Nr. 15: Die Bemühungen des Vfs. um eine organisierte Evakuierung und Flucht der deutschen Bevölkerung aus dem Bezirk Kubin, ihr Scheitern wegen unzureichender Anweisungen, wegen der mangelnden Bereitschaft zum Aufbruch und wegen der verbreiteten Gegenparolen; Erlebnisse des Vfs. auf seinem Fluchtweg.

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Bericht des Bauern und Gastwirts Franz Kneipp, ehemals deutscher Bürgermeister von Kubin (Kovin) im Banat.

Original, 16. Februar 1958, 6 Seiten, msehr. Teilabdruck.

Der erste Teil des Berichtes besteht aus einer Zusammenstellung von Angaben über einzelne Vorgänge und die allgemeinen Verhältnisse in Kubin in der Zeit von Beginn des deutsch-jugoslawischen Krieges im April 1941 bis zu den Vorbereitungen für die Evakuierung der deutschen Bevölkerung im September 1944.

Die Volksdeutschen in unserer Gemeinde waren schon mehrere Tage planmäßig vorbereitet zur Evakuierung, es waren alle Maßnahmen getroffen: Krankenwagen, Schmiede mit allen Reserve-Materialien. Jeder Deutsche hatte seinen sicheren Einteilungsplatz auf den Fuhrwagen. Es. war alles zugweise eingeteilt mit Zugführern und Treckführern. Die planmäßige Fahrt war durch die Volksgruppenführung bestimmt, mit dem Vorsatz: Abwarten auf weiteren Befehl 1 .


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Da kein Befehl gekommen ist, die deutsche Wehrmacht fast alle abgezogen sind und wir noch keinen Befehl hatten, habe ich den Volksgruppenführer Sepp Janko [angerufen], der sich durch die Kreiskommandantur gemeldet hat, und sagte ihm, ich kann weiterhin keine Verantwortung mehr übernehmen, da noch kein Befehl vorliegt, um abzufahren. Die deutsche Wehrmacht hatte bereits den Ort verlassen. Der Volksgruppenführer staunte sich, daß wir vom Kreisleiter noch keinen Befehl hatten. Da ordnete der Volksgruppenführer an: Den Ort auf dem schnellsten Wege verlassen und in Pantschowa bei der Kreisleitung melden. Dies war am 1. Oktober 1944, abends 18 Uhr.

Ich alarmierte die Mannschaft und erteilte den Befehl: Über Nacht alle erfassen und zugsweise in der Früh um 6 Uhr am Ortsende gestellt zum Abmarsch! Die Polizei und Mannschaft wurde mit Waffen ausgerüstet zum Schütze des Trecks. Ich telefonierte in alle Ortschaften meines Bezirkes, daß alle am schnellsten Wege nach Pantschowa bei der Kreisleitung mit ihren Trecks sich melden. - Das war eine der schwersten und aufregendsten Nächte. Ich hoffte, daß ich meiner Pflicht nachgekommen bin und alle Deutschen aus meinem Ort planmäßig und noch rechtzeitig wegbringen kann.

Die Deutsche Mannschaft war am 2. Oktober 1944, 6 Uhr früh mit voller Ausrüstung angetreten zum Schütze des Trecks. Der Mannschaftsführer, Herr Karl Kucht, und Stellvertreter, Peter Schäfer, gaben den Befehl, ohne mein Wissen: Die Mannschaft soll nach Hause gehen; es ist ein Befehl gekommen; wer flüchtet, wird unterwegs erschossen, alle Wege sind gesperrt


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(was nicht der Tatsache entsprochen hat), und wer von den Leuten hierbleibt, dem passiert nichts. - Als ich dies erfahren habe von Kamerad Lorenz Deutsch, war ich wie vom Blitz getroffen; ich suchte sofort nach den beiden Herren Kucht und Schäfer, die waren nicht mehr zu finden.

Ich setzte alle Hebel in Bewegung, um die Leute wegzubringen. Viele Leute weinten und wollten weg, die hatten keine Fahrgelegenheit; diejenigen, die eine hatten, wollten nicht weg, da Herr Kucht Befehl gegeben hat hierzubleiben. Da noch eine kleine Einheit der deutschen Truppen hier war, ersuchte ich den Leutnant um Hilfe, mit zehn Mann Fuhrwagen herauszutreiben, um die Leute wegzubringen. Der Herr Leutnant und die zehn Mann bemühten sich, aber auch das blieb erfolglos. Der Leutnant kam zurück und sagte zu mir: Ich bedauere, ich kann keine Gewaltaktion ausüben, denn wir müssen auch weg. - Und so sind noch viele, die weg wollten, zurückgeblieben.

Ich bin dann um l Uhr Mittag mit 11 Wagen und Oberleutnant Birg mit seiner Polizei weggefahren. Wir sind dann abends 7 Uhr in Pantschowa angekommen, von wo wir am nächsten Tag, dem 3. Oktober, mit mehreren Trecks nach Befehl über Titel fahren sollten. Wir sind bis Apfeldorf (Jabuka) gekommen, dort wurden wir aufgehalten. Die Partisanen haben in Titel die Brücke besetzt.

Wir bekamen von Belgrad Panzer und Spähwagen, um die Strecke frei zu machen; sie konnten nicht mehr durchstoßen, und wir mußten zurück nach Pantschowa an die Temesch, es war um l Uhr nachts. Viele von den Fuhrwagen fuhren zurück nach ihrer Heimatgemeinde 2 . Wir warteten verzweifelt auf weiteren Befehl.

Am 4. Oktober, früh zwischen 4-5 Uhr kam ein Schiff mit Schlepper, da bekamen wir den Befehl, alles liegenzulassen und nur Handgepäck kann mitgenommen werden, denn es ist das letzte Schiff, was weggeht. Weinend und verzweifelt ließen alle ihr letztes Gut zurück und folgten dem Befehl und gingen in das Schiff. Bei der Abfahrt sang die Polizei das Lied "Teure Heimat". Es war ein ergreifender Abschied, alle Augen waren mit Tränen gefüllt.


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Wir fuhren durch das Minenfeld der Donau nach Semlin. - Nach der Rückfahrt des Schiffes ging es durch Minen in die Luft. - Wir wurden in Semlin in einem Soldaten-Heim untergebracht. In derselben Nacht, um 12 Uhr, kam die Feldgendarmerie und holte die Frauen und Kinder mit, und alle Männer mußten dort bleiben, um das noch vorhandene Gepäck zu verladen und auf den Bahnhof zu bringen. Nach einer knappen Stunde kam wieder die Feldgendarmerie mit Befehl: Alles liegenlassen und zum Bahnhof laufen, der letzte Zug geht weg, und die Partisanen kommen schon über die Donau. - Und so verließen wir dann Semlin ohne jedes Gepäck.

Wir kamen dann drei Tage später mit dem Zug in Wien am Westbahnhof an. Kurz nach der Ankunft war ein großer Fliegeralarm. Nach dem Fliegeralarm fuhren wir weiter nach Krummnußbaum in ein großes Lager. Von dort haben sich die Leute in verschiedene Richtungen getrennt. ..

In meiner Heimatgemeinde sind ca. 1800 Deutsche zurückgeblieben 3 .

In den folgenden Abschnitten seines Berichtes gibt der Vf. eine zusammenfassende Darstellung auf Grund von Augenzeugenberichten über die Ereignisse in seiner Heimatgemeinde nach ihrer Besetzung durch Partisanen und sowjetische Truppen und über das Schicksal der zurückgebliebenen deutschen Bevölkerung unter dem jugoslawischen Nächkriegsregime. - Dem Bericht sind noch einige unvollständige Namenslisten beigefügt 4 .