Nr. 32: Vorbereitung und Durchführung der Evakuierungsaktion im Sathmar-Gebiet.

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Bericht des Martin Koch ans K a r o l (Carei), Jndeţ Sălaj im Sathmar-Gebiet.

Original, 20. August 1954, 5 Seiten, mschr.

Mit der Kapitulation Rumäniens kam unser Siedlungsgebiet in unmittelbare Gefahr. Der Weg nach dem Westen konnte durch einen Vorstoß des Feindes von südlich Großwardein in Richtung Debrecen leicht abgeschnitten werden. Wir standen vor ungemein schwierigen Aufgaben. Unsere Schwaben sind ein schwerfälliges Bauernvolk, das fest an seinem Boden hängt. Zudem waren sie in zwei Gruppen geteilt, auf der einen Seite die Deutschbewußten mit einer verhältnismäßig geringen Zahl Intellektueller als Führerschicht, auf der anderen Seite die ihrem Volkstum Entfremdeten, mit dem ganzen staatlichen Beamtenapparat und dem größten Teil der katholischen Geistlichen auf ihrer Seite.

Der Vf. berichtet, daß ein Teil der Madjaren die Ereignisse jener Tage als Demütigung des der Madjarisierungspolitik widerstrebenden Deutschtums zunächst begrüßt habe.

Die Umsiedlertransporte der Deutschen aus Bessarabien und aus der Dobrudscha zogen im Herbst 1940 bei Großwardein, wo wir eine Betreuungsstation errichtet hatten, durch unser Siedlungsgebiet. Diese waren noch frohen Mutes, und mancher von uns wäre gerne mit ihnen in unser deutsches Mutterland gezogen, um so vom ungarischen Terror frei zu werden. Wir ahnten zu jener Zeit noch nicht, daß dies den Anfang der Tragödie des Deutschtums im südosteuropäischen Raum bedeuten sollte. Die nächste Gruppe, die durch unser Gebiet zog, waren die Schwarzmeer- und Krimdeutschen. Mehrere Pferdegespanne blieben von ihnen in unseren Gemeinden, um ein Jahr später den Marsch nach dem Westen fortzusetzen. Die dritte Gruppe, die uns schon schwer in Anspruch nahm und uns mahnte, daß auch für uns die Zeit bald kommen sollte, waren die Siebenbürger Sachsen.

Es war Mitte September 1944 als der erste Zug mit Flüchtlingen aus Siebenbürgen in Karol ankam. Laut Befehl sollten die Siebenbürger Sachsen in unseren Gemeinden untergebracht werden, weil man einen weiteren Rückzug nicht zugeben wollte. Schwierige Verhandlungen mit den ungarischen Notären und den Bürgermeistern unserer um Karol gelegenen Gemeinden ermöglichten, die ersten Trecks unterzubringen. Mit den deutschen Kommandostellen in Karol und deren übergeordneter Stelle in Debrecen konnte die Vereinbarung getroffen werden, daß die Wehrmacht die zur Ver-


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pflegung der Flüchtlinge erforderlichen Lebensmittel zur Verfügung stellte. Der Feind drang aber schon in Richtung Debrecen vor, und so mußte der ursprüngliche Plan, die Siebenbürger Sachsen in Sathmar unterzubringen, bald aufgegeben und die Trecks weiter nach dem Westen dirigiert werden. Der Ansturm der Flüchtlinge war jetzt schon so groß, daß wir in Karol mehrere Lager errichten mußten, um sie zu sammeln. Von dort wurden sie dann per Bahn und per Anhalter weiter nach dem Westen befördert.

Die deutschen Ortskommandanturen in und um Karol gaben uns ihre Unterstützung, worunter die Feldgendarmerie die wertvollste, indem sie alle Wehrmachtsfahrzeuge, die nach dem Westen unterwegs waren, anhielt und mit Flüchtlingen belud. Inzwischen hatten wir auch schon durch die Amtswalter der Gebietsleitung aus Bistritz Verstärkung bekommen; auch kam eine Gruppe von Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften der Volksdeutschen Mittelstelle, mit der Aufgabe, die Evakuierung zu unterstützen. Leider waren die „Vomi”-Leute oft schon abgestumpfte Figuren, die mehr das Leben genießen zu müssen glaubten als sich ganz ihrer Aufgabe zu widmen.

Unter den Flüchtlingen sah man schon viel Elend und Not. Auf der Linie Sathmar—Karol und Zilah—Karol lagen ganze Eisenbahnzüge, die nicht weiter kamen, weil die Ungarn die Flucht mit allen Mitteln unterbinden wollten.

Der Vf. referiert im folgenden die Aussagen eines Kronstädter Flüchtlings über die angeblich beobachtete Behandlung der dortigen Deutschen nach dem Abzug der deutschen Wehrmacht.

Endlich waren wir so weit, daß man die Evakuierung der Siebenbürger Sachsen, zumindest der zu Ungarn gehörigen Nordsiebenbürger, für abgeschlossen ansehen konnte. Sie hatten unser Gebiet alle verlassen. Die Gefahr für uns, vom Westen abgeschnitten zu werden, wurde immer größer. Die Eisenbahn von Karol über Debrecen in Richtung Budapest verkehrte nicht mehr, und selbst die in Karol stationierten deutschen Einheiten begannen sich nach dem Westen abzusetzen. Die Lage spitzte sich so sehr zu, daß die Landstraße in Richtung Budapest schon von russischen Panzern bedroht war. Der für unser Siedlungsgebiet verantwortliche Amtswalter weilte zu dieser Zeit in Budapest und kämpfte um die Evakuierungsgenehmigung. Er hielt sich schon einige Tage in Budapest auf, jede Verbindung mit ihm fehlte, so daß wir schon den Verdacht schöpften, er wäre auf der Rückreise in die Hände der Russen gefallen. Angesichts der allgemeinen Bedrohung gaben wir es auf, weiter auf die Startgenehmigung zu warten und bereiteten schon die Durchgabe des Startbefehls für den nächsten Morgen vor. Da traf der verantwortliche Mann ein. Schwer hatte er bei den deutschen Kommandodienststellen in Budapest um die Evakuierungsgenehmigung für unser Siedlungsgebiet kämpfen müssen. Wegen der moralischen Rückwirkung, die die Evakuierung auf die Ungarn auslösen mußte, sah es doch nun so aus, daß auch dieses Gebiet abgeschrieben war, hatte man diese so sehr ungern bewilligt.


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Die Evakuierung war insgeheim lange schon vorbereitet; jetzt gingen unsere Kuriere nach allen Richtungen mit dem Startbefehl für den sofortigen Aufbruch. Ich selbst bekam zunächst den Auftrag, unsere Familien in Sicherheit zu bringen, damit wir uns während dieser Zeit der höchsten Gefahr ganz unserer Aufgabe widmen konnten, frei von der Sorge um unsere eigene Familie. Mittels eines Lastkraftwagens, den uns der Evakuierungsstab der Volksdeutschen Mittelstelle zur Verfügung stellte, brachte ich unsere Familien bis Nagymaros, nordwestlich von Budapest, und fuhr sofort wieder nach Karol zurück. Inzwischen hatte sich die Front bei Debrecen etwas stabilisiert, und wir durften hoffen, unsere Leute, sofern sie zum Aufbruch zu bewegen waren, noch durchzubringen. Einzelne Gemeinden, wie z. B. Burlescht, Scheindorf und Kriegsdorf brachen fast vollzählig auf, mit ihrem Pfarrer und Lehrer an der Spitze; andere wieder ließen sich von der ungarischen Propaganda beeinflussen und konnten nicht zum Aufbruch bewegt werden. „Wo wollt ihr noch hin? Ein Durchkommen ist nicht mehr möglich! Wollt ihr Euch auf dem Weg über den Haufen schießen lassen?” So und ähnlich lautete die Schlagworte, mit denen unsere Leute zurückgehalten werden sollten. Immer und überall mußten wir dabei sein, um die Sache nicht ins Stocken geraten zu lassen. Trotzdem blieben in manchen Gemeinden viele zurück. Notare, Gendarmerie, die ungarische Geistlichkeit, ja alles, was vom ungarischen Staat mobilisiert werden konnte, bekämpfte unsere Arbeit.

Schließlich mußten wir am 15. Oktober 1944, am Tage der ungarischen Kapitulation, den Versuch aufgeben, weitere Leute zur Flucht zu bewegen. Es sah jetzt ganz aussichtslos aus, überhaupt noch durchzukommen. So stellten wir unsere Arbeit in Karol ein und zogen unseren Leuten nach. Es hatte sich nun erwiesen, wie notwendig es war, den Aufbruch nicht weiter verzögern zu lassen. Unser größter Treck, die Scheindorfer, die zwar sofort nach Erhalt des Startbefehls aufgebrochen waren, waren zeitweilig bloß 6 km von der Front entfernt. Westlich der Theiß wurden die Trecks auf Nebenstraßen dirigiert, um den Rückzug der militärischen Einheiten auf der Hauptstraße nicht zu behindern. Hier stießen wir auch wieder auf unsere Leute, wobei der Evakuierungsstab sich selbst auch auf die Treckstraße begab. Ein diesbezüglicher Befehl hatte den LKW, auf dem ich mich befand, nicht erreicht, und als wir plötzlich die Verbindung mit den anderen verloren hatten, übernahm ich die Verantwortung für die Weiterfahrt direkt nach Budapest. In Budapest angekommen, waren die anderen Herren noch nicht da. Die Spitze der Trecks aus unserem Siedlungsgebiet hatte Budapest bereits hinter sich und befand sich auf einer inzwischen geänderten Treckstraße. Die Verpflegungsstationen auf der neuen Treckstraße ließen noch vieles zu wünschen übrig. Manche dieser Mißstände konnten durch Vorsprache bei der zuständigen Stelle und Einsatz der Leute, die bei mir waren, beseitigt werden, ehe noch die anderen Herren in Budapest angekommen waren.

Während ich noch in Budapest weilte, kamen Flüchtlinge aus Hamroth aus unserem Siedlungsgebiet an. In ihrer Gemeinde hatten bereits die Russen gehaust, wurden dann von den Deutschen nochmals zurückgeschlagen,


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worauf selbst die größten Madjaronen1 sofort die Flucht nach dem Westen antraten2.

Als Aufnahmegebiet für unsere Leute war Westungarn bestimmt, und ich sollte ins Aufnahmegebiet reisen, um bei der Unterbringung dabei zu sein. Als ich in Ödenburg angekommen war, stellte ich aber gleich fest, daß die Treckspitze eben die deutsche (österreichische) Grenze überschritten hatte und somit der Plan aufgegeben worden war, für den ich eingesetzt werden sollte.

Mit einem anderen Herrn bekamen wir dann den Auftrag, die Treckstraße in Richtung Budapest nochmals abzufahren. Auf der Treckstraße fanden wir alles in Ordnung, die Vororte Budapests waren aber schon hart umkämpft, während unsere Familien immer noch in der Nähe von Budapest sich befanden. Nach Erledigung des Auftrags begaben wir uns zu unseren Familien, um auch diese in Sicherheit zu bringen. Über die Wehrmachtsdienststellen von Waitzen erhielten wir einen der letzten Eisenbahnwagen, verluden darin alles und wurden über Wien in das Lager Krummnußbaum bei Melk geleitet.

Über die Volksdeutsche Mittelstelle in Wien brachten wir bald in Erfahrung, daß als Aufnahmeland für unser Siedlungsgebiet Thüringen vorgesehen war. Diejenigen, die nicht mehr weiter trecken konnten, wie auch jene, die per Anhalter geflüchtet waren, wurden schon in Budaörs bei Budapest auf die Bahn verladen, die mit den Rindviehtrecks an der Reichsgrenze, und wurden nach Thüringen geführt. Die Pferdetrecks treckten weiter. Die Spitze kam bis Passau, während der Großteil der Trecks noch in Oberösterreich aufgelöst wurde. Der Plan, die Leute nach Thüringen zu bringen, wurde inzwischen aufgegeben, und die Leute wurden, wo sie gerade waren, in Gemeinden untergebracht, wobei nur noch Familienzusammenführungen von und nach Thüringen durchgeführt wurden.

Schließlich kam der Zusammenbruch. Im kopflosen Durcheinander brachen die in Thüringen untergebrachten Landsleute wie auch die Gruppe in Oberösterreich links der Donau, nachdem diese Gebiete den Sowjets übergeben worden waren, auf und gingen zurück in die Heimat. Selbst Landsleute aus der amerikanischen Zone ließen sich verschiedentlich aufhetzen, ins Durcheinander bringen und mit ungarischen Transporten in die alte


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Heimat abschieben. Die Heimat gehörte ihnen aber nicht mehr. Das meiste, was sie noch an Wäsche usw. besaßen, hatten sie auf dem Heimweg für Lebensmittel und was sie sonst alles noch benötigten, vertauscht. In der Heimat angekommen, stellten sie gleich fest, daß hier alles enteignet war. Auf den meisten Höfen saßen schon andere Herren, und sie konnten nicht einmal ihre Häuser betreten. Die sie in der Heimat anzutreffen hofften, waren, zumindest die Arbeitsfähigen, alle nach Rußland verschleppt. Die „Heim„-gekehrten befinden sich heute noch im größten Elend. Gerne würden sie nach Deutschland zurückkommen, wenn sie hierzu die Möglichkeit hätten.

Der Bericht schließt mit kurzen Bemerkungen zum Schicksal der Sathmarer Schwaben in Deutschland nach Kriegsende.