Nr. 24: Vorbereitung und Gesamtablauf der Evakuierung im Kreis Sächsisch-Reen; Weiterleitung und Betreuung der Trecks in Ungarn.

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Bericht des S. L. aus Sächsisch-Reen (Reghin), Judeţ Mure? (Mieresch) in Nord-Siebenbürgen.

Original, 21. Juni 1952, 13 Seiten, mschr. Teilabdruck.

Der Vf. berichtet zunächst über die Vorbereitung der Evakuierungspläne seit April 1944 sowie über die Durchschleusung und Betreuung der Volksdeutschen Flüchtlinge aus der Ukraine, deren Trecks im Juni 1944 in Dej einwaggoniert wurden. Er geht dann kurz auf die Entwicklung nach der rumänischen Kapitulation und die Pläne des Obergruppenführers Phleps zur Befreiung der Deutschen Süd-Siebenbürgens ein.

Am 6. 9. 1944 beschlossen wir in einer Besprechung der Amtswalter der Volksgruppe2, die Anordnungen des Gebietsführers G. ohne Rücksicht auf die Haltung der ungarischen Regierung zur Durchführung zu bringen. Es wurde vorgesehen, alle Frauen mit kleinen Kindern, deren Männer eingerückt waren, als erste mit der Eisenbahn, sei es in Lazarettzügen oder in Verwundetentransporten, in Marsch zu setzen. Als nächstes sollten die alten und gebrechlichen Leute, die mit dem Treck nicht mitfahren konnten, folgen. Ein Teil der Jugend sollte die Stadt mit Wehrmachts-LKW verlassen. Am 7. 9. 1944 wurden die ersten Landsleute planmäßig in Marsch gesetzt. Am nächstfolgenden Tag, dem 8. 9., trat eine Stockung ein, weil Obergruppenführer Phleps die Grenze überschritt und bis Maros-Ludas^ vordrang. Die Randgemeinden Rode, Felldorf, Maniersch, Draas, ein Teil von Katzendorf waren mit Hornviehtrecks bereits unterwegs und erlitten bei Szentgyörgy


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und Neumarkt schwere Bombenangriffe, wobei es einige Tote gab1. Als die Trecks in Sächsisch-Regen eintrafen, wurde das Hornvieh von der Wehrmacht gegen Bestätigung übernommen. Dafür erhielten sie Pferdegespanne von deutschen Pferdelazaretten.

Am 9. 9. bedrohten mich Polizei und Stadtmagistrat, weil ich entgegen den Anordnungen der ungarischen Regierung die Flucht vorbereitet hatte. Ich wurde zum Bürgermeister gerufen, wo der Obergespan2 mich fragte, auf wessen Anordnung ich die deutsche Bevölkerung evakuierte. Ich antwortete, daß wir wohl beide die Lage gleich beurteilten, er aber von seinen Militärdienststellen offenbar falsch informiert worden sei. Das gehe daraus hervor, daß die ungarische Regierung den Einsatz des für diesen Zweck ausgebildeten Honvédvolkssturms verboten habe. Ich schlug vor, zu der zuständigen deutschen militärischen Dienststelle zu gehen. Dort sagte uns ein General, es habe die zwölfte Stunde für eine Evakuierung der Bevölkerung ohne militärische Hemmungen geschlagen. Wie ich später vom Bürgermeister erfuhr, versuchte der Obergespan von Neumarkt aus, die Regierung telephonisch zu erreichen und unterrichtete, als es ihm nach langen Bemühungen gelang, das Innenministerium über die Lage in Nordsiebenbürgen. Daraufhin erhielt der Obergespan am 10. 9. um 13 Uhr den Auftrag, allen, die das Komitat freiwillig verlassen wollen, den Weg freizugeben. Ich gab die Meldung, die mir sogleich übermittelt wurde, an den Gebietsführer G. nach Bistritz durch Kurier weiter. Durch den gleichen Kurier erhielt ich den Startbefehl sowie die Weisung, noch am gleichen Abend um 19 Uhr die Gemeinden Ober- und Niedereidisch, Birk und Sächsisch-Regen in Marsch zu setzen und zwar in Richtung Deutsch Zepling, Botsch, Monorfalva und Schogen. Am 11. 9. um 4 Uhr früh wurden Deutsch-Zepling, Botsch und Weilau in Marsch gesetzt. Am 12. 9. früh 4 Uhr Tekendorf, Eidau, Ludwigsdorf und Draas sowie teilweise Katzendorf. Damit war der ganze Reener Kreis unterwegs3.

Das Zusammengehörigkeitsgefühl unserer Landsleute veranlaßte die große Masse zum gemeinsamen Aufbruch. In einigen Gemeinden gab es einen kleinen Prozentsatz derer, die zurückblieben. Es handelte sich zumeist um Mischehen oder solche, die in Verwandtschaft mit rumänischen Mitbewohnern einen Rückhalt im Falle des Zurückbleibens finden zu können glaubten, sowie um alte Menschen. Die rein sächsische Gemeinde Deutsch-Zepling brach bis zum letzten Mann auf.

Die in der Diaspora wohnenden Landsleute kamen mit den zurückflutenden Wehrmachts-LKW im allgemeinen bis Groß-Karol. Hier wurden sie


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gesammelt und zum Teil in der Eisenbahn, zum Teil mit den Wehrmachtseinheiten weitergeleitet. Ich erhielt vom Stabe Phleps einen Wehrmachts-Volkswagen mit Fahrer und verließ am 14. 9. als letzter Sächsisch-Regen.

Jede Gemeinde hatte ihren Treckleiter, drei bis vier Gemeinden zusammen den sogenannten Gruppenleiter; und ich leitete den gesamten Treck des Kreises Regen. Genauso war die Organisation der Trecks aus dem Bistritzer Kreis. Beide Kreise unterstanden dem Gebietsstab. Der Kreis Bistritz wurde erst eine Woche später in Marsch gesetzt.

Ursprünglich war die Einwaggonierung in Dej geplant, dort aber erfuhren wir, daß wegen militärischer Überlastung eine Einwaggonierung nicht in Frage käme. Die Fliegerangriffe häuften sich überdies. Deshalb erhielten wir vom Stabe Phleps ein kleines Kommando, das uns ein weiteres Fortkommen sichern helfen sollte. Ich erhielt von Gebietsführer G. den Auftrag, bis Groß-Karol weiterzutrecken. Dies geschah bei Nacht (wegen der Fliegerangriffe). Die Weiterfahrt war wegen des Hornviehs mit großen Schwierigkeiten verbunden. Doch ging der Treck weiter. Einzig die Gemeinde Birk wollte mit den Hornviehgespannen nicht weiterfahren und bestand auf Einwaggonierung. Ein Teil wurde auf dem Bahnhof Dej unter großen Schwierigkeiten und laufenden Fliegerangriffen einwaggoniert. Der Rest fuhr mit Wehrmachts-LKW weiter. Die Einwaggonierung wurde von einem Amtswalter des Gebietes geleitet1.

Um nach den zurückgebliebenen Landsleuten zu sehen, fuhr ich am 17. 9, mit dem Auto nochmals nach Sächsisch-Regen zurück. Die sächsischen Geschäftslokale waren zum größten Teil erbrochen. Auch die abgesperrten Wohnungen waren aufgebrochen, und ein Teil der Möbel war bereits verschleppt. Der Feind war bereits auf 70 km an die Stadt herangekommen. Die deutsche Kommandantur war mit Packen beschäftigt. Einige der zurückgebliebenen alten Leute entschlossen sich noch, die Stadt zu verlassen, und wurden mit Hilfe der Feldgendarmerie mittels Anhalte-LKW weitergebracht. Am nächstfolgenden Tag traf ich mit meinem Begleiter wieder bei meinem Treck ein.

Der Plan, die Trecks in Groß-Karol und Umgebung unterzubringen, mußte aufgegeben werden, weil Nachrichten kamen, daß der Feind rascher als erwartet vorgedrungen sei. Die Marschgeschwindigkeit der Trecks mußte auf das Höchstmaß gesteigert werden. Die Deutsch-Zeplinger machten Opposition und wünschten unbedingt einwaggoniert zu werden, weil ihr Horn-


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vieh nicht weiter könne. Ein Transport mit Frauen und Kleinkindern lag, wie mir mitgeteilt wurde, auf dem Sathmarer Bahnhof und konnte wegen Böswilligkeit des Stationsvorstehers nicht weiter. Gleichzeitig hörte ich, daß Obergruppenführer Phleps vor Arad in der Gemeinde Elek gefallen sei. Es gelang mir, die Deutsch-Zeplinger zum Weitertrecken zu veranlassen. Eine Stunde vor unserem Eintreffen in Sathmar erfolgte dort ein schwerer Bombenangriff. Von unseren Landsleuten waren eine Frau und zwei Kinder von Bombensplittern verletzt worden. Der Transportzug mit Frauen und Kindern, der seit einigen Tagen am Bahnhof zurückgehalten worden war, konnte endlich in Gang gesetzt werden. In Sathmar wurden Pferde und Hornviehtrecks voneinander getrennt. Jene hatten nun 30 km, diese 20 km pro Tag zurückzulegen.

Gebietsführer G. mußte den Munkatscher und Karoler Kreis1 in Marsch setzen. Die wohlhabenden und ein großer Teil der übrigen schwäbischen Bauern nahmen daran nicht teil, zumal die katholischen Pfarrer ihnen zum Bleiben rieten. Der Weg ging in der Richtung Waitzen, Budapest weiter. Ein großer Teil des Hornviehs fiel aus. Es begann ein Tausch mit den ansässigen Bauern von Ochsen und Kühen gegen Pferde. In Waitzen erwartete uns das Einsatzkommando der Volksdeutschen Mittelstelle, die uns verpflegte. Zwei Gemeinden blieben zurück und wurden bei Debrecen fast durch einen feindlichen Panzervorstoß abgeschnitten. Die ungarischen Behörden versuchten, ihre Überfahrt über die Theißbrücke in Richtung Miskolc zu verhindern, jedoch gelang sie schließlich.

Ab Waitzen fanden wir gut aufgebaute Verpflegungsstationen vor. Der Treck ging an Budapest vorbei, über Raab, Ödenburg, über die damalige Reichsgrenze nach Osterreich. Ungefähr Mitte Oktober 1944 überschritten die ersten Trecks die Grenze. Vorerst erfolgte die Unterbringung der Kreise Regen und Bistritz in Ragendorf an der Grenze. Die organisatorischen Aufgaben des Trecks gingen an die Volksdeutsche Mittelstelle über. Am

4. 11. 1944 erhielt ich den Auftrag, mit meinem Begleiter nochmals nach Budapest zurückzufahren, um Weihnachtsgeschenke für unsere Wehrmachtsangehörigen einzukaufen, was aber wegen der fortlaufenden Bombardierung und Beschießung der ungarischen Hauptstadt nicht mehr möglich war. Am

5. 11. erstattete ich meiner vorgesetzten Dienststelle in Ödenburg Bericht. Am 6. 11. überschritten unsere letzten Trecks bei Hegyeshálom die Grenze und fuhren über Brück a. d. Leitha, Wiener-Neustadt, St. Polten, Amstetten, St. Valentin nach Oberösterreich in den Bezirk Vöcklabruck. Hier erfolgte die Aufteilung der Leute in die umliegenden Gemeinden. Ich wurde als Beauftragter für das Flüchtlingswesen in Vöcklabruck eingesetzt, wo ich die Betreuung aller Flüchtlinge bis zum Einmarsch der Amerikaner innehatte.


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Der größte Teil der Siebenbürger wohnt auch heute noch im Bezirk Vöcklabruck.

Der Bericht schließt mit kurzen Bemerkungen zum persönlichen Schicksal des Vfs. nach dem Krieg.