Nr. 8: Die Waffen-SS-Aktionen von 1942-1944 und ihr zersetzender Einfluß auf das Deutschtum in Apatin; Erfassung der Wehrdiensttauglichen unter Gewissenszwang und Terror für den Dienst in der Waffen-SS.

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Bericht des Lehrers J. H. aus Apatin in der Batschka.

Original, 13. April 1958, 29 Seiten, mschr. Teilabdrudc.

Im ersten Teil seines Berichts schildert der Vf. die wirtschaftliche, politische und kulturelle Entwic/tlung in der deutschen Großgemeinde Apatin vom Ersten Weltkrieg bis zum Zusammenbruch Jugoslawiens 1941 und unter ungarischer Verwaltung bis 1944.

Im Frühjahr 1942 wurde die erste Waffen-SS-Aktion durchgeführt. Sie kam auf Grund eines Abkommens zwischen der ungarischen Regierung und der Reichsregierung zustande 1 . Sie war freiwillig. Der Volksbund 2 wurde mit der Werbung betraut. Er führte diese in einer Werbeversammlung für seine Mitglieder und in gegenseitiger Werbung durch. Es war klar, daß sich eine große Anzahl der in Frage kommenden Jahrgänge freiwillig melden werde. Es ist daher unverständlich, weshalb die Gebietsleitung die Werbung unter die Alternative: Deutscher - Nichtdeutscher stellte. In Apatin wurde diese Alternative bei der Werbeversammlung noch nicht gestellt, sie klang jedoch an: wir seien Deutsche und werden uns auch melden; sie wurde aber in der unmittelbaren gegenseitigen Werbung ausgesprochen und vor allem von den Angehörigen der Freiwilligen (Frauen, Mütter) aufgegriffen. Als Nichtdeutscher wurde bezeichnet, wer den Mut zur Waffen-SS nicht aufbrachte; er wurde in gewissem Sinne als Drückeberger geächtet und aus der Gemeinschaft ausgestoßen. Auf diese Weise wurde ein Gewissensterror ausgeübt. Wenn auch der Personenkreis der so Ausgestoßenen infolge der jüngeren Jahrgänge noch klein war, so mindert das weder den Fehler noch die politische Verantwortung. Musterung und Einberufung führte die Waffen-SS unter Kontrolle eines ungarischen Offiziers und eines hohen ungarischen Polizeibeamten durch. Diese hatten die Möglichkeit, Einspruch zu erheben und die Freigabe der Gemusterten zu verweigern, wovon sie jedoch in Apatin keinen Gebrauch machten. Nach wie vor war die Aktion jedoch freiwillig; wer den Mut aufbrachte, blieb daheim. Es kann auch gesagt werden, daß der Mut einzurücken größer war als der Mut daheimzubleiben.

Trotzdem war die Alternative, unter welche die Werbung gestellt wurde, ein verhängnisvoller Irrtum. Sie war auch anmaßend und überheblich, selbst wenn man das Wiener Abkommen berücksichtigt (Deutscher ist, wer vom


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Volksbund anerkannt wird) 3 . Das Tragische daran, daß sie der Führung entglitt und fortzeugend Unheil gebar, da sie nicht rückgängig gemacht werden konnte. So tat sich eine zweite Kluft auf, diesmal in den eigenen Reihen, die immer größer und tiefer wurde.

Bei der zweiten Waffen-SS-Aktion (1943), die ebenfalls freiwillig war, wurde diese Alternative auch in der Werbeversammlung ausgesprochen, wodurch sich der Volksbund auch in Apatin offen zum Gewissensterror in dieser Frage bekannte. Der Terror von unten war natürlich weitaus größer, die Unduldsamkeit wuchs und der Kreis der Ausgestoßenen ebenfalls. Aber noch war die Aktion freiwillig, und wer nicht wollte, der blieb daheim.

Beim Regierungssturz in Budapest (19. 3. 1944) besetzten deutsche Truppen das Land 4 und eine SS-Division (8. SS-Reiter-Division "Florian Geyer") drang in die Batschka. Die Führung der Division vereinbarte mit dem Gebietsführer des Volksbundes, Ing. Sepp Spreitzer, in einigen Gemeinden (Apatin, Hodschag, Palanka) eine illegale Muß-Blitzaktion durchzuführen und auch die Drückeberger auszuheben. Am Abend des 19. März kam ein kleines Sonderkommando unter Führung des Esseger Stabsleiters der Volksgruppe, Dr. Kutschera, der in Mannschaftsuniform erschienen war, und eröffnete dem Volksbund, daß am 20. März laut Befehl des SS-Hauptamtes eine Zwangsmusterung durchgeführt werde. Diese Aktion wurde von dem Sonderkommando kundgemacht und noch am gleichen Abend von den Gemeindedienern ausgetrommelt. Die Illegalität und Willkür der "Aktion" wurden von dem Sonderkommando, von Dr. Kutschera und von Ing. Spreitzer verschwiegen. Der Volksbund ließ sich bluffen und unterstützte sie. Viele Angehörige der früheren Freiwilligen feierten sie, SS-Urlauber verstärkten das Sonderkommando. Sie erstreckte sich auf die herangewachsenen Jahrgänge und auf die sogenannten Drückeberger der früheren Aktionen.

Die braven, gläubigen und treuen Jungen kamen, meldeten sich und wurden in wenigen Stunden abtransportiert. Die ändern, die sich nicht meldeten, wurden mit Gewalt vorgeführt und festgehalten, wobei die Weiber, die den Zugang zum Ahnenheim säumten, in hysterisches Freudengeschrei und in Verhöhnung ausarteten. Die Leidenschaften gingen hoch, ganz Apatin war auf den Beinen. Vorgeführt und festgehalten wurden nur die, die einmal Mitglieder des Kulturbundes waren. Andersnationale und Nichtmitglieder blieben verschont, obwohl von der Volksmenge auch deren Vorfüh-


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rung gefordert wurde. - Die Freiwilligen und die Festgehaltenen wurden noch am gleichen Tage abtransportiert 5 .

Der Apatiuer Volksbund und weite Kreise der Bevölkerung sind an den Opfern dieser "Aktion" mitschuldig geworden; sie haben die Angaben gegeben und die Boten gemacht. Sie ist das traurige Ergebnis der Alternative der ersten Aktion und in deren Folge des Gewissensterrors, des Hasses und der Unduldsamkeit. Es ändert nichts, daß die "Aktion" durch das Reich und durch Ungarn nachträglich legalisiert wurde oder daß die dritte SS-Aktion die Opfer ohnehin erfaßt hätte.


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Es erhebt sich die Frage, wo der Staat blieb, weshalb er die Betroffenen nicht geschützt habe. Er hatte sich verkrochen, obwohl die in Apatin vorhandene Staatsmacht (Gendarmerie, Stromwachtruppen, Gemeindepolizei) dem kleinen Sonderkommando zahlenmäßig weit überlegen war. Die Gendarmerie und die Stromwachtruppen, die stets Tapferkeit und Mut zeigten, wenn es galt, die deutsche Bevölkerung zu belästigen und zu bedrängen, unternahmen außer einem Funkspruch nichts und ließen die Bürger des so siegreich heimgekehrten Gebietes schmählich im Stich. Ein Schutz in Form einer vorbeugenden Schutzhaft wäre durchaus und ohne Blutvergießen möglich gewesen, denn die Aktion wurde bereits am Vorabend verkündet und ausgetrommelt. Auch die Staatsbahn hatte den verlangten Sonderzug prompt angefordert und bereitgestellt.

Dies ist das traurigste Kapitel der Geschichte des Apatiner Volksbundes (Kulturbundes). Obwohl es nicht von ihm ausging, nicht von ihm durchgeführt, und obwohl er in Unkenntnis gehalten wurde, hätte er seine Mithilfe versagen können. Doch hätte er die Aktion nicht aufhalten und bei der Hilfsbereitschaft weiter Kreise der Bevölkerung auch nicht verhindern können. Er hätte sie vielleicht - soweit der einsichtige Teil seiner Mitglieder gefolgt wäre - stören und etwas abschwächen können. Eines aber hat er verhindert: Andersnationale blieben verschont! Ob dies auch bei einer Distanzierung des Volksbundes erreicht worden wäre, darf füglich bezweifelt werden. In diesem Falle wäre der Volksbund durch Unterlassung an Andersnationalen mitschuldig geworden.

An diesem berüchtigten 20. März, an dem alle Leidenschaften hochgingen, wollten einige das Landesfahnendenkmal und anderes niederreißen, den Vikar Berencz - angeblich auf Befehl des Landesjägermeisters - verhaften und so in Revolution spielen. All dies konnte durch den Volksbund verhindert werden.

Die Einheit des Apatiner Deutschtums war dahin. Leidenschaft, Haß und Schadenfreude vertieften die Kluft. Das Vertrauen in den Volksbund war zerstört. Er versuchte gutzumachen und Wunden zu heilen, soweit er konnte. Er nahm sich der Soldatenfrauen und -mütter besonders an, er sorgte für großzügige Regelung ihrer Fürsorgeansprüche, er verwendete sich für Zurückstellungen und Entlassungen.

Es folgte noch die dritte SS-Aktion, die wieder durch Staatsvertrag zustande kam 6 . Sie beruhte auf der allgemeinen Wehrpflicht, wobei der ungarische Staat die Deutschen verpflichtete und sie der Waffen-SS überstellte. Der Apatiner Volksbund hielt sich diesmal aus der Aktion heraus; die Musterungen wurden nicht mehr im Ahnenheim durchgeführt, Musterungs- und Einberufungsbescheide über die Gemeindeorgane zugestellt; er sorgte dafür, daß auch bei der dritten Aktion kein Andersnationaler verpflichtet wurde.

Zu den SS-Aktionen, zu deren Werbung und zum Einsatz der Freiwilligen muß gesagt werden, daß sie ausschließlich im Zeichen der Abwehr des Kom-


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munismus und des bolschewistischen Rußlands gesehen und durchgeführt wurden, zumal den Deutschen Apatins die sehr zwielichtige Haltung der Ungarn nicht verborgen blieb, wie ihnen auch im Anschluß an den Zusammenbruch Jugoslawiens Äußerungen der Serben, daß die Russen noch kommen werden, bekannt waren.

Im letzten Teil seines Berichts schildert der Vf. die Lage der nichtdeutschen Bevölkerung Apatins, die Hilfs- und Sozialleistungen der Volksgruppe, die Ernährungsverhältnisse kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee und berichtet abschließend ausführlich über die vergeblichen Bemühungen der Amtsleiter der Volksgruppe, die deutsche Bevölkerung Apatins beim Herannahen sowjetischer Truppen zur Evakuierung zu bewegen 7 .