III. Die Zwangsverschleppung ostdeutscher Zivilpersonen nach der Sowjetunion.

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Vom Ablauf der Ereignisse und der Entwicklung der Zustände in Ostdeutschland zu trennen ist das Schicksal derjenigen Männer und Frauen aus den Gebieten östlich der Oder und Neiße, die schon in den Tagen nach dem Einmarsch der Roten Armee aufgegriffen und nach der Sowjetunion verschleppt wurden, wo sie, oft Tausende von Kilometern von ihren in Ostdeutschland verbliebenen Angehörigen entfernt, das harte Los der Zwangsdeportierten zu erleiden hatten.

Im Gegensatz zu den Erschießungen oder sonstigen Gewalttaten und Exzessen, die zu einem beträchtlichen Teil Willkürhandlungen einzelner sowjetischer Soldaten und Offiziere waren, handelt es sich bei der Zwangsdeportation ostdeutscher Zivilpersonen um eine systematisch betriebene Aktion, die von der obersten sowjetischen Führung geplant und in allen sowjetischen Armeebereichen jenseits von Oder und Neiße in gleicher Weise gehandhabt wurde. Die zentrale Leitung und Planung dieser Aktion durch die sowjetische Führung ist daran erkennbar, daß schon seit Dezember 1944 auch in Rumänien, Ungarn und Jugoslawien viele Tausende von Volksdeutschen zusammengetrieben und nach Rußland, meist in das Industriegebiet am Donez und Don, in den Ural oder nach dem Kaukasus deportiert worden waren.

In den deutsch bewohnten Gebieten jenseits von Oder und Neiße begann die Verschleppung von Zivilpersonen vereinzelt bereits Ende Januar 19451) und wurde dann im Monat Februar systematisch in allen bis zu dieser Zeit von der Roten Armee besetzten Gebieten betrieben.

In diese Zeit, in der die Deportationen in Ostdeutschland anliefen, fiel die Konferenz von Jalta (4.—11. Februar 1945), auf der Stalin die Zustimmung der Westmächte zu erlangen vermochte, daß die UdSSR, nach dem Siege über Deutschland als einen Teil der ihr zugesprochenen Reparationen Arbeitskräfte aus Deutschland nach Rußland schaffen könne2). Diese interalliierte Abmachung kam zwar erst zustande, als die Deportationen im Südosten nahezu beendet und aus den Ostgebieten jenseits von Oder und Neiße schon viele Tausende von Deutschen nach der Sowjetunion unterwegs waren, dennoch gab sie eine Art Rechtsgrundlage, auf die sich die sowjetische Führung bei der Deportation großer deutscher Volksteile berufen konnte.

In Ostdeutschland erreichte die Verschleppung ihren Höhepunkt im Monat März 1945 und dauerte bis Ende April. Da bis zu diesem Zeitpunkt lediglich die östlich von Oder und Neiße gelegenen Gebiete in der Hand der Roten Armee waren, blieb die Verschleppungsaktion auf die Deutschen


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in diesen Gebieten beschränkt und griff nicht auf die spätere sowjetische Besatzungszone über1).

Die Organisation der Verschleppung lag bei den Heeresgruppen der Roten Armee. Sie begann in den jeweils eroberten Gebieten im allgemeinen bereits zwei bis drei Wochen nach der Besetzung. Jede der vier sowjetischen Heeresgruppen, die an der Eroberung Ostdeutschlands beteiligt waren, betrieb in ihrem Bereich die Verhaftung der Deutschen und ihre Einlieferung in die Durchgangs- und Sammellager selbständig. An ihrem Vorgehen zeigt sich, daß die Verschleppung weniger auf einem Plan zur Deportation bestimmter Personen und Personengruppen beruhte, sondern daß es vielmehr darauf ankam, möglichst schnell eine möglichst große Zahl arbeitsfähiger Deutscher zusammenzutreiben; denn offenbar war jeder der vier sowjetischen Heeresgruppen ein gleich hohes „Verschleppungssoll” auferlegt worden. Da die Anzahl der in den einzelnen Provinzen östlich der Oder-Neiße in sowjetische Hand gefallenen Deutschen örtlich sehr verschieden war und manche Gegenden schon im Januar und Februar von russischen Truppen erfaßt wurden, andere erst, als die Deportationen zu Ende gingen, zeigte das sowjetische Vorgehen sehr verschiedene Grade der Härte.

Die einzelnen Heeresgruppenbereiche umfaßten folgende Teile des Gebiets jenseits von Oder und Neiße2): Zum Bereich der Heeresgruppe Tschernjakowski gehörte Ostpreußen mit Ausnahme des Streifens westlich der Linie Elbing — Dt. Eylau. In diesem Bezirk war Insterburg das Hauptsammellager für die zur Deportation vorgesehenen Deutschen und der Verladebahnhof für die Transporte nach Rußland3).

Das Gebiet der Heeresgruppe Rokossowskij umschloß den westlichen Sektor Ostpreußens, ganz Westpreußen und den östlichen Zipfel Pommerns bis etwa zur Linie Köslin—Flatow. Hauptsammellager für die Deportationen waren zunächst Ciechanów (Zichenau)4) und Soldau5) und ab Mitte März vor allem Graudenz6), das erst am 5. März gefallen war.


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Südlich daran grenzte der Bereich der Heeresgruppe Shukow, zu dem das westliche Polen, Ostbrandenburg und die westliche Hälfte Ostpommerns gehörten. Hauptsammellager und Ausgangspunkte für die Transporte waren hier Schwiebus in Brandenburg1), Posen2) sowie Sikawa bei Lodz3).

Den Abschluß bildete die Heeresgruppe Konjew, der ganz Schlesien und das südliche Polen unterstand. Sammelpunkte für die Deportation der Deutschen waren im oberschlesischen Industriegebiet das Lager in Beuthen4) und der Verladebahnhof Peiskretscham5), ferner Lager, die in Krakau6) und den in der Gegend von Przemysl gelegenen Orten Sanok und Sambor eingerichtet worden waren.

Als Auffanglager dienten in der Regel Zuchthäuser und Gefängnisse, mitunter auch Kasernen oder Barackenlager. Die Umstände der Inhaftierung waren im allgemeinen überall die gleichen. Die arbeitsfähigen Männer und Frauen eines Ortes oder eines ganzen Kreises erhielten plötzlich Befehl, sich zu einem festgesetzten Termin an einem bestimmten Ort zu melden. Von dort aus begann der Transport oder Fußmarsch zu dem nächsten größeren Sammellager. Es folgten erneute Zusammenstellungen und die Beförderung in das Hauptlager, wo nach oberflächlicher Überprüfung des Gesundheitszustandes die zur Deportation Bestimmten in russische Güterzüge verladen wurden.

Die Aushebung und Verhaftung der zur Verschleppung bestimmten Menschen erfolgte großenteils — vor allem in den Städten — durch Aufrufe, daß sich alle Männer bis zum 60. Lebensjahr zu melden hätten7). In vielen Gegenden war die Verschleppung auch mit der Registrierung der deutschen Bevölkerung gekoppelt8), die überall in den Wochen nach der Besetzung der einzelnen Orte vorgenommen wurde. Da jedoch weite Gebiete besonders auf dem Lande auf diese Weise nicht erfaßbar waren, wurden Sonderkommandos der sowjetischen Armee gebildet, die den Auftrag hatten, aus den einzelnen Gebieten eine bestimmte Anzahl arbeitsfähiger deutscher Personen zusammenzutreiben und ihre Überführung in die Sammellager durchzuführen9). Oft hielten diese sich nicht damit auf, eine Gegend planmäßig durchzukämmen, sondern trieben, um ihren Auftrag möglichst schnell zu erfüllen, aus einzelnen Dörfern nahezu alle erwachsenen deutschen Personen zusammen, während andere Orte gänzlich von ihnen verschont blieben.

Am leichtesten hatten es die Deportationskommandos in Oberschlesien. Dort waren zahlreiche Bergleute und Industriearbeiter, die einst wegen ihrer Unabkömmlichkeit nicht zum Heeresdienst einberufen worden waren und


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denen aus dem gleichen Grunde die Flucht untersagt worden war, zurückgeblieben1). In Gleiwitz, Beuthen, Hindenburg und anderen Städten des Industriebezirks wurden deshalb bald nach der Eroberung dieses Gebietes alle Männer von 17—50 Jahren interniert und in Lagern untergebracht. Ein erheblicher Teil von ihnen wurde über Beuthen, Peiskrelscham oder Krakau nach Rußland transportiert2).

Da Schlesien auch nach dem Einfall der Roten Armee die volkreichste der deutschen Ostprovinzen war, fand die russische Militärverwaltung hier genügend Menschen vor, um ihr „Verschleppungssoll” zu erfüllen. Die Heeresgruppe Konjew, der Schlesien unterstellt war, stand deshalb mit rund 62 000 deportierten Deutschen — überwiegend Männern — an der Spitze der vier Militärbereiche in Ostdeutschland.

Anders war die Lage in den übrigen Gebieten, ganz besonders in Ostpreußen3). Dort griffen die sowjetischen Deportationskommandos zu den drastischsten Maßnahmen, um die ihnen auferlegte Zahl von Verschleppten zu erreichen. Da Männer arbeitsfähigen Alters kaum noch im Lande waren und die Bevölkerung Königsbergs nicht in Betracht kam, weil um diese Stadt während der Hauptverschleppungszeit im Februar und März noch gekämpft wurde, sind in Ostpreußen in der Mehrzahl Frauen und Mädchen von 15—50 Jahren ergriffen und in das Sammellager Insterburg eingeliefert worden4). Dabei kam es vor, daß zahlreiche Mütter von ihren kleinen Kindern getrennt und auch alte Leute verschleppt wurden5). Dennoch blieb die Zahl der aus dem Armeebereich Ostpreußen (Tschernjakowskij) Verschleppten weit unter denen aus den anderen sowjetischen Heeresgruppenbereichen.

Umfassende Nachforschungen darüber, wie viele ostdeutsche Zivilpersonen aus den einzelnen sowjetischen Heeresbereichen nach Rußland transportiert wurden und wie hoch die Gesamtzahl der nach Rußland verschleppten Ostdeutschen war, haben bisher ergeben6):


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Mit Schwierigkeiten besonderer Art hatten es die sowjetischen Deportationskommandos in den Gebieten Polens zu tun. Dies lag daran, daß die polnischen Behörden unmittelbar nach der Besetzung des Landes durch sowjetische Truppen einen sehr großen Teil der deutschen Bevölkerung in polnischen Straf- und Arbeitslagern sowie in Gefängnissen interniert hatten1). Die russischen Deportierungsabsichten stießen hier erstmalig mit polnischen Tendenzen zusammen. Jedoch setzte sich die sowjetische Armeeführung in der Regel gegenüber den Polen durch. Die russischen Deportationskommandos erschienen in den von den polnischen Behörden und Sicherheitsorganen errichteten Internierungslagern für Deutsche und suchten sich arbeitsfähige deutsche Internierte heraus, um sie nach Rußland zu deportieren2).

Die Vorgänge im Zusammenhang mit der Deportation brachten über die Betroffenen schlimme Leiden. Schon die oft tagelangen Märsche nach den Sammellagern und die dabei erduldeten Drangsalierungen durch die russischen, teils auch polnischen Begleitmannschaften forderten zahlreiche Opfer unter den für die Verschleppung vorgesehenen Deutschen3).Als eine besondere Plage erwiesen sich ferner die fortgesetzten Verhöre, die die Verhafteten auf den Zwischenstationen und in den Sammellagern über sich ergehen lassen mußten. Aus ihnen läßt sich schließen, daß die Sowjets offenbar bemüht waren, den Deportationen eine formalrechtliche Grundlage zu geben. Konnte man den Verschleppten keine Zugehörigkeit zu nationalsozialistischen Organisationen nachweisen, so wurde versucht, irgendwelche anderen belastenden Geständnisse aus ihnen herauszupressen, die als Grund für die Verschleppung gelten konnten4).

Besonders in den Gefängnissen von Insterburg und Graudenz wurden bei diesen Verhören Gewalttaten schlimmster Art begangen5). Infolge schwe-


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rer Drangsalierungen, unzureichender Verpflegung und durch Krankheiten starben bereits in den Sammellagern viele Hunderte der Verschleppten1). Andere befanden sich in einem Gesundheitszustand, der selbst den sowjetischen Kommandanten einen Bahntransport nach Rußland nicht geraten erscheinen ließ. Dies galt vor allem für die vielen alten Leute, die von den Deportationskommandos in die Verschleppungslager eingeliefert worden waren. Viele dieser Alten und Arbeitsuntauglichen wurden, sofern sie nicht infolge der Anstrengungen und Entbehrungen in den Lagern starben, nach Monaten wieder entlassen2).

Als Ende April keine weiteren Deportationen nach Rußland mehr erfolgten, wurden die hierfür errichteten Sammellager teils aufgelöst, teils auch den Polen übergeben3). Besonders die Lager Graudenz, Posen und Sikawa spielten später unter polnischer Verwaltung als Internierungs- und Zwangsarbeitslager eine verhängnisvolle Rolle4).

Die zweite verlustreiche Etappe der Deportation stellte der Transport nach Rußland dar. In regelmäßigen Abständen wurden von den Hauptverladestationen aus Transportzüge zusammengestellt, die durchschnittlich je 2 000 Verschleppte aufnahmen. Die Fahrt zu den Arbeitslagern in Rußland dauerte im allgemeinen 3—6 Wochen. Während dieser Zeit wurden die Verschleppten nur völlig ungenügend mit Nahrungsmitteln und Wasser versorgt, und da die ersten Transporte noch im Februar abgingen, wirkte sich auch die Kälte unter den vielen oft unzureichend bekleideten Menschen verheerend aus. Die Sterblichkeit auf der Fahrt nach Rußland war deshalb allgemein sehr hoch, mitunter betrug sie 10 Prozent der Deportierten5).

Die Arbeitslager, denen die Transporte zugeleitet wurden, lagen über ganz Rußland verstreut. Sowohl nach dem Eismeer im Norden wie nach dem Kaukasus im Süden, ja sogar bis nach Turkmenien6) wurde die aus Ostdeutschland verschleppte Zivilbevölkerung befördert. Der überwiegende Teil der zahlreichen Lager mit teils nur wenigen hundert, teils mehreren tausend Deportierten, befand sich in den Industriebezirken am Ural, im Donez- oder Don-Gebiet.

Von den Strapazen des wochenlangen Transportes waren die Deportierten so geschwächt, daß ihnen im allgemeinen nach der Ankunft einige Wochen der Ruhe gewährt werden mußten, sollten sie wieder arbeitsfähig werden7). Mit der Ankunft in den russischen Arbeitslagern hörten im großen Ganzen die Quälereien durch die Wachmannschaften auf, von denen die Verschleppten auf dem Weg in die Sammellager in Ostdeutschland und bis zur


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Abfahrt heimgesucht worden waren. Auch Vergewaltigungen von Frauen scheinen kaum noch vorgekommen zu sein1).

Statt dessen begannen besonders im Frühjahr 1945 das Übermaß der zu leistenden Arbeit und die unzureichende Verpflegung in den Lagern katastrophale Folgen hervorzurufen. Allein die Art der zu leistenden Arbeit bedeutete eine Überforderung der Deportierten. Denn in der Regel waren es die körperlich schwersten Arbeiten, die sie zu verrichten hatten. In den Waldgebieten Nordrußlands und des Kaukasus mußten Bäume gefällt und zersägt2), daneben auch schwere Erd- und Torf arbeiten geleistet werden3). In den Industrierevieren im Ural und am Donez und Don haben Frauen und Männer aus Ostdeutschland in langen Schichten unter Tage Kohle und Erz fördern müssen4), und zahlreiche verschleppte Deutsche wurden hier auch zu schweren Verlade- und Transportarbeiten herangezogen5) und in Fabriken, Steinbrüchen und Ziegeleien6) oder beim Straßen- und Schienenbau eingesetzt7). Je nach Jahresfrist wechselten die Arbeiten. Im Sommer und Herbst nahm die Kolchoswirtschaft einen großen Teil Deportierter in Anspruch8); im Winter bestand die Zwangsarbeit oft darin, die Schienen- und Straßenwege von den Schneemassen freizuhalten9). — Verstärkt wurden die arbeitsmäßige Überbeanspruchung und bewußte Ausnutzung durch Arbeitszeiten von oft 12 und mehr Arbeitsstunden täglich. In diesem Zusammenhang kam vor allem dem sowjetischen Leistungs- und Norm-Prinzip eine verhängnisvolle Bedeutung zu. Je nach Gesundheitszustand und körperlicher Verfassung in Arbeitsgruppen mit verschieden hoher Norm eingestuft10), haben die Deportierten oft versucht, durch Übererfüllung der Leistungsnorm sich zusätzliche Verpflegung zu erarbeiten, da der kärgliche Normalsatz oft völlig unzureichend war. Solche regelmäßigen Übersoll-Leistungen bedeuteten aber nicht nur eine fortgesetzte Ausbeutung der Arbeitskraft, sondern führten oft auch dazu, daß die Normen erhöht wurden. Im Gegensatz zu den russischen Arbeitern, die mit solchen Gepflogenheiten der „Leistungssteigerung” schon vertraut waren und sich davon kaum noch antreiben ließen, sind viele Deutsche diesem ausgeklügelten System zum Opfer gefallen. Da die Verhälnisse in den Lagern außerdem meist völlig unhygienisch waren, nahmen — trotz anerkennenswerter, aber wegen des Mangels an Medikamenten meist fruchtloser Bemühungen rus-


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sischer Ärzte und Ärztinnen — Krankheiten und Sterbefälle im Jahre 1945 immer stärker zu. Weitaus die meisten Verluste, die unter den deportierten Deutschen entstanden, fielen in die Zeit vom Frühjahr bis zum Herbst 1945, als in manchen Lagern mehr als die Hälfte der Belegschaft zugrunde ging1).

Für diejenigen, die diese Zeit überstanden, begann sich die Lage in der folgenden Zeit etwas zu bessern. Zwar ließ das Übermaß der Arbeit in Kohlengruben, in der Landwirtschaft, beim Holzfällen oder bei der Aufräumung von Städten nicht nach, aber allmählich wurden die Verpflegungssätze erhöht, so daß der Gesundheitszustand der Verschleppten sich besserte. Unterschlagungen von Lebensmitteln durch die Lagerleitung sowie Bestechungen und Übervorteilungen durch die Wachmannschaften, bei denen in manchen Lagern auch Polen mitwirkten, haben jedoch dazu geführt, daß auch später noch teilweise recht schlimme Verhältnisse herrschten2). Da die Lager für Zivilpersonen in Rußland ganz allgemein als Straf- oder Besserungslager galten, waren ihre Insassen im Grundsatz wesentlich schlechter gestellt als die deutschen Kriegsgefangenen. In den Jahren 1947—1948 wurden in manchen Lagern die strengen Bestimmungen gelockert und den Verschleppten eine größere Bewegungsfreiheit gewährt. Teilweise gab es zu dieser Zeit auch eine geringfügige Entlohnung für die geleistete Arbeit, so daß die Verschleppten sich Lebensmittel oder Kleidung kaufen konnten3). Soweit sich ein Kontakt mit der russischen Zivilbevölkerung ergab, zeigte diese keine Feindschaft gegenüber den Deutschen4).

Schon im Sommer und Herbst 1945 waren, zum Teil verursacht durch die enorm hohe Sterblichkeit, die ersten Lagerauflösungen und Rücktransporte erfolgt. Damals wurden vor allem zahlreiche Kranke und Nichtarbeitsfähige nach Deutschland entlassen; auch von ihnen starben noch manche unterwegs5), obwohl die Verpflegung auf der Rückfahrt im allgemeinen wesentlich besser war als auf der Hinfahrt.

Nach der ersten großen Entlassungswelle von 1945 zogen sich die Lagerauflösungen und Rücktransporte nach Deutschland in großen Abständen und Unterbrechungen durch die Jahre 1946, 1947 und 1948 hin. Die letzten größeren Rücktransporte fanden im Jahre 1949 statt, nachdem die Verschleppten


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vierjährige Zwangsarbeit geleistet hatten1). Seitdem sind nur noch vereinzelt verschleppte ostdeutsche Zivilpersonen zurückgekehrt. Obwohl bekannt ist, daß noch manche von ihnen in der UdSSR leben, muß zweifellos damit gerechnet werden, daß der überwiegende Teil der Nichtzurückgekehrten in Rußland verstorben ist.

Die Höhe der durch die Verschleppungsaktion unter der ostdeutschen Zivilbevölkerung hervorgerufenen Verluste kann vorläufig nur annähernd erfaßt werden. Nach allen bisher vorliegenden Ermittlungen und den Angaben der Berichterstatter über die Sterblichkeit in den Verschleppungslagern und während der Transporte, muß angenommen werden, daß etwa die Hälfte der Deportierten und dazu noch mehrere Tausende von denen, die zwar festgenommen und in Sammellager eingeliefert, aber nicht mehr deportiert wurden, im Verlaufe der Verschleppungsaktion umgekommen sind. Die Gesamtverluste, die infolge der Verschleppung eintraten, beziffern sich sicher auf mindestens 100 000 bis 125 000 Tote.