b. Bevölkerungszahl.

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Rumänien wurde erst durch die Friedensschlüsse nach dem ersten Weltkrieg zum Nationalitätenstaat. Man wird es nicht zuletzt auf diese Tatsache zurückführen dürfen, daß die älteren Volkszählungen des Königreiches Muttersprache oder Volkszugehörigkeit der Einwohner nicht berücksichtigten. Für die angegliederten Gebiete bieten die Ergebnisse der vorhergehenden ungarischen, österreichischen und russischen Zählungen verwertbare Anhaltspunkte. Die neue rumänische Verwaltung leitete hier unmittelbar nach der Besitzergreifung in den Jahren 1919/20 Erhebungen ein, die auch die Nationalitätenverhältnisse klären sollten, doch blieben die Resultate unbefriedigend30. Als daher 1930 nach langjährigen Vorbereitungen die erste allgemeine Volkszählung für Groß-Rumänien durchgeführt wurde, sollte diese in erster Linie dazu dienen, die Unterteilung der rumänischen Bevölkerung nach Volksgruppen (pe grupuri etnice) so genau wie möglich festzulegen31.

Der Herausgeber der amtlichen Zählungsergebnisse von 1930, Sabin Manuila, geht in seinem Vorwort auf die prinzipielle Problematik jeder um Genauigkeit bemühten Nationalitätenstatistik ein32. Eine objektive Feststellung der sprachlichen und abstammungsmäßigen Volkszugehörigkeit jedes einzelnen Staatsbürgers wäre in der Praxis an sich schwer durchzuführen, in Gebieten nationaler Vermischung oder sprachlicher Überfremdung aber


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von vornherein zum Scheitern verdammt. Als einzige Alternative bleibt nach Ansicht Manuilas die subjektive Willenserklärung des Einzelnen im Zählungsfragebogen, obwohl auch dieser Methode manche Mängel anhaften. Die rumänische Volkszählung vom 29. Dezember 1930 versuchte auf dem letztgenannten Wege ein Höchstmaß an Genauigkeit zu erlangen: Sie fragte einmal nach der Muttersprache (limbă aternă), der Sprache, „welche die Person zu Hause spricht und die sie von ihren Eltern gelernt hat”, zum ändern aber — in einer gesonderten Rubrik — nach der Volkszugehörigkeit (apertenanţă etnieă, neam), wobei sich jeder zu dem Volkstum bekennen sollte, mit dem er durch Tradition und Gefühl verbunden war (neamul de care cineva se simte legat prin tradiţie şi sentimente)33.

Den sehr genauen Ergebnissen der 1930er Zählung lassen sich entsprechende Vergleichswerte aus den vorhergehenden Jahrzehnten leider nicht gegenüberstellen. Eine Gesamtdarstellung der Bevölkerungsentwicklung des rumänischen Deutschtums ist somit auf Grund der statistischen Daten nicht ohne weiteres möglich; sie würde darüber hinaus, angesichts der verschiedenartigen Struktur der einzelnen deutschen Gruppen, weiterreichende Schlüsse kaum ermöglichen. So ließ im Banat die nicht nur von der deutschen Bevölkerung geübte Geburtenbeschränkung die Entwicklung stagnieren34, während ausgesprochen hohe Kinderzahlen in Bessarabien ein verhältnismäßig starkes Anwachsen der dortigen deutschen Bauernbevölkerung bewirkten35. Zusammenstellungen der für die einzelnen deutschen Siedlungsgebiete verfügbaren Unterlagen zeigen, daß sich der deutsche Bevölkerungsanteil in den Jahrzehnten zwischen 1880 und 1940 prozentual geringfügig vermindert hat, obwohl die absoluten Zahlen stetig anstiegen36. Eine stärkere Umschichtung bewirkte das starke Anwachsen der rumänischen Staatsbevölkerung nach 1919 in den ursprünglich mehrheitlich deutschen Städten, in Temeschburg, Kronstadt, vor allem aber in Hermannstadt, dessen deutscher Bevölkerungsanteil von 71,9 % im Jahre 1880 auf 37,0 % im Jahre 1941 zurückging37.


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Zuverlässige Auskunft über die Gesamtzahl der vor Ausbruch des letzten Krieges in Rumänien ansässigen Volksdeutschen vermögen letztlich nur die Ergebnisse der Volkszählung von 1930 zu geben, da eine weitere Zählung vor den Gebietsveränderungen des Jahres 1940 nicht stattfand. Die Schwierigkeiten, die sich einer Auswertung der in ihrer Art mustergültigen Zählung entgegenstellen, sind angesichts der allgemeinen Bevölkerungssituation Rumäniens sehr viel geringer als etwa in Ungarn. Machten dort die engen politisch-nationalen und sprachlichen Verflechtungen zwischen Schwaben und Madjaren eine exakte zahlenmäßige Erfassung der „Deutschen” fast unmöglich38., so hatte sich das Deutschtum Siebenbürgens, Bessarabiens und der Bukowina von nationaler Vermengung und sprachlicher Überfremdung fast völlig freigehalten. Die schwäbische Bevölkerung des Banats fand nach 1919, trotz der vorangegangenen Madjarisierung, in ihrer überwiegenden Mehrheit zum deutschen Volkstumsbekenntnis zurück. Akut blieb das Problem eines national unentschiedenen „schwebenden Volkstums” lediglich für die in starkem Maße madjarisierten schwäbischen Siedlungen des Sathmar-Gebiets, deren Bewohner der deutschen Sprache zum Teil völlig entfremdet waren. Auch unter den Deutschen in den Städten des Altreichs wie in der Dobrudscha hatte eine gewisse Assimilierung, hier an das rumänische Staatsvolk, stattgefunden. In den Städten der Bukowina erschwert umgekehrt der hohe Prozentsatz deutschsprachiger Juden — die als eigene Nationalität gezählt wurden — eine saubere Trennung, soweit es um die zweite Rubrik der Zählung geht.


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Die Volkszählung von 1930 ergibt für die einzelnen deutschen Siedlungsräume folgendes Bild:

Schon eine oberflächliche Betrachtung dieser Zahlen zeigt, daß deutsche Muttersprache und deutsche Volkszugehörigkeit sich nicht unbedingt decken. Ein für die Gemeinden vorgenommener Vergleich der Einzelresultate ergibt, daß von den 745 421 Personen deutscher Volkszugehörigkeit wenigstens 18 000 Deutsch nicht als ihre Muttersprache angegeben haben40, während umgekehrt von den 760 687 Deutschsprechenden mehr als 30 000 sich nicht dem deutschen Volkstum zurechneten41. Die tatsächlichen Zahlen werden noch um ein geringes höher liegen. Man wird daher für das Jahr 1930, bei vorsichtiger Schätzung, mit 720 000 Rumänien-Deutschen rechnen dürfen, die durch Muttersprache und Volkstumsbekenntnis eindeutig als Deutsche ausgewiesen waren. Dazu kämen rund 25 000 Menschen, die sich noch als Deutsche fühlten, obwohl Madjarisch oder Rumänisch für sie zur Muttersprache geworden waren42.

Nach den amtlichen Bevölkerungskontrollen und Fortschreibungen des rumänischen Zentralinstituts für Statistik erhöhte sich die Zahl der Deut-


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schen in Rumänien bis Ende 1939 auf 782 24643. Die Zahl greift sicher nicht zu hoch, da nach der Umsiedlung von rund 200 000 Deutschen aus Bessarabien, der Bukowina, der Dobrudscha und dem Altreich44, sowie der Abtrennung Nord-Siebenbürgens und des Sathmar-Gebiets mit etwa 70 000 deutschen Bewohnern45 in der amtlichen Volkszählung von 1941 für Restrumänien noch immer 542 325 Deutsche gezählt wurden46. Unter Berücksichtigung der oben aufgezeigten Fehlerquellen wäre die Gesamtzahl der Volksdeutschen in Groß-Rumänien bei Kriegsausbruch somit zwischen 750 000 und 800 000 anzusetzen, wobei sich die Zahl der tatsächlich noch deutschsprechenden und sich als Deutsche fühlenden der unteren, die aller überhaupt deutschstämmigen Einwohner der oberen Grenze nähern würde.