Nr. 29: Die Evakuierung und Flucht der deutschen Ansiedler aus der Untersteiermark; Sammlung der Flüchtlinge in Auffanglagern nach Kriegsende und ihr Abschub aus den Sammellagern nach Österreich Ende Mai 1945.

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Erlebnisbericht des Landwirts K. R. aus Windischdorf (Slovenske vas) in der Gottsdiee.

Original, 6. März 1958, 16 Seiten, hschr. Teilabdruck.

Nach seiner Darstellung der Umsiedlung der Gottscheer Deutschen Ende 1941 und der Verhältnisse im Ansiedlungsgebiet der slowenischen Untersteiermark 1 berichtet der Vf. weiter:

Anfang Februar 1945 wurde uns bekanntgegeben, Vorbereitungen für eine eventuelle Flucht zu treffen. Die Ochsen wurden beschlagen, Transportwagen mit einem Dach versehen, Bekleidung in Koffer und Kisten verpackt. Anfang März wurde alles schon vorbereitet für den Abmarsch, aber der Befehl zum Abmarsch kam nicht. Ohne den Befehl der Kreisleitung durfte niemand abfahren. Die angesiedelten Umsiedler kamen im April schon in eine verzweifelte Lage. Die meisten fühlten, daß eine Flucht mit den Trecks nicht mehr möglich sei. Aber die Kreisleitung versicherte uns immer wieder,


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daß es nicht verspätet sei und daß wir rechtzeitig den Befehl zum Abmarsch erhalten werden. Es ist sogar am 30. April noch eine solche Bekanntmachung ergangen. Die Schuld des verspäteten Abmarsches war angeblich bei der Gauleitung.

Vom 5. bis 7. Mai wurden Frauen mit kleinen Kindern mit der Eisenbahn abtransportiert. Am frühen Morgen, 8. Mai, kam dann der Befehl für den Abmarsch der Treckskolonne. Ich ging mit meiner Familie am 8. Mai, zirka 12 Uhr ab. Der Treck bestand größtenteils aus Ochsengespann, bis auf einige Pferdegespanne. Es ging sehr mühsam weiter, da die Straßen von den sich zurückziehenden Wehrmachtseinheiten überfüllt waren. Den ersten Tag konnten wir zirka 20 km machen, den zweiten Tag zirka 10 km. Am dritten Tage, 10. Mai, war die Straße so verstopft, daß man mit einem Gespann keinen Schritt weiterkonnte. Zirka 12 Uhr verließen schon einige ihre Wagen und Gespanne. Auch die Wehrmacht verließ ihre Pferdegespanne und setzte sich im Fußmarsch weiter. Kraftwagen benutzten diese Straße nicht. Nach 12 Uhr trafen dann auch schon Partisanen in der Nähe der Straße ein. Wir verließen unsere Ochsengespanne um zirka 17 Uhr. Wir nahmen nur die notwendigste Bekleidung, Wäsche und etwas Eßware mit und setzten uns im Fußmarsch weiter über Steinbrück nach Cilli. Die Straße war so besetzt, daß man kaum durchkommen konnte in ganz langsamem Tempo. In einem anliegenden Gelände kämpften die Partisanen mit der noch bewaffneten kroatischen Wehrmacht (Ustascha). Durch diesen Kampf konnten wir entwischen. - Ein Teil der Umsiedler ist von den Partisanen nach Rann wieder zurückverschleppt worden und wurde von dort erst nach einigen Tagen wieder freigegeben, einige wurden auch zurückgehalten 2 . - Entlang unserer Marschroute sah man tote Menschen liegen.


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Nächsten Tag, 11. Mai, kamen wir in Cilli an. Der Eisenbahntransport mit alten Leuten und Frauen mit ihren kleinen Kindern, der schon vor uns in Rann abgegangen war, stand auf einem Nebengeleise in Cilli. Als wir dort erfahren haben, daß keine Aussicht sei für die Weiterleitung dieses Zuges, gingen wir gruppenweise zu Fuß ab in Richtung Österreich 3 .

Am 3ten Tag, am 27. 5.1945, haben Sie uns wieder Einwagonirt, 50 Persohnen samt gepäck in ein Wagon, abgespert und nur 2mal ½ Stunde in 24 Stunden geöfnet. In Marburg war die Kontrohle. Dort war mau gründlich ausgesucht; alle Messer, Uhren, Schmuck, Eheringe, das ganze Geld, alle Papire und Kleider weggenommen. Ich habe gebeten, nur den Besietzbogen und die Einbürgerung sollen Sie mir lassen. So wurde ich geschlagen, das mir das Blut beim Mund, Nase und Ohren herausfloß. Auch die gold Zähne haben sie mir herausgeschlagen. Und so von allem befreut. Bloß was wir am Körper Kleider hatten, hat man uns gelassen. Ohne Schuhe muste ich laufen; hunger, durst und kein Pfening in der lasche.

In Spielfeld haben Sie uns dan freigelassen. In der Nacht haben wir uns ein Feuer gemacht, da es sehr Kald war. In der Früh ging es weiter bis Wagua bei Leibnitz." (Erlebnisbericht; Original, 19. März 1958, 6 Seiten, hscfar.)

Auch diejenigen Umsiedler, die sich nicht auf die Flucht gemacht hatten oder wieder in ihre Ansiedlungsorte zurückgekehrt waren, wurden seit Anfang Juni ebenfalls in die Sammellager geschafft und nach Österreich abtransportiert. Darüber berichtet u. a. die Bauersfrau M. M., die Mitte Mai von der Flucht zurückgekehrt war, folgendes:

"So vergingen 3 Wochen; u. eines Tages kam der Befehl, alles muß weg, bis in 10 Minuten fertig machen. Da sind sie mit Wagen gekommen u. haben uns bis Gurkfeld (war unsere nächste Stadt gewesen), dort haben Sie uns abgeladen u. in einen großen Hof abgeladen, nur untern freien Himmel. Und da mußten wir denn Dreck putzen, wo zuvor alles verwüstet wurde, u. haben sich die Leute Steine zusamengestellt u. so das Töpfchen drauf gestellt u. gekocht. Wir bekaramen ja auch so eine Kleien-Brühe oder Erbsen, wo lauter Würmer drinnen waren, so ein Gefraß bekamen wir. Da brachten Sie einen Wagen auf die Mitte, die Leute mußten Ihre Sachen alle raus - welche hatten ja noch, welche noch dort geblieben waren - u. haben den Leuten alles weggenommen; wer mehrere Kleider an hatte, mußte ausziehen, u. so auch Schuhe, u. bekams alte. Da blieben wir einige Tage. Und dann bis es, wir fahren mit dem Zug weg. Die jungen Leute, auch meine Tochter, Männer u. Frauen ohne Kinder, waren zurük behalten; die mußten weiter dort arbeiten. So sind wir in Zug eingestigen, u. wer noch was hatte, mußte es nochmals abgeben. Der Wagen wurde geschlosen, u. bei der größten Hitze mußten die Leute zusammengeprest mit Kinder u. alten Leuten auf den Fußboden liegen, ohne Wasser. Da sind wir Stunden lang gestanden, weil doch die Strecken, kaput waren; viele Leute sind krank geworden, haben die Ruhr bekommen u. haben sich ganz voll gemacht, u. das war ein Gestank n. kein Fenster war ofen. Und so ging es Tage lang, bis wir endlich über die Grenze nach Österreich kämmen; u. da liesen Sie einfach die Wagone stehn u. sagten uns lange nicht, das wir schon in Österreich sind. - Und die, wo in Gurkfeld zurück bleiben mußten, kämmen dann nach Sterntal [s. die Berichte Nr. 70 ff.], wo Sie Wochen lang in dem Vernichtungslager verbringen mußten (die meisten sind gestorben). Dann waren Sie im späten Herbst bei Kälte u. Regen über Ungarn in ofnen Zügen weiter nach Wien geschickt. Viele, auch meine Tochter hatt dann Kopf- u. Fleck-Tiefus bekommen, war 12 Wochen im Krankenhaus in Wien u. kam zu Weihnachten im' Jahre 45 zu uns ins Lager Kapfenberg, Österreich." (Erlebnisbericht; Original, 27. März 1958, 13 Seiten, hschr.)


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In Krainburg wurden wir gruppenweise, so wie wir dort eintrafen, einige Tage festgenommen und in ein Barackenlager interniert. Zum Essen bekamen wir nichts, und der Hunger war schon sehr groß, da niemand mehr eigene Eßware hatte. Als nun die Leute schon einige Tage nichts mehr zum Essen hatten, hieß es, daß wir Mittagessen erhalten werden. Anstatt des Mittagsessens kam um 11 Uhr der Befehl, alles antreten zum Abmarsch. Die Abtransportkolonne wurde zusammengestellt, und wir marschierten auf die Straße. Dort warteten wir bis zum Abmarsch. Wir bekamen einen Transportführer und eine Krankenpflegerin zugeteilt. - Der Transportführer soll angeblich ein österreichischer Arzt aus einem Lazarett gewesen sein und ebenso auch die Krankenpflegerin. - Nach einigen Stunden Wartezeit auf der Straße kam der Befehl zum Abmarsch. Als Begleitung wurden uns einige Partisanen auf Pferden zugeteilt. Die Abtransportkolonne bestand aus rund 1200 Gottscheern und 200 Personen anderer Nationalität, insgesamt 1400 Personen.

Mit leerem Magen traten wir unseren Fußmarsch an und wußten nicht, wohin es ging. Am zweiten Tage fühlten wir uns schon schwach, aber die Angst trieb uns weiterzukommen. Wir hatten Geld, aber es gab nichts zu kaufen. In einzelnen Fällen konnte man durch Betteln bei der ansässigen Bevölkerung neben der Straße etwas bekommen, aber Geld wollten sie nicht annehmen. Sie gaben es aus Mitleid. Größtenteils waren wir mehrere Tage ohne Essen. Auf dem Tagemarsch, wenn wir eine Rastpause hatten, kamen die Partisanen und raubten uns nach Möglichkeit aus. Das Geld hatten wir meistens getrennt aufbewahrt, auch in schmutziger Wäsche. Die Frauen wurden nicht so genau untersucht. Vielen wurden das noch vorhandene Geld und die Wertgegenstände von den Partisanen abgenommen.

Nach mehreren Tagemärschen sind wir in Begleitung der Partisanen in Cilli angekommen. Wir wurden dort in ein Barackenlager in einem Walde neben der Stadt Cilli untergebracht. Am zweiten Tag nach der Ankunft


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bekamen wir dort die erste Verpflegung, es war eine Krautsuppe als Mittagessen. Gegen Abend kam dann noch ein kleiner Transport unserer Landsleute dort an, die noch einige Pferdegespanne hatten. Es wurde ihnen alles abgenommen bis auf ein geringes Mitgepäck. Sie wurden dann an unsere Marschkolonne angeschlossen. Am darauffolgenden Tage kam der Befehl, in Marschkolonne um 8 Uhr für den Abtransport auf der anliegenden Straße bereitzustehen für den Abmarsch nach Österreich.

Bevor der Befehl zum Abmarsch erteilt war, wurden von der Marschkolonne alle Männer von 18 bis 40 Jahren aus der Abtransportkolonne herausgeholt. Es kam aber vor, daß auch jüngere und ältere Jahrgänge mit eingereiht wurden. Mein Sohn wurde auch mit eingereiht. Er war kaum 16 Jahre alt, es fehlten noch zwei Monate. Weder ich, noch er konnten etwas erreichen für seine Freiheit. Ich wandte mich dann an unseren Transportführer. Durch einen gelungenen Trick bekam er ihn frei. - Unser Transportführer setzte sich sehr mühevoll ein und tat alles, was in seiner Macht lag, gegen die ungerechte Auswahl, aber er konnte nichts machen. Mit seinem gewagtem Trick gelang es ihm nur, zwei Jugendliche unter 18 Jahren freizukommen. - Die Herausgeholten mußten zurückbleiben.

Unsere Transportkolonne wurde dann für den Abmarsch vorbereitet. Zwei Pferdegespanne wurden uns zugeteilt, zur Beförderung der nicht Marschfähigen. Wir setzten dann wieder zu einem mehrtägigen Marsch an, ohne Verpflegung, in Richtung Österreich, unter Partisanenbegleitung. Jeder mußte selber dafür sorgen, daß er soviel Eßware aufbrachte, daß er nicht verhungerte.

Nach mehrtätigem Marsch kamen wir über Unterdrauburg an der Grenze an. Dort wurden wir gegen Ende Mai von der englischen Besatzung übernommen und kamen in Lavamünd in Österreich an. Wir erhielten dann dort auch eine vorübergehende Verpflegung. Für eine vorübergehende Unterkunft wurden wir am darauffolgenden Tage mit mehreren Lastkraftwagen in ein Lager nach Eberndorf überbracht. Unser Transportführer (österreichischer Arzt) verließ uns, als wir über die Grenze kamen. Sein Wunsch und Pflicht war erfüllt. Durch seine übermenschliche Leistung, die er bei der Führung des Transports vollbrachte, kam er vollkommen erschöpft in Österreich an. Keiner aus unseren Kreisen hätte diese Kraft aufgebracht. Wir waren ihm alle sehr dankbar.


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