a. Die rumänische Kapitulation vom 23. August 1944 und ihre unmittelbaren Auswirkungen auf die Volksdeutsche Bevölkerung.

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Marschall Antonescu galt führenden reichsdeutschen Stellen noch im Frühjahr und Sommer 1944 als der treueste und zuverlässigste Verbündete des nationalsozialistischen Deutschen Reiches. Die rumänische Armee hatte im Kampf gegen die Sowjetunion, insbesondere bei Stalingrad, hohe Verluste erlitten. Gemeinsam mit den deutschen Divisionen der Heeresgruppe Südukraine hielt sie nun den südlichsten Abschnitt der Ostfront, die vom Unterlauf des Dnjestr bereits durch rumänisches Gebiet nördlich Jassy zum Karpatenrand verlief.

Schon im Winter 1942/43, als sich nach Stalingrad und der alliierten Landung in Nordafrika die Kriegslage immer stärker zuungunsten Deutschlands zu verschieben begann, waren jedoch im Auftrage des Außenministers Mihai Antonescu und der demokratischen Oppositionsparteien — zum Teil mit Wissen des Staatsführers Ion Antonescu — erste Kontakte zu den Alliierten hergestellt worden. Die Geheimverhandlungen über ein Ausscheiden Rumäniens aus dem Kriege, die in Istanbul und Kairo mit den Westmächten, später über Stockholm auch unmittelbar mit der Sowjetunion geführt wurden, schienen bereits im Frühsommer 1944 kurz vor dem Abschluß zu stehen. Der Verlust Transnistriens und Nordbessarabiens im März 1944 hatte den Kriegswillen Rumäniens geschwächt. Die im Sommer einsetzenden angloamerikanischen Luftangriffe auf das Erdölgebiet und verschiedene rumänische Industriezentren — darunter Kronstadt und Temeschburg — ließen die innere Widerstandskraft des Volkes weiter erlahmen. Denoch fiel die Entscheidung in Bukarest erst nach dem sowjetischfinnischen Waffenstillstand, als die Bessarabienfront unter den ersten vernichtenden Schlägen des am 20. August einsetzenden sowjetischen Großangriffs zusammenbrach. Am Abend des 23. August 1944 wurde Marschall Antonescu, der sich einem offenen Bruch mit dem deutschen Partner bis zuletzt widersetzt hatte, nach vorbereitetem Plan verhaftet. Die Regierungsgewalt übernahm General Sănatescu mit den Führern der alten Oppositionsparteien. König Michael befahl in einer Proklamation allen rumänischen Truppen die Einstellung des Kampfes1.


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Der von Generaloberst Frießner kommandierten Heeresgruppe Südukraine unterstanden Mitte August 1944 insgesamt 25 deutsche Divisionen und eine etwa entsprechende Zahl rumänischer Einheiten. Die am 23. August von Tiraspol und Jassy aus mit weit überlegenen Kräften vorgetragene sowjetische Großoffensive durchbrach die deutsch-rumänische Front im ersten Ansturm an mehreren Stellen, da die vielfach demoralisierten rumänischen Divisionen nicht mehr standhielten. Die rumänische Kapitulation traf die Heeresgruppe bereits in vollster Auflösung. Sie konnte die Katastrophe nur beschleunigen. Die Masse der deutschen 6. Armee wurde östlich Leova eingekesselt und aufgerieben. Nur kleine Gruppen sowie einige Divisionen der weiter nördlich stehenden 8. Armee vermochten sich über die Karpatenpässe nach Ungarn zurückzukämpfen2.

Die deutsche Führung in Bukarest war — wie die Reichsregierung — durch die Ereignisse des 23. August trotz wiederholter Warnungen, besonders von militärischer Seite, überrascht worden3. Der von Berlin eintreffende Befehl, den „Putsch” mit Militärgewalt niederzuschlagen, verkannte die Lage völlig. Die deutschen Gesandten v. Killinger und Dr. Clodius sowie der Deutsche Bevollmächtigte General in Rumänien, General d. Kav. Hansen waren in der Bukarester Gesandtschaft eingeschlossen. Rumänien war nicht, wie Ungarn seit Mitte März 1944, von deutschen Truppen besetzt. Die unter Generalleutnant Gerstenberg zum Schutz des Erdölgebiets eingesetzten Luftwaffeneinheiten wie auch ein aus Jugoslawien herangeflogenes Bataillon der Division „Brandenburg” reichten zu einem wirksamen militärischen Gegenschlag nicht aus. Ein von Berlin aus unüberlegt angeordneter Bombenangriff auf Bukarest am 24. August gab König Michael lediglich den Vorwand, dem Deutschen Reich am folgenden Tag offiziell den Krieg zu erklären. Am 28. August befand sich das ganze Land fest in der Hand der neuen Regierung4.

Die rumänische Bevölkerung hatte auf die königliche Proklamation zum Teil mit begeistertem ‚‚Friedens„-Jubel reagiert5. Sie hoffte — wie ein Teil ihrer demokratischen Führer — auf ein baldiges Eingreifen der Anglo-Amerikaner6, nicht wissend, daß diese Rumänien bereits im Mai des Jahres zum sowjetischen Interessengebiet erklärt hatten7. Zu Feind-


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Seligkeiten gegen die deutschen Truppen kam es indessen in den allerwenigsten Fällen. In den Städten Siebenbürgens und des Banats lagen nur kleinere deutsche Garnisonen — Nachschubeinheiten und Teile der alten „Lehrtruppen”. Sie erhielten von den örtlichen rumänischen Kommandeuren die zum Teil schwankten, ob sie sich dem Umsturz in Bukarest fügen sollten, bis zum 25. August abends freien Abzug, zumeist mit dem Zugeständnis, ihr gesamtes militärisches und technisches Material mitzunehmen8. Es kam gelegentlich sogar zu Sympathiekundgebungen für die Deutschen seitens rumänischer Truppen und Offiziere. Die rumänische Zivilbevölkerung — nicht nur die Volksdeutschen — gewährten versprengten deutschen Soldaten, oft noch nach dem Einmarsch der Sowjets, unter Gefährdung der eigenen Sicherheit Hilfe und Unterkunft9. Wenn es der neuen rumänischen Regierung später dennoch ohne ernsthafte Schwierigkeiten gelang, große Teile der rumänischen Armee gegen die Achsenmächte ins Feld zu führen, so ist das in erster Linie der unerbittlichen Feindschaft gegen den ungarischen Nachbarn zuzuschreiben; der Krieg wurde zum „nationalen Befreiungskampf für Siebenbürgen”10.

Wie die offiziellen Vertreter des Deutschen Reiches war auch die Führung der deutschen Volksgruppe am 23. August auf den Umsturz nicht vorbereitet. Andreas Schmidt selbst weilte in Berlin; eine zentrale Leitung fehlte im entscheidenden Moment11. Pläne für eine Evakuierung der Volksdeutschen lagen nicht vor. In Kronstadt wurden auf Anordnung der Volksgruppenführung einige Hundert Volksdeutsche, in der Mehrzahl Gymnasiasten, bewaffnet;12 in Hermannstadt konnte der einsichtigere Krelsleiter eine entsprechende Maßnahme verhindern13. Im übrigen mahnten die örtlichen Funktionäre der Volksgruppe zur Ruhe und rieten von einer Flucht ab; man sprach von bevorstehendem deutschen Entsatz und vertröstete die deutsche Bevölkerung noch beim Abrücken der deutschen Garnisonen auf einen baldigen Gegenstoß14. Dies hinderte freilich nicht, daß ein großer Teil der Volksgruppenführung, insbesondere die leitenden Funktionäre in Kronstadt, Rumänien mit den abrückenden deutschen Einheiten verließen. Die in Kronstadt, Hermannstadt, Mediasch,


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Mühlbach, Schäßburg und Temeschburg stationierten deutschen Truppen, die im Laufe des 25. August abzogen, nahmen auch sonst im Rahmen des Möglichen Volksdeutsche, die sich oft völlig unvorbereitet und ohne Gepäck zur Flucht entschlossen, auf ihren Fahrzeugen mit. In größerem Umfang geschah dies nur in Kronstadt, wo die Zahl der Geflohenen mit etwa 600 angegeben wird15. Die vollständige Evakuierung der Volksdeutschen Bevölkerung aus dem südlich Kronstadt gelegenen Buşteni, dem Sitz der deutschen Papierfabrik Schiel, mit einem Güterzug des dort stationierten deutschen „Eisenbahntransportkommandos für den Südosten” blieb eine Ausnahme16.

In den Tagen nach dem Umsturz, vom 24. bis 27. August, wurden auf Anordnung der neuen rumänischen Regierung verschiedene Sicherungsmaßnahmen gegen die Volksdeutsche und madjarische Bevölkerung durchgeführt. Waffen, Radiogeräte, Kraftfahrzeuge und Fahrräder mußten abgeliefert werden; an einzelnen Orten zogen übereifrige Beamte auch Photoapparate und sogar Nähmaschinen ein17. Die deutschen Telefonanschlüsse wurden gesperrt18 Überdies mußten sich Volksdeutsche und Ungarn bei den Polizeibehörden ihres Heimatorts registrieren lassen; sie erhielten dabei einen Sonderausweis, der ihre Volkszugehörigkeit vermerkte und sie verpflichtete, sich jederzeit auf Befehl binnen zwei Stunden bei der Polizei zu melden19. Nach einigen Tagen wurde den Deutschen auch das Verlassen ihrer Wohnorte und die Benutzung der Eisenbahn untersagt20. Trotzdem gelang es allerdings einigen Familien aus Hermannstadt, Schäßburg und anderen Orten Siebenbürgens, zum Teil mit den letzten Zügen, nach Temeschburg zu fahren, um später von dort über die serbische Grenze und weiter nach Ungarn zu flüchten21. Temeschburg lag in den ersten Tagen und Wochen nach der Kapitulation noch weitab vom Kampfgeschehen und schien von den Ereignissen — trotz der wachsenden Zahl der Flüchtlinge — kaum berührt22.

Die Dienststellen der Volksgruppe und ihrer Organisationen wurden unmittelbar nach dem 23. August geschlossen. Schon in den ersten Tagen begann zugleich die Internierung der zurückgebliebenen Funktionäre der Volksgruppenorganisation. Die von der neuen Regierung angeordnete Verhaftungswelle erfaßte zunächst Kreis- und Ortsgruppenleiter, Amtswalter


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der verschiedenen. Organisationen sowie vielfach auch Volksdeutsche Bürgermeister23. Durch schematische Handhabung der Anordnungen — „in jeder deutschen Gemeinde drei führende deutsche Persönlichkeiten” — wurden auf dem flachen Land sowie in Orten mit geringer deutscher Bevölkerung gelegentlich auch Volksschullehrer und andere angesehene Gemeindemitglieder, die sich politisch nicht exponiert hatten, von der Internierung betroffen, freilich bisweilen ebenso rasch wieder freigelasssen24. Zum Teil auf sowjetischen Druck kam es nach dem Abschluß des Waffenstillstandes25 im Zuge einer allgemeinen antifaschistischen Säuberung zu weiteren Internierungen, die sich auch auf die Redakteure der deutschen Zeitungen, prominente Unternehmer und Geschäftsinhaber, ja selbst Pfarrer und Ärzte erstreckten, die wegen ihres Ansehens und ihrer Autorität bei den Volksdeutschen gefährlich erschienen. Gelegentlich genügten auch Denunziationen und anonyme Anzeigen, um eine Verhaftung zu veranlassen26.

Die Internierten wurden zunächst — in Temeschburg wie in den Städten Siebenbürgens — in Untersuchungsgefängnissen, Kasernen, Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden zusammengezogen und von dort nach einigen Tagen oder Wochen in das ehemalige Konzentrationslager Târgu-Jiu am Südrand der Karpaten übergeführt27; Verhöre durch die örtlichen antifaschistischen Überprüfungskommissionen (Comisia de triere), die auf Betreiben der Kommunisten errichtet wurden, waren selten. In Târgu-Jiu wurden vor allem auch die nach der Kapitulation internierten Reichsdeutschen, die zahlreichen Angehörigen der Gesandtschaft und der verschiedenen Wirtschaftsstäbe28, sowie internierte ungarische Staatsbürger untergebracht. Später wurde das Gefangenenlager Slobozia in der Băragăn-Steppe mit Internierten belegt; einzelne Volksdeutsche wurden auch nach Turnu-Măgurule eingewiesen29. Die Gesamtzahl der in den ersten Monaten nach der rumänischen Kapitulation inhaftierten Volksdeutschen ist nicht genau feststellbar, doch dürfte eine Schätzung von höchstens zwei- bis dreitausend der Wahrheit etwa gerecht werden.

Die Internierten wurden von den Rumänen anfangs rücksichtsvoll, zum Teil sogar freundlich behandelt. Die Unterbringung in den Barackenlagern war nicht gut, die hygienischen Verhältnisse wie auch die offiziell gereichte Verpflegung waren unzulänglich. Doch hatten die Häftlinge vielfach Ge-


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legenheit. sich ihr Los durch Kauf von Lebensmitteln und Empfang von Paketen zu verbessern. So blieb ihre Lage im allgemeinen erträglich, wenn sie sich auch mit der zunehmenden Überfüllung der Lager verschlechterte30.

Es bleibt hier grundsätzlich zu betonen, daß die rumänischen Behörden in den ersten Wochen und Monaten nach der Kapitulation bei allen Maßnahmen gegen die Volksdeutschen um Höflichkeit und Korrektheit bemüht waren31. Es mag dabei, vor allem in den Grenzgebieten, anfangs der Gedanke an einen noch möglichen militärischen Umschwung mitgespielt haben. Entscheidend war jedoch zweifellos, daß es in der rumänischen Bevölkerung, im großen und ganzen gesehen, keinen Haß gegen die Volksdeutschen gab. Zu organisierten oder spontanen Ausschreitungen gegen die Volksdeutsche Bevölkerung ist es in Rumänien — im Gegensatz zu Jugoslawien oder der Tschechoslowakei — nicht gekommen. Einzelne Drohungen und gelegentliche unfreundliche Äußerungen der rumänischen Presse blieben ohne sichtbare Wirkung32. Auch die Führer der rumänischen demokratischen Parteien waren prinzipiell zu einer Zusammenarbeit mit Hans Otto Roth, der das Schicksal der Volksdeutschen nach Auflösung der Volksgruppenführung wieder in die Hand zu nehmen suchte, bereit33. Das Einrücken der Sowjettruppen schuf jedoch schon nach wenigen Wochen völlig veränderte Verhältnisse.