b) Enteignung; Entzug der Bürgerrechte; Maßnahmen der politischen Bestrafung und Verfolgung.

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Während noch die Front bei Esseg-Brčko verlief und der Nordwestteil Jugoslawiens noch nicht unter der Herrschaft der Partisanen stand, faßte der "Antifaschistische Rat der Volksbefreiung Jugoslawiens" (AVNOJ), der als provisorische Volksvertretung fungierte und seinen Verordnungen die bundesstaatliche Konstruktion eines neuen Jugoslawiens im Sinne des Nationalitätenprogramms der Partisanenbewegung zugrunde legte, auf seiner Sitzung vom 21. 11. 1944 in Belgrad den "Beschluß über den Übergang von Feindvermögen in Staatseigentum" 1 . Mit dem Inkrafttreten dieses Beschlusses am gleichen Tage, wurde "sämtliches Vermögen von Personen deutscher Volkszugehörigkeit, außer dem derjenigen Deutschen, die in den Reihen der Nationalen Befreiungsarmee und der Partisaneneinheiten Jugoslawiens gekämpft haben oder die Staatsangehörige neutraler Staaten sind, die sich während der Okkupation nicht feindlich verhalten haben" (Art. I, 2) konfisziert, wobei der Eigentumsbegriff des Beschlusses schlechthin allen materiellen Besitz samt allen Rechten und Ansprüchen auf Entgelt einschloß (Art. III). Das Vermögen von Flüchtlingen wurde der "Staatsverwaltung für Volksgut unterstellt" (Art. II). Diese Blankovollmacht zur vollständigen Enteignung aller evakuierten, geflohenen und fast aller daheim gebliebenen Jugoslawiendeutschen gab den Partisanenausschüssen bis zur Aufhebung der Militärverwaltung im Februar 1945, anschließend den staatlichen Behörden, jede Möglichkeit, deutsches Eigentum gleich welcher Art, vornehmlich natürlich den reichen Landbesitz, zu beschlagnahmen und entschädigungslos zum jugoslawischen Staatsbesitz zu erklären. Für die Verwaltung und Aufsicht über den beschlagnahmten Besitz war sodann eine Abteilung des "Kommissariats für Handel und Industrie" zuständig, die diese wiederum der Staatsverwaltung für Volksgut übertrug (Art. IV, 8). In den Fällen, in denen noch keine Konfiskation durch irgendeine einzel-oder bundesstaatliche Instanz ausgesprochen oder kein Verfahren anhängig gemacht worden war, galt es als Aufgabe der Kommissionen für Kriegsverbrechen, den Übergang des vom Gesetz bezeichneten Besitzes in Staatseigentum herbeizuführen und gleichzeitig darüber den Beschluß eines Zivil- oder Militärgerichts zu erwirken. Nach der Formulierung des Gesetzes (Art. IV) war dieser gerichtliche Entscheid als der die Enteignung bestätigende Rechtsakt notwendig. Das jugoslawische Gesetz vom 31. 7. 1946 über den "Übergang von Feindvermögen in das Eigentum des Staates" 2 bestätigte


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noch einmal die Konfiskation alles Besitzes von Deutschen ohne Rücksicht auf deren Staatsangehörigkeit (Art. I, 2), d. h. ausgenommen wurden nur fünf genauer spezifizierte Personengruppen, nämlich Volksdeutsche, die

aktiv am Partisanenkampf teilgenommen oder in der "Volksbefreiungsbewegung" mitgewirkt hatten;

vor dem Kriege assimiliert und während der Besatzungszeit weder dem "Schwäbisch-Deutschen Kulturbund" beigetreten, noch als Angehörige der verschiedenen deutschen Volksgruppen aufgetreten waren;

es während der Besatzungszeit abgelehnt hatten, sich trotz der Aufforderung der Besatzungsbehörden als Angehörige der deutschen Volksgruppen zu bekennen;

eine Ehe mit einem Angehörigen der südslawischen Völker oder anerkannten Minderheiten geschlossen hatten oder

Staatsangehörige neutraler Staaten waren und sich während der Besatzungszeit "gegenüber dem Befreiungskampf der jugoslawischen Völker nicht feindselig" verhalten hatten.

Im Banat und in der Batschka wurde dieser AVNOJ-Beschluß vom 21. 11. 1944 den Deutschen nicht bekannt gemacht. Die deutsche Bevölkerung bekam seine Konsequenzen zu spüren, ohne von der Anordnung zu wissen und ohne - bis auf wenige Ausnahmen - die Gerichtsbeschlüsse über die Bestätigung der Enteignung zu erhalten 3 . Im Bereich der Volksrepublik Kroatien dagegen sind solche Bescheide in zahlreichen Fällen zugestellt worden 4 .

Die große Agrarreform, die am 23. 8. 1945 von der Koalitionsregierung der Partisanenführung mit Exilpolitikern, der Tito-Šubašić-Regierung, verkündet wurde 5 , wiederholte noch einmal die kollektive Diskriminierungsklausel gegen die deutsche Bevölkerung 6 , indem laut Art. 10 a das gesamte anbaufähige Land von "Personen deutscher Nationalität", die gemäß dem Beschluß vom 21. 11. 1944 bereits enteignet worden waren, dem Bodenfonds für die Agrarreform zugewiesen wurde; dieser ehemals deutsche Besitz sollte (Art. 18) bevorzugt jugoslawischen Partisanen und Soldaten übertragen werden. Hier wird deutlich, daß die Liquidierung der deutschen Frage zugleich eine Vorstufe der kommunistischen Landwirtschaftspolitik darstellte.

Die Jugoslawiendeutschen wurden jedoch nicht nur enteignet. Durch den AVNOJ-Beschluß vom 21. 11. 1944 wurden sie auch pauschal zu "Volksfeinden" erklärt, und zwar im "außergerichtlichen Verfahren", das "hauptsächlich wegen der Konfiskation des Vermögens der Volksfeinde eingeführt


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wurde" 7 . Damit war die Entziehung der bürgerlichen Rechte (gradjanska prava) verbunden, die im extremsten Sinn außer der Enteignung auch den Verlust der persönlichen Freiheit, das heißt die Internierung zur Folge hatte und oft auch von Volksdeutschen und unteren Partisanenführern als Entziehung der Staatsangehörigkeit mißverstanden wurde 8 . Eine Kollektivausbürgerung wie in anderen Vertreibungsländern ist jedoch in Jugoslawien nicht erfolgt 9 , verlor doch auch das Problem der Volksdeutschen nach der Flucht und Evakuierung der Mehrheit, der Enteignung und Internierung der im Lande Verbliebenen für das neue Regime sehr schnell seine Schärfe. Im neuen Staatsangehörigkeitsgesetz vom 23. 8. 1945 10 wurden die Volksdeutschen nicht vom Besitz der jugoslawischen Staatsangehörigkeit ausgeschlossen. Es enthielt eine "Kann"-Vorschrift, die es ermöglichte, Personen deutscher Volkszugehörigkeit durch Entscheid des Innenministeriums die Staatsangehörigkeit zu entziehen. Laut Artikel 16 bis 18 konnte nämlich die jugoslawische Staatsangehörigkeit "jedem" Angehörigen derjenigen "Völker" aberkannt werden, deren Staaten gegen Jugoslawien Krieg geführt hatten, sobald er vor dem Kriege oder während des Krieges "durch illoyales Verhalten gegen die nationalen und staatlichen Interessen der


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Völker der FVRJ gegen seine Pflichten als Staatsangehöriger verstoßen" hatte. Der Entzug der Staatsangehörigkeit erstreckte sich auch auf Ehegatten und Kinder, es sei denn, daß sie keine Verbindung mit dem Beschuldigten besaßen oder Angehörige eines der jugoslawischen Völker waren. Eine Ergänzung zu Art. 35 des Staatsangehörigkeitsgesetzes, datiert vom 1. 12. 1948 11 , bestimmte, daß alle "Personen deutscher Nationalität" automatisch nicht als Staatsangehörige der FVR Jugoslawien angesehen wurden, wenn sie sich zu diesem Zeitpunkt im Ausland befanden und vor dem Kriege oder während des Krieges "ihre Pflichten als Staatsangehörige" durch illegale Handlungen gegen die Volks- und Staatsinteressen der Völker der FVRJ Jugoslawien verletzt hatten 12 . Damit wurde auf diesen Personenkreis die "Kann"-Bestimmung des Gesetzes vom 23. 8. 1945, nach der in jedem einzelnen Falle das Innenministerium zu entscheiden hatte, pauschal als "Muß"-Bestimmung angewandt.

Wenn zahlreiche Volksdeutsche nach der Entlassung aus den Internierungslagern der Woiwodina, vor allem seit dem Herbst 1948, zu einer bestimmten Registrierung bei den Ortsbehörden aufgefordert wurden, so handelte es sich dabei nicht, wie oft angenommen wurde, um die Wiedererlangung der Staatsbürgerschaft 13 , sondern um ein Registrierungsverfahren. Das Staatsangehörigkeitsgesetz verlangte die Feststellung der Länderstaatsangehörigkeit am Stichtag des 28. 8. 1945. Sie mußte in die von jeder Gemeinde zu führende Kartei der Staatsangehörigkeit der Volksrepublik eingetragen werden 14 und galt dann zugleich als Beweis für die Bundesstaatsangehörigkeit. Für Volksdeutsche war die Eintragung in das Staatsangehörigkeitsregister solange ausgeschlossen, wie ihnen die bürgerlichen Rechte entzogen und sie ohne ständigen Wohnsitz waren. Erst die Entlassung aus den Internierungslagern, aus der Kriegsgefangenschaft oder Haft mit der Erklärung zu "freien Bürgern der FVR Jugoslawien" ermöglichte und erforderte die Anmeldung zur Registrierung in der Staatsangehörigkeitskartei 15 . Dieser Registrierung, die vermutlich in der Regel mit der Anmeldung bei der Behörde des zugewiesenen Aufenthaltsorts verbunden war, konnten sich die Volksdeutschen nur ganz selten entziehen 16 , so daß sie in der überwiegenden Mehrzahl als jugoslawische Staatsangehörige eingetragen wurden.


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Im Hinblick auf die ersten Nachkriegswahlen, die am 11. 11. 1945 abgehalten wurden und denen am 29. 11. 1945 die Ausrufung der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien, am 22. 12. 1945 die Anerkennung der jugoslawischen Regierung durch Großbritannien und die USA folgte 17 , wurde am 10. 8. 1945 ein Gesetz "über die Wählerlisten" erlassen 18 . Auch in ihm war eine Reihe diskriminierender Klauseln enthalten, die den Volksdeutschen das Wahlrecht verweigerten. Ausgeschlossen von der Ausübung des Wahlrechts wurden nach Artikel 4 alle Angehörigen des deutschen Militärs, die Mitglieder des "Schwäbisch-Deutschen Kulturbundes" und "anderer Organisationen der Okkupanten" samt den jeweiligen Familienangehörigen, sowie alle Personen, die im "politisch-polizeilichen Dienst" der Okkupationsmächte gestanden oder diese militärisch und wirtschaftlich unterstützt hatten. Die Rubrizierung gestattete es, bei entsprechend weitherziger Auslegung das gesamte Jugoslawiendeutschtum, wiederum allerdings mit Ausnahme derjenigen, die den "Volksbefreiungskampf" unterstützt hatten, von der Wahlbeteiligung auszuschließen, denn auch dem letzten, politisch gleichgültigen Volksdeutschen Bauern in der Woiwodina ließ sich mühelos zumindest die "wirtschaftliche Unterstützung" der deutschen Besatzungsmacht nachweisen. Außerdem besaßen jedoch alle diejenigen Personen keine Wahlrechte, die "zum Verlust der politischen Rechte" verurteilt worden waren, sodaß der Rekurs auf den AVNOJ-Beschluß vom 21. November 1944 eine zusätzliche Möglichkeit geboten hätte, Deutsche von den Wahlen fernzuhalten. All dies sind freilich theoretische Betrachtungen, denn angesichts der allgemeinen Internierung der Deutschen existierte in einem praktischen Sinne ohnehin keine Aussicht, daß Deutsche auf ihrem Wahlrecht hätten bestehen können 19 .

Wenn man sich weiterhin vor Augen hält, daß sich die Jugoslawiendeutschen seit dem Frühjahr 1945 geschlossen in Lagern befanden, wo es für sie um das bare Überleben ging, dann erscheint auch das Gesetz vom

nung), führte für die Volksdeutschen das Unterlassen oder Verweigern der Eintragung zu faktischer Staatenlosigkeit. Die Weigerung einiger Volksdeutscher, sich als Staatsangehörige einer Volksrepublik eintragen zu lassen, hatte für sie später auch positive Folgen, da sie ihre Ausreise aus Jugoslawien als Staatenlose, schon 1950/51 meist über Triest, ohne die langwierige und kostpielige Prozedur der Entlassung aus der Staatsangehörigkeit antreten konnten.


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25. 8. 1945 über "Straftaten gegen Volk und Staat" 20 , allenfalls als formalistische Abrundung der antideutschen Gesetzgebung. Ohne Rücksicht auf den Grundsatz "nullum crimen sine lege" konnten gemäß diesem Gesetz rückwirkend alle möglichen Handlungen von Volksdeutschen als den Interessen des jugoslawischen Staates oder seiner Völker zuwider klassifiziert werden. Ganz gleich, ob sie vor oder nach der Kapitulation vom April 1941 verübt worden waren, der Katalog der aufgezählten Vergehen erschien reichhaltig genug, um die Verhandlungen vor einem Volksgericht 21 auf der Ebene der Bezirks- oder des obersten Republikgerichts zu rechtfertigen. Dadurch wurden neue Möglichkeiten zur politischen Bestrafung geschaffen, die auch dazu gedient haben, in zahlreichen Prozessen 22 gegen Deutsche hohe Strafen zu verhängen. Für den tiefsten Eingriff in die Rechte der Volksdeutschen: für ihre Internierung und Unterwerfung unter Zwangsarbeit hat es überhaupt keine gesetzlichen Grundlagen gegeben, als "Volksfeinde" sahen sie sich vielmehr "im außergerichtlichen Verfahren" jahrelang dieser Willkürbehandlung ausgesetzt.