2. Wirtschaftlich-soziale Struktur.

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Als Bauern und bäuerliche Handwerker waren die Vorfahren der Jugoslawiendeutschen ins Land gekommen und bis 1944 lebten sie zum überwiegenden Teil von Landwirtschaft und Gewerbe, in denen ihr Anteil den an der Gesamtbevölkerung übertraf. In der Woiwodina, der zwischen Donau und der jugoslawisch-rumänischen Staatsgrenze liegenden Landschaft, die sich aus den 1918 von Ungarn abgetrennten Teilen des Banats, der Batschka und Baranja zusammensetzte, lebten 84 Prozent der donauschwäbischen Bevölkerung in Landgemeinden 1 , und 65 Prozent der Land- und dreißig Prozent der Stadtbewohner waren in der Landwirtschaft tätig. Es ist jedoch dabei zu berücksichtigen, daß davon nur eine Minderheit über genügend Boden verfügte, um eine Familie ernähren zu können 2 . Zahlreiche Landwirte waren Zwergbesitzer mit Eigentum bis zu fünf Joch. Die häufig anzutreffende Klischeevorstellung von der Volksgruppe, die sich nahezu ausschließlich aus reichen Bauern zusammensetzte, ist daher durchaus irreführend. Die zunehmende Mechanisierung der Landwirtschaft und die steigende Boden-


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rente in der Hand des relativ kleinen Bevölkerungsteils der wohlhabenden Bauern führte allerdings zu einer gesellschaftlichen Vorrangstellung dieser Schicht in der Volksgruppe, woraus sich eine starke soziale Differenzierung ergab 3 .

Der Auteil der Deutschen an Handel und Gewerbe, vor allem am Handwerk, war ebenfalls nicht gering. In den Städten zählten mehr als vierzig Prozent, auf dem Lande wenig unter dreißig Prozent der deutschen Bewohner zu diesen Wirtschaftsgruppen 4 ; übertroffen wurde dieser Anteil nur vow der madjarischen Bevölkerung. Es entwickelte sich vor allem in den Städten ein gewerblicher Mittelstand, der zusammen mit dem wirtschaftlich erstarkenden Bauerntum die Voraussetzung dafür schuf, daß sich nach der Abwanderung der madjarischen Intelligenz in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg neben der serbischen auch eine deutsche führende Gesellschaftsschicht herausbilden konnte. Erst jetzt begann der soziale Aufbau der Volksgruppe sich zu vervollständigen, nachdem die bisher mit dem gesellschaftlichen Aufstieg verbundene Madjarisierung eingedämmt war. Es waren vornehmlich freie Berufe, besonders die des Apothekers und Arztes, in denen sich Deutsche behaupten konnten. Der Anteil der deutschen Minderheit am Kommunal- und Staatsbeamtentum blieb dagegen verschwindend gering und gab Anlaß zu begründeten Beschwerden. Gering war auch die Zahl der Industriearbeiter, die auf rund 15 000 Personen geschätzt wurden 5 . Sie waren vorwiegend in der Hanf-, Nahrungsmittel- und Textilindustrie sowie in Ziegeleien beschäftigt, d. h. in Industrien, die starken Konjunkturschwankungen unterlagen.

Das Rückgrat der wirtschaftlichen Organisation der Deutschen bildeten die Genossenschaften, von denen die 1922 (1. 10.) gegründete landwirtschaftliche Zentralgenossenschaft m. b. H. "Agraria" in Neusatz die bedeutendste war. Mit Hilfe der Sparstockwirtschaft konnte das notwendige billige Betriebskapital für die Genossenschaften beschafft werden. 1927 wurde die "Agraria" geteilt. Die unter dem alten Namen weiterbestehende Institution blieb als Warenzentrale erhalten, während die aus der 1926 gegründeten Kreditabteilung der "Agraria" hervorgehende "Landwirtschaftliche Zentral-Darlehens-Kasse" den Geldverkehr übernahm und sich als Dachorganisation über den "Bauernhilfen", den lokalen Spar- und Darlehenskassen, erhob 6 . 1927 zählte sie 76 örtliche Kreditgenossenschaften mit


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6097 Mitgliedern; das Geschäftsanteile-Kapital betrug l 120 000 Dinar, während die Spareinlagen sich auf 29,5 und die Darlehensbeträge auf 35,3 Millionen Dinar beliefen. Trotz der auch auf Jugoslawien einwirkenden Weltwirtschaftskrise machte diese genossenschaftliche Entwicklung weitere Fortschritte: Ende 1932 gehörten der Zentral-Darlehens-Kasse 154 Kreditgenossenschaften mit 20 228 Mitgliedern an, das Geschäftseinlage-Kapital war auf 3,13, die Rücklagen waren auf 4,3, die Sparbeträge auf 88,5 Millionen Dinar und die Darlehen auf 108 Millionen Dinar gestiegen. Im Jahre 1934 wurden schon 332 Ortsgenossenschaften mit 45 000 Mitgliedern gezählt. Unter der energischen Leitung von Dr. Stefan Kraft, Johann Keks und erfahrenen Fachleuten entfalteten sich diese Organisationen der Selbsthilfe mit dem Schwergewicht in der Woiwodina und in Syrmien. Vergleichbar mit dem freilich noch umfassenderen "spoleczenstwo" der preußischen Polen vor dem ersten Weltkrieg, formte sich auch in Jugoslawien ein eigenes Gemeinwesen der deutschen Volksgruppe, in dem die wohlhabenden Bauern ein unverkennbares Übergewicht besaßen. Bezeichnend für die fast völlig auf die Landwirtschaft ausgerichtete soziale Struktur der deutschen Minderheit und die Haltung ihrer führenden Männer war, daß die nicht in der Landwirtschaft Tätigen in den deutschen wirtschaftlichen Organisationen fast unbeachtet blieben, wenn es auch an Versuchen einzelner Männer nicht fehlte, gerade diesen Familien auf genossenschaftlichem Wege zu helfen 7 .

Die deutsche Bevölkerung Syrmiens wies eine ähnliche gesellschaftliche Struktur auf wie die der benachbarten Woiwodina. Wenn auch 47 Prozent der deutschen Bewohner in Städten - fast ausschließlich in ausgeprägten Landstädten - wohnten, so war doch die Landwirtschaft der bedeutendste Erwerbszweig 8 . Das Slawoniendeutschtum besaß zwar auch in der Landwirtschaft sein sozialstrukturelles Schwergewicht, verfügt jedoch über einen recht


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hohen Anteil der in Handel, Gewerbe und Industrie Beschäftigten 9 und zeigte in seiner Struktur große Ähnlichkeit mit dem Deutschtum in Bosnien und der Herzegowina, von dem 57 Prozent in der Landwirtschaft und 28 Prozent in Industrie und Handwerk tätig waren 10 .

Einen von den übrigen deutschen Siedlungsgruppen abweichenden sozialen Aufbau besaßen die Deutschen in Slowenien, jener Landschaft, die schon unter österreichischer Verwaltung über eine gut entwickelte Industrie verfügt hatte. Nach der Eingliederung in das Königreich Jugoslawien war zwar die wirtschaftliche und soziale Vorrangstellung der Volksdeutschen durch behördliche Maßnahmen eingeschränkt worden. Dennnoch behielt das Deutschtum noch immer eine starke Position in Industrie, Handel, Handwerk und Gewerbe. In der Gottscheer Sprachinsel herrschte zwar die Landwirtschaft als wichtigster Beruf vor, aber die durch Erbteilung bedingten Klein- und Zwergwirtschaften und der karge Karstboden reichten für den Lebensunterhalt der Familien nicht aus, so daß sich viele Gottscheer außerhalb der Sprachinsel in der Industrie, Land- und Forstwirtschaft verdingten oder aber den Hausierhandel als zusätzliche Erwerbsquelle betrieben 11 . Der wirtschaftliche Notstand trieb aber auch viele zur Auswanderung, vorwiegend nach Nordamerika. Die Unterstützungen, die von dort aus in die Heimat flössen, waren beträchtlich 12 .


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