor 10 Uhr war ich dort. Der Zug stand abfahrbereit. Ich lief an den Waggons entlang. Als ersten sah ich Major Dr. P. (der in Buşteni im Hause meiner Schwester im Quartier gelegen hatte). „Schnell, schnell”, rief er. „Wir halten den Zug unbedingt auf, bis auch Ihre Frau Mutter da ist.” Ich erfuhr, daß die Dame, mit der ich bei der Einfahrt zur Stadt gesprochen hatte, meine Bitte erfüllt hatte. Meinem Schwager war es gelungen, einen Wagen aufzutreiben und um uns zum Gewerbeverein zu fahren. Und dann waren sie auch schon da! Meine Mutter wurde in den Waggon gehoben, dann die Koffer, wir kletterten nach, und sofort fuhr der Zug ab.

Die Vfn. schildert im folgenden die Fahrt des Transportzuges von Buşteni bis zum Überschreiten der deutschen Grenze1 und berichtet dann:

Es hieß, wir sollten in Brück an der Leitha in ein Lager kommen. Aber man führte uns weiter. Viele Stunden standen wir vor Wien. Dort verließ uns die Begleitmannschaft des Zuges (das Transportkommando war schon in Bistritz zurückgeblieben), der wir für die hervorragende Betreuung so viel Dank schuldeten. Auch ein Teil unserer Reisegefährten trennte sich von uns: die Gruppe der Reichsdeutschen aus Buşteni. Donauaufwärts ging es bis Langenlois bei Krems. Von der NSV wurden wir empfangen — es war Mitternacht — und mit Omnibussen in das Umsiedlungslager Schiltern gebracht.

Wir waren mit keinen Fremden zusammen; nur unsere Gruppe (ca. 300 Leute) war im Lager. Von hier aber wurden wir bald in alle Winde verstreut. Etwa 130 von uns — darunter auch wir — gingen im Oktober 1944 geschlossen nach Krappitz/O.S. in eine Papierfabrik. Doch nur 3½ Monate waren wir dort. Am 21. Januar 1945 nachts verbreitete sich plötzlich die Schreckensbotschaft: „Die Russen kommen, die russische Panzerspitze steht jenseits der Oder, etwa 7 km vor Krappitz!” Eine wilde, kopflose Flucht setzte ein. Unsere Flucht aus der Heimat im Sommer 1944 war eine Vergnügungsreise im Vergleich zu der aus Oberschlesien im bitterkalten Winter. Wieder wurden Mutter und ich von meiner Schwester und den Ihren getrennt. Auf langen Irrfahrten über Neustadt/O.S. und Glatz gelangten wir zusammen mit Verwandten nach Heinrichsthal (Altvater) im Sudetengau, wo wir von der Belegschaft der dortigen Papierfabrik so herzlich aufgenommen wurden, daß wir uns wie zu Hause fühlten. Aber die


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Front rückte näher. Schon hörte man Kanonendonner. Wir wollten weiter. Wir hatten mit meiner Schwester den Treffpunkt Dresden vereinbart. Über Prag und Aussig erreichten wir mit der Bahn — nach vielem, vielem Umsteigen — am Spätnachmittag des 13. Februar 1945 Dresden. Die Stadt war gesteckt voll von Flüchtlingen. Wir fanden Unterkommen bei einer Cousine und waren so dankbar und glücklich und fühlten uns wieder geborgen. Doch nur kurz währte unser Glück. Drei Stunden nach unserer Ankunft in Dresden erlebten wir den ersten der furchtbaren Luftangriffe, dem innerhalb von 36 Stunden drei weitere folgten, einer schwerer als der andere. Wir blieben am Leben, und es gelang uns, die brennende Stadt zu verlassen. Wir gelangten nach Zwickau und fanden Aufnahme bei lieben Menschen.

Einige abschließende Sätze führen die Darstellung bis zum Erleben des amerikanischen Einmarsches in Heidenheim a. d. Brenz.