Nr. 25: Aufbruch der Gemeinde Deutsch-Zepling; Treck über Karol-Waitzen-Ödenburg nach Niederösterreich.

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Erlebnisbericht des Bauern und Gemeinderatsmitgliedes Johann Gram aus Deutsch-Zepling (Dedrad), Plasa Reghin (Sächsisch-Reen), Judeţ Mureş (Mieresch) in Nord-Siebenbürgen.

Original, 1. April 1956, 8 Seiten, mschr., Teilabdruck.

Nachdem die Kapitulation am 23. 8. 1944 von der romanischen Regierung stattgefunden hatte, sollten wir Volksdeutsche dieses besonders am eigenen Leibe spüren. Durch die Nachrichten vom Bukarester Sender waren wir auch in Deutsch-Zepling genau unterrichtet, was los war. Ich selber war im Gemeinderat sowie im Presbyterium als Vertreter der Gemeinde tätig; es wurde über die Ereignisse, die sich zugetragen hatten, beschlossen und verhandelt, im Notfall die notwendigsten Maßnahmen für die Gemeinde zu treffen; aber an ein Verlassen der Gemeinde hatten wir damals nie gedacht, bis es dann doch so weit war.

Eine Meldung traf nach der anderen ein, der Feind rückte immer näher; die Karpaten waren auch kein Widerstand gewesen, Kolonnen von deutschem Militär fuhren durch unsere Gemeinde und verließen uns fluchtartig. Da ging es jedem kalt über den Rücken, und überall tauchte die Frage auf, was wird aus uns werden, was wird mit uns geschehen?

Und nun bald sollte es geschehen, denn die Zeit änderte sich von Stunde zu Stunde. Das deutsche Armeekommando im Verteidigungsabschnitt für Siebenbürgen und Banat gab am 5. Sept. 1944 einen klaren und strikten Befehl, daß der nördliche Teil von Siebenbürgen, der noch nicht besetzt war von der romanischen Armee, das Kampfgebiet so rasch als möglich zu räumen, vind über diesen Befehl wurde wieder verhandelt, ob ja oder nein, und wir warteten noch weiter. Schon bekamen die deutschen und ungarischen Gemeinden vom ungarischen Obergespan den Befehl, zu packen und das Feld zu räumen1. Noch glaubten wir an kein Räumen und standen fest, in der Heimat zu bleiben. Da kam ein zweiter und auch ein dritter Befehl; deutsche Soldaten wie ungarische Gendarmerie setzten sich in Verbindung und trieben die Leute mit Gewalt einmal in die Kolonne, die sich inzwischen doch organisiert hatte. So verließen auch die Deutsch-Zeplinger ihre geliebten Höfe, ihre geliebte Heimatgemeinde, die sie nimmermehr sehen sollten. Es war aber doch noch ein Funke Hoffnung in jedem Mit-


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glied, daß wir nur eine Strecke bis hinter die Front gehen würden und dann wieder zurückkämen, weil immer von einer sogenannten Wunderwaffe gesprochen wurde, die ja nie kam und nicht da war.

Am Vorabend des 12. Sept. 1944 fuhren schon die Gemeinden Birk, Ober- und Niedereidisch durch unsere Gemeinde. Die ganze Nacht hindurch bei einem stürmischen regnerischen Blitzwetter, daß man graute, auch nur ins Dunkel hinaus zu schauen, die ganze Nacht schlief ja kein Auge. Auch in unserer Gemeinde wurde alles gepackt, was man für notwendig hielt; Schweine wurden fast in jedem Hof geschlachtet und mit auf den Weg genommen. Am ändern Morgen wurden die Wägen bepackt, das Vieh aus den Ställen herausgeholt, angespannt, und weiter auf die Straße in die Trecks eingereiht, und unter Glockengeläut bewegte sich der Treck langsam weiter nach Norden über Botsch bis nach Großschogen. Die erste Nacht wurde hier durchgefroren, denn man konnte auch hier nicht schlafen auf einer Wiese in Reihen neben der Straße, wo ständig Rückmarschmilitär durchfuhr und ein Gebraus, ein Getöse war, daß man ja nur an ein Grauen glaubte, wie es die Welt noch nie gesehen hatte. Dann ging es am ändern Morgen weiter über Billak nach der Gemeinde Ungersdorf; da übernachteten wir zum zweitenmal. Am ändern Morgen wurde die Gemeinde in Gruppentrecks eingeteilt. So mußte ich auch einen dieser Trecks übernehmen, die sich aus über 200 Wägen zusammenstellten, und vier solcher Trecks nur aus der Gemeinde Deutsch-Zepling sich bildeten.

Die Trecks bewegten sich langsam dem Städtchen Dej zu, aber wie wir an eine Wegkreuzung kamen, wurden wir aufgehalten; der Weg war mit Militär verstopft, niemand durfte weiterfahren. Da kam Befehl, daß wir ins Gebirge über Emberfö, einen Bergrücken, steigen mußten bis nach Magyarlápos; was wir nur hier mitmachten, durch Gebirgsgräben und schlechten steinigen Weg, das kann man nicht beschreiben, sondern nur erinnern an so einen Marsch. Einer blieb hier, der andere blieb dort stecken, dann Männer mußten heran anpacken, und mit ach und krach kamen wir doch weiter. Am 15. Sept. 1944 ging es weiter von Magyarlápos über Nagy- und Kisfentös bis nach Válaszut. Hier wurde übernachtet. Was das für eine Zeit war, wo wir wie Wanderzigeuner am Wegrand unser Feuer machten; aus Natursteinen wurde in fünf Minuten ein Herd gemacht, wo man in die Erde ein langes Loch schaufelte, zwei Platten nebeneinander auf die Steine legte und Feuer schürte, wo man kochen, braten und backen konnte wie in der modernsten Küche. Man gewöhnte sich langsam an das Schicksal, man vergaß auf Minuten auch die Heimat, aber sie kehrte in Gedanken immer wieder zurück. Am 16. 9. 44 ging es weiter über Szinfalu bis nach Alsóhomoród, nach Szatmárhegy, wo wir übernachteten; am ändern Tag weiter bis nach Groß-Karol, wo dann am 18. 9. 44 alles zusammenkam, weil hier Station gemacht werden sollte, um wieder nach Hause zu fahren.

In der Gemeinde Kailersdorf bekamen wir jede Treckgruppe 5 Mann Soldaten als Schutz von der deutschen Armee. Diese Soldaten begleiteten uns bis nach Österreich.

Diese deutschen Soldaten legten uns nun hier in Groß-Karol klar, daß der Feind immer näher rückte und wir von hier weiter nach Westen fahren


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müßten. Nun erst jetzt gab es eine Auseinandersetzung, aber nichts half, weiter fahren, immer weiter bis nach Ödenburg auf die österreichische Grenze. In einer Nebengemeinde neben Groß-Karol, in Kaplony übernachteten wir eine ganze Woche. Aber nun erst fing der Gewaltmarsch für die Trecks an, täglich von 25—30 km durchgefahren; hier wurden die Trecks neu eingeteilt und gut organisiert. Am 28. 9. 44 ging nun die schwere Reise weiter über Csanalós, über Vállaj nach Nyirvasvári; hier wurde übernachtet. Am nächsten Tag, 29. 9., gings weiter über Nyirbogát, Szalmadpuszta bis Nyirmihálydi.

Die Nachricht kam, daß die Russen die Theiß in die Zange nehmen wollten und uns den Weg abschneiden, da brauchte man die Wägen nicht mehr vorwärtstreiben, sie gingen von selber, daß sie einmal über die Theiß kämen.

Für mich war diese Treeksübernahme von 204 Wägen meine größte Verantwortung, die ich je in meinem Leben hatte, denn ich mußte immer Quartier verschaffen sowie bei den Verpflegungsstationen die Verpflegung für Menschen und Tiere, Futter, Hafer, und dieses alles aufteilen nach bestem Wissen und Gewissen, daß es jedem passen sollte. So hatte ich mich selber so entkräftet, daß ich ganz abgemagert wurde und ohne Kraft da stand. Bei dem ungarischen Bürgermeister mußte ich um Unterkunft bitten, wo mir auch sehr höflich Entgegenkommen gezeigt wurde. Im großen ganzen muß ich sagen: „Hut ab vor den ungarischen Leuten!” So gut wurden wir aufgenommen. Ich führte mit mir immer auch einen Feldwebel als Schutz mit, so galt ich als offizielle Person, die überall Gehör hatte, wenn man — und manchmal auch ungern — wollte.

Ich hatte mich mit meiner Treckskolonne so eingelebt, daß die Leute für mich alles machten, was sie nur konnten. Ein paar Männer begleiteten mich immer als Obwache, [die] wenn's sein mußte, auch die Verteidigung aufnahmen; so konnte ich mich in Ruhe meiner Aufgabe hingeben.

Die Reise ging weiter jeden Tag, über Nyirbogát, Szalmadpuszta, über Nyirmihálydi; am nächsten Tag, am 30. 9. 44 über Szakoly, Balkány, Geszteréd bis Téglás; hier wurde wieder übernachtet. Tiere und Menschen waren überangestrengt und hungrig; alles mußte zuerst gebettelt und gekauft werden, bis dann später die Verpflegungsstationen errichtet wurden, wo wir dann verpflegt wurden.

Am nächsten Tag ging die Reise weiter über Hajdú-Hadház, Hajdú-Böszörmény bis Tanga1; hier wurde wieder übernachtet, bis wir am 2. Okt. 44 über die Theiß hinüber fuhren bei der Gemeinde Polgár; hier wurde übernachtet, und am nächsten Tag, am 3. 10. 44, ging's weiter über Sajoszöged, Muhi bis Heökereztúr. Hier wurde eine lange Pause gemacht, weil anhaltender Regen die Fahrt verhinderte; es wurden hier die Pferde beschlagen und Kühe sowie Ochsen, der noch welche hatte, denn die Rinder hielten es nicht mehr aus und mußten für Pferde umgetauscht werden, manchmal für elende Pferde, aber es ging doch weiter, wenn auch langsam.


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Nach drei Tagen ging die Flucht weiter über Emöd, Vatta, Abrány bis Mezönyárád; hier wurde übernachtet. Auf dem Weg bis her hatten die Leute das meiste Vieh umgetauscht für ungarische Pferde, um nur weiter zu kommen. Es waren noch einige Milchkühe behalten worden, damit wenigstens die kleinen Kinder noch etwas Milch bekamen. Am 6. Okt. ging es weiter über Mezökövesd, Szihalom, Füzesabony, Kerecsend bis Kápolna; hier wurde übernachtet. Am nächsten Tage weiter über Detk, Karácsond; hier wurde übernachtet. Dann ging es weiter über Gyöngyös, Hort bis nach Hatvan; hier wurde übernachtet. Dann ging es am 10. 10. weiter über Lörinczi, Heréd, Nagykökényes, Verseg, Kálló bis Erdökürt; hier wurde wieder übernachtet. Am 11. 10. fuhren wir weiter über Acsa, Csövár, Pencz bis Rád; hier wurde übernachtet. Das war kurz vor Vác am Donauknie. Hier durchführen wir das Gebiet zwischen Theiß und Donau. In Vác war eine große Verpflegungsstation, wo wir verpflegt wurden.

Von Vác ging die Reise am linken Donauufer weiter unter schweren Strapazen und großer Anstrengung bis Veröcze über Kismaros bis nach Groß-maros [Nagymaros]; hier wurde übernachtet. Hier machten wir eine Zwischeneinteilung im Treck. Es wurden 4 Gruppen aus den 204 Wägen gemacht, wo jede Gruppe einen Gruppenführer bekam; so wurde mir die Arbeit erleichtert, wo dann jede Gruppe ihr tägliches Ach und Weh selber erledigte. So wurde ich wesentlich entlastet; nur noch bei wichtigen Fragen kamen sie zu mir, was die Gruppe nicht selber erledigen konnte. Ich konnte es nicht mehr aushalten, war ganz verkältet, war heiser, hatte bisweilen keine Ordnung, weder im Essen noch im Ruhen. Konnte dann in Zukunft auch meiner Familie besser beistehn wie bisher. Meine Kinder und mein Schwiegervater mußten meine Tiere pflegen, die auch noch zu wünschen übrig ließen.

Bis diese Gruppen wieder in Gang gebracht wurden, mußte ich doch ständig einspringen und helfen. Es war auch schwer bei Zivilmenschen, die erforderliche Ordnung einzuführen und sogar zu veranlassen, daß einer dem anderen aushalf, wie es in der Heimat in den Nachbarschaften der Fall war. Ich kann mich erinnern, wenn wir Hafer und Verpflegung übernahmen, so wurden die auf die vorbeifahrenden Wägen aufgeteilt, bis wir wieder Station machten, bis man es dann aufteilte; da war einer, der sich wehrte, 2 Säcke mit Hafer aufzunehmen, ich war nicht dabei, nur wie wir am Abend Rast machten, zeigten ihn seine Kameraden an. Dann wurde der Rat zusammengerufen, und er wurde zur Verantwortung gezogen; sie gaben ihm eine Strafe von 2 Nachtposten neben dem Treck zu halten. Der Mann nahm die Strafe auch willig an und versprach, in Zukunft der Gemeinschaft zu dienen und sich nicht mehr zu widersetzen. Das war nur ein Beispiel, wie wir auch noch auf dem Weg im Treck unsere Nachbarschaftshilfe mit Strafe schützten.

So fuhren wir weiter über Zebegény, Szob, Ipoly bis Damásd, hier wurde übernachtet. Am nächsten Morgen ging es weiter über die Donaubrücke auf Esztergom zu; auf einer Wiese wurde gelagert und übernachtet, neben der Donau. Hier sahen wir die ersten Schiffe, wie sie auf der Donau auf und abfuhren. Am 15. Okt. 1944 waren wir über die Donau gefahren,


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dann ging es weiter über Tát, Nyergesujfalu, Lábatlan, Piszke, Süttö, Neszmély bis Dunaalmas; hier übernachteten wir. Am ändern Morgen erfuhren wir, daß der Reichsverweser v. Horthy kapituliert hätte und Ungarn auch vor dem Zusammenbruch stände, bis, aber schon nach kurzer Zeit, die Nachricht wieder kam, daß Szálasi die Regierung übernommen hätte und wieder alles weiter ginge. Von dem Tage an begleiteten uns ungarische Gendarmen auf dem Weg zum Schutz, daß wir nicht mit Kommunisten einen Überfall erlebten. Wir waren aber auch mit Waffen versehen worden, wenn eine Gefahr bestand, um uns auch wehren zu können1.

So konnten wir wieder ruhig weiterfahren, über Tóváros, Tata, wo besonders viel Kommunisten sein sollten. Wir fuhren aber ruhig weiter, es war kein Zwischenfall, auf was wir schon gefaßt waren. Bis sich dann wieder alles legte, übernachteten wir nicht mehr in den Gemeinden, sondern neben den Gemeinden auf Wiesen oder Weiden. Wir fuhren dann weiter über Kocs, Nagyigmánd, Csép bis Ete. Hier übernachteten wir; es war dann auch keine dringende Gefahr mehr, die Front war weit zurückgeblieben.

Am 18. 10. fuhren wir weiter über Kisbér, Bakonyszombathely, Bakonybánk, Lázi, Gicz bis Nagydém; hier übernachteten wir. Hier wurde auch eine Pause gemacht, Brot wurde gebacken und an den Fuhrwerken ausgebessert, was hin war.

Dann nach drei Tagen fuhren wir wieder weiter über Lovászpatona, Gyömöre, Tét, Moriczhida, Egyed; hier wurde übernachtet, und am nächsten Tag fuhren wir weiter: Rábacsanak, Páli, Beled, Vásárosfalu bis Edve. Hier blieben wir bis die Entscheidung fiel, daß wir über die Reichsgrenze nach Österreich hinüber geschoben wurden. Bis hierher hatten wir ein großes Glück; die feindlichen Flieger überflogen uns fast täglich, wurden aber nicht angegriffen. Bis dahin hatten wir auch Angst, aber dann später keine mehr. Hier in Edve blieben wir eine ganze Woche unter regnerischem Wetter. Am 29. 10. brachen wir wieder auf, auf Befehl von der Armee, und fuhren weiter bis nach Nagyczenk. Hier wurde auf der Straße übernachtet, dann ging es weiter über Kópháza, wo man uns die Waffen wieder abnahm, nach Ödenburg. Hier hielten wir uns noch ein paar Stunden auf, bis die Grenzüberfahrt geregelt wurde, und am 30. Okt. 1944, eine Viertelstunde nach 12 Uhr, überfuhren wir die damalige deutsche Grenze und kamen zuerst nach Klingenbach; das war der entscheidende Augenblick, wo wir die ungarische Grenze hinter uns ließen, vielleicht auf ewig.

So begleiteten uns die deutschen Soldaten weiter auf deutschem Boden. Wir fuhren bis nach Wulkaprodersdorf, wo wir noch auf der Straße über-


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nachten mußten, bis dann später gut geregelte Quartiere für Menschen und Tiere geboten wurden.

Über lauter deutsche Gemeinden mit deutschen Namen fuhren wir bis nach St. Polten. Dort wurden wir wieder in ein gutes Quartier aufgenommen; es wurde mit guter warmer Verpflegung auf uns überall gewartet, so daß wir doch einen Unterschied wahrnahmen, wie wir auf deutschem Boden einmal waren. Von St. Polten wurden wir weitergeleitet, wieder über lauter deutschnamige Gemeinden und sogar über schöne Gemeinden, bis in den Kreis Mistelbach, bis in den Verteilungsort Ernstbrunn.

Ganz zerschlagen und übermüdet kamen wir da an mit unseren armen Tieren, die auch so müde waren, daß wir sie nur erbarmen konnten. So einen Gewaltmarsch mit den Wägen bis nach Österreich zu machen, das war eine Leistung, bis am 8. November 1944 in 58 Tagen eine Strecke von 1179 km zurückgelegt.

Der Vf. befaßt sich im folgenden kurz mit der Aufnahme der Flüchtlinge im Kreis Mistelbach. Er erwähnt die Einziehung der wehrfähigen Männer zur Waffen-SS und schildert die Ausbildung der übrigen für den Volkssturmeinsatz. Anschließend gibt er eine ausführliche Darstellung der erneuten Flucht vor den anrückenden sowjetischen Truppen — zum Teil wiederum im Treck, die Alten und Kranken mit der Bahn und Lastwagentransporten —, die erst im Juli 1945 mit der Wiedervereinigung beider Abteilungen in Traunstein ihr Ende fand. Den Schluß bilden Bemerkungen über das Schicksal des Vfs. in den Jahren nach Kriegsende.