Nr. 28: Treck der Gemeinde Lechnitz über Karol-Tiszafüred-Waitzen-Ödenburg nach Niederösterreich.

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Erlebnisbericht des Bauern Johann Roth-Todt aus Lechnitz (Lechinţa), Plasa Şieu (Großschogen), Judeţ Năsăud (Naßod) in Nord-Siebenbürgen.

Original, 1. April 1956, 6 Seiten, hschr.

Es war im September des Jahres 1944. Als der Feind sich näherte und auch in Siebenbürgen eindrang, da erhielten wir den Befehl, daß wir Deutschen die Heimat verlassen müssen1. Nie werde ich die Zeit vergessen, es war die schwerste Zeit meines Lebens. Die ganze Gemeinde war in Aufregung, Männer und Frauen standen gruppenweise auf den Straßen und fragten sich gegenseitig: „Was soll mit uns nun werden, was sollen wir anfangen?” Niemand wollte es glauben, und niemand wollte Haus und Hof verlassen, aber die Lage wurde immer ernster. Alle diejenigen Leute, die keine Pferde hatten, bekamen von der deutschen Wehrmacht Pferde und Wägen. Die Front kam immer näher zu uns, immer mehr Truppenverschiebungen zogen auf den Straßen, deutsche, ungarische, slowakische; sogar die ersten Flüchtlingstrecks zogen durch unsere Gemeinde. Auf dem Felde wurden schon Schützengräben gemacht, ja wir mußten zuschauen, wie unsere Weinberge und unsere Felder geplündert wurden. Alles war kopflos. Die jüngeren Frauen jammerten um ihre Männer, denn die waren ja im Krieg eingezogen. Plötzlich kam der Befehl, daß jeder sein Vieh, Schweine und Schafe der deutschen Wehrmacht abgeben soll und auch Getreide und Heu, was er nicht mitnehmen kann, und ein jeder soll sich seine Wägen packen und soll fahrbereit fertig sein. Und all das, was man ererbt und geschaffen hat, soll nun durch den Krieg verloren gehn auf immer.

Am 17. September im Jahre 1944 an einem Sonntagmorgen um 9 Uhr unter Glockengeläute mußten wir Haus und Hof und Heimat verlassen, all das, was uns heilig und teuer war. In kurzer Zeit war Lechnitz in einen langen Treck verwandelt und zog unter Glockengeläute, die uns zum letzten Mal segneten, fort in das Ungewisse; mit Tränen in den Augen nahmen wir Abschied von all dem, was unsere Vorfahren und wir in 800 Jahren geschafft haben.


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Der Vf. schaltet hier eine Folge 1944 verfaßter Gedichte über den Aufbruch ein und fährt dann fort:

Um 9 Uhr setzte sich die lange Kolonne, fast 300 Wägen, in Bewegung, die meisten mit Pferden, andere mit Kühen und Ochsen. Es waren 190 Familien aus Lechnitz1. Bei schönem Herbstwetter fuhren wir über die Lechnitzer Hattertgrenze2 in der Hoffnung, daß wir in nächster Zeit wieder zurückkommen; am ersten Tag fuhren wir ca. 20 Kilometer bis Bethlen (Beclean) und parkten auf einer Wiese, hier wurden die Kühe gemolken und noch hie und da an den Wägen gerichtet, was noch nicht in Ordnung war. An demselben Abend erhielten wir die traurige Nachricht, daß einer unserer Landsleute im Alter von 88 Jahren starb und gleich am Wegesrand ohne Sarg, nur in seinen Kleidern beerdigt wurde. Dies war auch ein Opfer des Krieges. „Er ruhe in Frieden.”

Am anderen Morgen, ganz früh noch im Morgengrauen, ging's weiter über Des, Sathmar (Satu-Mare) Richtung Groß-Karol (Nagykároly). Wir parkten meistens auf abgelegenen Lagerplätzen, meistens auf Dörfern, nicht in Städten. Wir suchten nur bei ganz schlechtem Wetter Quartiere. Nun wurde aber das Heu knapp für Pferde und Vieh. Andere brauchten Milch für die Kinder, andere Brot, denn es konnte auf der Reise nicht gebacken werden. Wir gingen von Haus zu Haus und bekamen auch und kauften auch. Und nun war jeder neugierig, was jetzt in Groß-Karol sein wird. Als wir in Groß-Karol ankamen, sagte man uns, nur weiter fort über die Theiß. Wir fuhren weiter über Balmazuváros bis Tiszafüred, wir mußten über eine Notbrücke fahren, denn die Brücke war gesprengt. Die ganze Angst half nichts, mit Gottes Hilfe sind wir hinüber gelangt. Nun waren wir zwischen Donau und Theiß. Es ging immer weiter und weiter über Gyöngyös, in der schönen Weingegend, über Hatvan bis Lörinczi. Hier machten wir 2 Tage lang Pause; hier konnte man die Kleider trocknen, denn es hatte geregnet, und Brot backen. Es waren liebenswürdige Leute, ein jeder konnte sich hier das Nötigste besorgen; am dritten Tag ging's weiter


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Richtung Waitzen (Vác) dem Donauknie zu, und bei Gran (Esztergom) fuhren wir über die Donaubrücke Richtung Ödenburg (Sopron) über Györ bis Czirák, eine ungarische Gemeinde vor Ödenburg.

Hier blieben wir 12 Tage lang stehn; hier hatten wir uns gut eingelebt, wir hatten Schweine gekauft und geschlachtet, Kleider gewaschen, Brot gebacken; die Pferde hatten sich gut erholt. Die einheimische Bevölkerung war ziemlich gut zu uns Deutschen, aber es dauerte nicht lange, die Reise ging weiter. Jetzt hatte auch fast jeder die Hoffnung verloren, wieder nach Siebenbürgen in nächster Zeit zurück zu kommen. Von Czirák fuhren wir über Ödenburg und dort am 30. Oktober 1944 mittags um 12 Uhr über die damals deutsche Grenze nach Niederösterreich1. Nur mit großer Schwierigkeit ist es vins gelungen, über die Grenze zu kommen. Auch die ganze Reise war schwer, ich kann es schriftlich gar nicht schildern. Nur der weiß es, der es selber mitgemacht hat.

Als wir nun auf deutschem Boden waren, wurden wir in den Kreis Sankt Polten avisiert und fuhren bei Tulln über die Donaubrücke Richtung Sankt Pöìten2. Auf dieser Reise wurden wir meistens von der deutschen Wehrmacht verpflegt mit samt Pferden. In Tulln blieben wir einen Tag stehen, und dann ging's weiter bis Sankt Polten, hier war aber kein Platz für uns. Es waren auch dauernd Fliegerangriffe, und so mußten wir auch von hier weiter fort und fuhren weiter und weiter, bis wir dann in den Kreis Hollabrunn aufgenommen wurden. Wir blieben etliche Tage in der Stadt einquartiert und [wurden] am 5. November 1944 in den Kreis auf die Dörfer einquartiert. Hier hatten wir uns in kurzer Zeit gut eingelebt; es war viel Weinbau und die Leute konnten fleißig mithelfen bei den Weingartenarbeiten, die noch zu verrichten waren. Eines Tages kam der Befehl an uns von der Kreisleitung, daß wir Pferde und Wagen sofort der Wehrmacht abgeben müssen. Ich hatte 2 Gespanne und lieferte nur eines ab; die anderen 2 Pferde gab ich dem Oberlehrer von Alberndorf zur Arbeit. Er hatte ein kleines Anwesen in Untermarkersdorf. Leider hatte ich kein Glück, auch von diesen Pferden. Am 10. März 1945 wurden beide Pferde durch eine Fliegerbombe getötet.

Den Winter hatten wir gut überstanden, das Frühjahr kam. Niemand gedachte mehr an eine weitere Evakuierung. Vor Ostern 1945 erhielten wir Befehl, packen und weiter. Aber wie? Nur wenige hatten noch Pferde. Ein Pferdelazarett fuhr eben vorbei. Wir baten den Kommandanten, er möge uns Pferde verkaufen und kauften uns mit 200 Reichsmark das Stück, ein jeder nach seinem Geldbeutel. Und am 9. April nach Ostern 1945 war


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Lechnitz in einem langen Treck angetreten, und weiter ging's. Auch von hier war der Abschied nicht leicht. Wir fuhren über Sigmundsherberg— Zwettl—Horn Richtung Passau über Wegscheid. Hälfte April fuhren wir über die niederbayrische Grenze bis Passau. Wir hatten sehr schlechtes Wetter, es regnete und schneite, und konnten nicht unter Dach. Auf den Straßen waren große Truppenverschiebungen. Diese Reise war viel schwerer als die erste, es war ein wahrer Jammer. Man merkte es, daß der Krieg bald zu Ende sein wird. Bei Passau fuhren wir wieder über die Donau bis in den Kreis Griesbach und Pfarrkirchen. Hier hat uns auch der Zusammenbruch des Krieges erwischt.

Der Vf. schließt seinen Bericht mit einigen Bemerkungen über die Unterbringung in Pfarrkirchen und die spätere Umsiedlung in den Kreis Rothenburg ob der Tauber.