VI. Kapitel: Die gegenwärtige Situation des Deutschtums in Rumänien — Statistischer Überblick.

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Stalins Tod und die allmähliche Auflockerung seines Systems begannen sich 1954 auch in Rumänien auszuwirken. Das Tempo der Zwangskollektivierung wurde wesentlich verlangsamt. Die sogenannten administrativen oder Verwaltungsstrafen wurden abgeschafft, die Mehrzahl der in den vorhergehenden Jahren oft ohne Haftbefehl und Urteil Inhaftierten wurde freigelassen. Die berüchtigten Zwangsarbeitslager am Donau-Schwarzmeer-Kanal wurden im allgemeinen noch 1954 aufgelöst, die Arbeiten am Kanal suspendiert1. Nach einer durchgreifenden Reorganisation der Staatssicherheitspolizoi (Securitate) kam es schließlich im Herbst 1955 zur Verkündung einer umfassenden Amnestie für politische Verbrechen und Vergehen, die die überlebenden Insassen der Lager und Gefängnisse auf freien Fuß setzte2.

Befanden sich schon unter den 1954/55 entlassenen Häftlingen zahlreiche Deutsche, so wirkten sich andere Erleichterungen in noch stärkerem Maße gerade auf die Volksdeutschen aus. Die 1952 aus den Industriestädten Siebenbürgens evakuierten Familien konnten, soweit sie Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten fanden, 1954/55 in ihre Heimatstädte zurückkehren3. Im Winter 1955/56 wurde den Zwangsumsiedlern in der Bărăgan-Steppe die Genehmigung zur Rückkehr ins Banat erteilt, wenn viele auch zunächst nicht in der Lage waren, die kostspielige Rückreise zu finanzieren4. Philipp Geltz wurde 1955 zum Minister für Kommunalwirtschaft und örtliche Industrie ernannt und zugleich mit der „Wiedergutmachung der dem Deutschtum infolge der vorangegangenen staatsbürgerlichen Diskriminierung zugefügten Schäden” betraut, während Anton Breitenhofer ins Zentralkomitee der Rumänischen Arbeiterpartei gewählt wurde. Die Tätigkeit dea Ministeriums Geltz, das Zehntausende von Beschwerden bearbeitete, führte in der Tat im Sommer 1956 zum Erlaß eines Dekrets über die Rückgabe von Wohnhäusern und Höfen an enteignete Volksdeutsche Besitzer, auf


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Grund dessen bis zum Jahresende 1956 22 000 Volksdeutsche ihre Höfe und Häuser zurückerhalten haben sollen5. Rund 1500 Deutsche waren im Dezember 1956 als Deputierte in den Volksräten des Landes tätig6, und in den allgemeinen Wahlen vom 3. Februar 1957 wurde neben Geltz und Breitenhofer auch Bischof Friedrich Müller zum Mitglied der Großen Nationalversammlung gewählt7.

Freilich waren die Neuerungen für die Deutschen nicht immer vorteilhaft. Die Vergünstigungen, die den mit ihrem Landbesitz in die Kolchose eingetretenen rumänischen Bauern im Jahre 1956 gewährt werden mußten, verschlechterten die Lage der zum Zeitpunkt ihres Eintritts landlosen deutschen Mitglieder. Auch die Rückgabe der Häuser war mit Schwierigkeiten verbunden, da die deutschen Besitzer die aufgelaufenen Steuerlasten begleichen, die Häuser renovieren und sich überdies vielfach weiter mit dem einsitzenden rumänischen Kolonisten abfinden mußten. Alles in allem ist die rechtliche, wirtschaftliche und kulturelle Stellung der Volksdeutschen in Rumänien jedoch heute zweifellos besser als die der deutschen Gruppen in den anderen Oststaaten.

Die verhältnismäßig günstige Position der Deutschen Rumäniens darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß das rumänische Deutschtum in seinen Grundfesten erschüttert und bedroht ist. Die erreichte Gleichberechtigung beruht auf der wenigstens äußerlichen Einordnung der Deutschen in den kommunistischen Staat. Deutsche Vereinigungen, deutsches Kulturleben sind nur unter den politischen Vorzeichen der herrschenden Ideologie möglich. Der Kommunismus bedient sich der nationalen Formen, um das nationale Bewußtsein als Grundlage einer oppositionellen Haltung auszuschalten. Noch ist die politische Beeinflussung nur wenig unter die Oberfläche gedrungen. Noch ist es auch, trotz Zerstörung der deutschen Dorfgemeinschaft und des geschlossenen deutschen Bürgertums der Städte, zu einer Vermischung mit anderen Nationalitäten in größerem Umfang nicht gekommen. Dennoch erscheint die Zukunft des rumänischen Deutschtums

mehr denn je gefährdet.

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Die Zahl der heute noch in Rumänien lebenden Volksdeutschen ist verhältnismäßig genau zu bestimmen. Am 25. Januar 1948 und am 21. Februar 1956 fanden in der Rumänischen Volksrepublik allgemeine Volks-


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Zahlungen statt, deren veröffentlichte Ergebnisse auch die Nationalitäten-Verhältnisse berücksichtigen8. 1956 wurde, wie schon 1930, getrennt nach Muttersprache ud Nationalität, 1948 nur nach der Muttersprache gefragt. Die Resultate der Zählungen sind in ihrer Verläßlichkeit kaum anzuzweifeln, da die Durchführung des Zählverfahrens, jedenfalls 1948, noch von den Fachleuten des alten Statistischen Zentralinstituts betreut wurde, eine Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse angesichts der von Partei und Regierung vertretenen Nationalitätenpolitik überdies kaum motiviert wäre. In der Zählung von 1948 gaben in Rumänien 343 913 Personen — 2,2 % der gezählten Gesamtbevölkerung von 15,9 Millionen — Deutsch als ihre Muttersprache an. Der Anteil der städtischen Bevölkerung an der Gesamtzahl der Deutschsprechenden entsprach dem des Jahres 19309. Nach Gebieten aufgeschlüsselt ergab sich folgendes Bild:

Für Siebenbürgen ermittelte die Evangelische Landeskirche bereits im Juni 1948 auf Grund interner Erhebungen 173 737 Deutsche10. Nach der jüngsten amtlichen Zählung im Februar 1956 hatte Rumänien 382 400 Einwohner deutscher Nationalität, während 391 388 Deutsch als Muttersprache nannten11. Da die Veröffentlichung der vorläufigen Ergebnisse von 1956 der durch die Verwaltungsreform von 1950/52 geschaffenen Regions-Einteilung folgt, sind die Vergleichsmöglichkeiten begrenzt. Der gegenüber 1948 zu verzeichnende Anstieg hat sich jedoch, da er vor allem auf die Rückkehr


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von Verschleppten und Gefangenen zurückzuführen ist, gleichmäßig auf die verschiedenen Volksdeutschen Siedlungsgebiete verteilt. Die Gesamtzahl der Deutschen in Siebenbürgen und dem Banat einschließlich Sathmars stieg von 332 066 Deutschsprechenden im Jahre 1948 auf 366 194 Einwohner deutscher Nationalität bzw. 369 477 mit deutscher Muttersprache im Jahre 195612. Die 1951 in die Bărăgan-Steppe deportierten Banater Schwaben waren bis zum Februar 1956 in ihrer großen Mehrzahl wieder ins Banat zurückgekehrt, so daß sie in den Volkszählungsergebnissen kaum noch ins Gewicht fallen13.

Bemerkenswert ist jedoch, daß in Rumänien 1956, wie eine Gegenüberstellung der Zahlen für die einzelnen Provinzen zeigt, noch immer mehr als 12 500 Angehörige anderer Nationalitäten Deutsch als Muttersprache angaben14, während sich andererseits rund 3500 nicht Deutsch sprechende Sathmarer und Siebenbürger noch immer oder wieder zu ihrer deutschen Volkszugehörigkeit bekannten15. Man muß diese Faktoren auch bei der Beurteilung der Muttersprachenzahlen von 1948 berücksichtigen. Aus der amtlichen Zählung von 1956 wäre demnach eine Gesamtzahl von höchstens 380 000 Volksdeutschen zu entnehmen, wenn man Bekenntnis zum Deutschtum bei gleichzeitiger Beherrschung der deutschen Sprache zugrundelegt16. Von Seiten des Deutschen Antifaschistischen Komitees wurde die Zahl der Volksdeutschen in der Rumänischen Volksrepublik schon 1952 mit rund 400000 angegeben17.

Läßt sich die Zahl der heute in Rumänien lebenden Deutschen verhältnismäßig genau feststellen, sehr viel genauer, als dies für die deutschen Gruppen in Ungarn, Jugoslawien und der Tschechoslowakei möglich ist, so stößt doch der Versuch einer zahlenmäßigen Bilanz des rumänischen Deutschtums, seiner Kriegs- und Nachkriegsverluste, auf beträchtliche Schwierigkeiten. Selbst ein Ansatz von 400 000 für das gegenwärtige Rumänien-Deutschtum ergäbe gegenüber den Vorkriegszahlen einen Rückgang von 350 000 bis 400 000. In Deutschland und Österreich lebten 1950, soweit feststellbar, rund 250 000, höchstens 260 000 Volksdeutsche, die


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innerhalb der rumänischen Grenzen von 1939 beheimatet waren18. Die Zahl kann sich bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur geringfügig verschoben haben, doch schafft das Fehlen genauer Angaben für die deutsche Sowjetzone schon hier einen gewissen Unsicherheitsfaktor. Eine für genaue Berechnungen notwendige Aufgliederung der Gesamtzahl nach den Herkunftsgebieten innerhalb Rumäniens ist an Hand der vorhandenen Unterlagen nicht möglich19. Darüberhinaus ist die Zahl der nach dem Kriege aus Deutschland und Österreich in andere europäische Länder und nach Übersee ausgewanderten Rumänien-Deutschen nicht einmal annähernd abzuschätzen; nach im einzelnen nicht überprüfbaren Meldungen sollen allein rund 10 000 Banater Schwaben aus Österreich nach Frankreich gelangt sein, wo sie vor allem im Elsaß Unterkunft fanden20. Schon die Tatsache, daß die Zahl derjenigen, die Deutsch als ihre Muttersprache angaben, im Sathmar-Gebiet von 21 845 im Jahre 1930 auf nur 3939 im Jahre 1948 zurückging, obwohl aus Sathmar allenfalls 2500 Deutsche evakuiert wurden21 zeigt, daß auch die restlichen 100 000 nicht kurzerhand als Kriegsverluste abgebucht werden dürfen22. Auf Grund kirchlicher Schätzungen wurden die Verluste der Rumänien-Deutschen an Gefallenen und in Gefangenschaft und Verschleppung Umgekommenen mit knapp 20 000 veranschlagt23. Hohe Verluste hatten die in den eingegliederten polnischen Gebieten angesetzten rumänien-deutschen Umsiedler. Bei mehr als 160 000 Ansiedlern im Jahre 1944 muß hier, der allgemeinen Verlustrate für die


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deutsche Gesamtbevölkerung dieser Gebiete entsprechend, mit wenigstens 30 000 Toten gerechnet werden24. Für die Zahl der in die Sowjetunion verschleppten Bessarabien- und Nordbuchenland-Deutschen fehlen jegliche Anhaltspunkte.

Über die angegebenen Zahlen hinaus, die auf reinen Schätzungen beruhen, ist es in Rumänien selbst zu eigentlichen Kriegs- oder Vertreibungsverlusten unter den Volksdeutschen nicht gekommen; auch Flucht und Evakuierung des Jahres 1944 vollzogen sich ohne nennenswerte Verluste. Für den Rückgang der Volksdeutschen Bevölkerung, soweit er über die echten Kriegs- und Vertreibungsverluste hinausgeht, muß zunächst die besonders im Sathmar-Gebiet, daneben aber zweifellos auch in den altrumänischen Provinzen wirksam gewordene Entnationalisierung verantwortlich gemacht werden25. Daneben ist infolge der Abwesenheit von Kriegsgefangenen und Verschleppten, besonders in den ersten Nachkriegsjahren, mit einem starken Geburtenausfall zu rechnen, dessen Auswirkungen durch eine erhöhte Sterblichkeit infolge der allgemeinen Lebensbedingungen verstärkt wurden26.

Selbst wenn man angesichts der zuletzt erwähnten Faktoren von mittelbaren Kriegseinwirkungen sprechen kann, bleibt doch abschließend zu betonen, daß die Volksdeutschen des heutigen Rumänien echte Vertreibungsverluste in größerem Umfange nicht erlitten haben. In Rumänien konnte sich trotz aller politischen, sozialen und wirtschaftlichen Gefährdung ein auch zahlenmäßig beachtliches Deutschtum behaupten, wenn es auch seiner alten institutionellen und materiellen Sicherungen größtenteils beraubt ist, einem sozialen Nivellierungsprozeß unterliegt und in stärkerem Maße als früher in Zerstreuung lebt.


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