a. Siedlungsgebiete.

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Vor dem ersten Weltkrieg verfügte das Königreich Rumänien in seinen damaligen Grenzen über eine — wenn man von der Dobrudscha absieht1 — fast homogene rumänische Bevölkerung. Kleine Gruppen von Deutschen Madjaren und Zigeunern fielen kaum ins Gewicht. Die besonders in der Moldau zahlreichen Juden waren nur bedingt als nationale Minderheit zu werten. Das Jahr 1918 sah das vorher den Mittelmächten unterlegene Rumänien an der Seite der Siegerstaaten. Die Friedensverträge von Trianon und St. Germain schoben die rumänischen Grenzen weit nach Norden und Westen in die Gebiete der zerschlagenen Doppelmonarchie vor; die östliche Hälfte des Banats, Siebenbürgen mit dem nordwestlichen Vorland des Sathmar-Marmarosch-Gebiets und das österreichische Herzogtum Bukowina wurden Rumänien zugesprochen. Der Vertrag von Neuilly bestätigte den Besitz der Dobrudscha einschließlich der im Balkankrieg 1913 von Bulgarien gewonnenen Bezirke. Gleichzeitig besetzten rumänische Truppen im Osten das vordem russische Bessarabien2. Fläche und Bevölkerung Rumäniens wurden mehr als verdoppelt3. Das entstandene „Groß-Rumänien” war ein völlig neues Staatsgebilde.

In den hinzuerworbenen Territorien lebten 1930 insgesamt 9,25 Millionen Menschen, von denen jedoch nur 5,2 Millionen Rumänen, 4 Millionen aber Madjaren, Deutsche, Ukrainer, Serben und Angehörige anderer natio-


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naler Minderheiten waren. Damit war der Anteil der Fremdstämmigen an der Bevölkerung Rumäniens auf 28 Prozent4 gestiegen. Erst von 1918 ab kann man von einem ernsthaften rumänischen Nationalitätenproblem sprechen; erst von diesem Zeitpunkt an gab es zugleich ein zahlenmäßig ins Gewicht fallendes Deutschtum in Rumänien.

Die Wirren des zweiten Weltkrieges haben auch die Grenzen Rumäniens wiederholt in Mitleidenschaft gezogen. Ende Juni 1940 besetzten sowjetische Truppen Bessarabien und die nördliche Bukowina mit der Hauptstadt Czernowitz. Im Spätsommer desselben Jahres gingen durch den zweiten Wiener Schiedsspruch der Norden Siebenbürgens mit Sathmar und Großwardein an Ungarn, durch den Vertrag von Craiova die Süd-Dobrudscha an Bulgarien verloren5. Ein Jahr später führte Rumäniens Eintritt in den Krieg gegen die Sowjetunion zur Wiedergewinnung der nordöstlichen Grenzprovinzen, während gleichzeitig das angrenzende „Transnistrien”, die Moldowanische Sowjetrepublik, unter rumänische Militärverwaltung gestellt wurde. Das Ende des Krieges brachte Rumänien die Rückgliederung Nord-Siebenbürgens, zugleich aber den endgültigen Verlust Bessarabiens und der nördlichen Bukowina mit dem moldauischen Herţa-Distrikt an die Sowjets6. Um in diesem Wechsel einen festen Standpunkt zu gewinnen, geht die vorliegende Darstellung grundsätzlich von dem Gebietsstand der Jahre zwischen 1918/19 und 1940 aus.

Groß-Rumänien hatte 1930 — nach der ersten amtlichen Volkszählung für den Gesamtstaat — rund 18 Millionen Einwohner, von denen ihrer Volkszugehörigkeit nach knapp 13 Millionen Rumänen, 5 Millionen aber Angehörige der verschiedensten nationalen Minderheiten waren. Hierbei stellten nach den fast 1,5 Millionen Madjaren die Deutschen mit rund 4 Prozent der Gesamtbevölkerung die zweitstärkste Gruppe7. Freilich waren diese Deutschen zunächst weit davon entfernt, politisch oder bewußt-


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seinsmäßig eine Einheit zu bilden. Außer ihrer deutscheu Abstammung hatten Siebenbürger Sachsen, Banater Schwaben, Buchenland- und Bessarabien-Deutsche, die sich durch die Neugliederung der Jahre 1918/19 in einen ihnen ursprünglich fremden Staat eingefügt fanden, zunächst wenig gemeinsam. In ihrer sozialen, wirtschaftlichen und konfessionellen Struktur wie auch in ihrer Siedlungsgeschichte stark unterschieden, bewohnten die einzelnen deutschen Gruppen Gebiete, die nicht nur landschaftlich sehr verschiedenartig, sondern auch räumlich zum Teil weit voneinander entfernt waren.

Siebenbürgen war das an Umfang und Bevölkerung bedeutendste unter den neugewonnenen Territorien, bald eine der Kernprovinzen des neuen Rumäniens. Das von den Gebirgszügen des großen Karpatenbogens umschlossene Hochland — Transilvania oder auch Ardeal nannten es die Ru-

nächste Zählung fand nach der Abtrennung von Nord-Siebenbürgen, Bessarabien, der nördlichen Bukowina und der Süd-Dobrudscha, am 6. April 1941, statt:

Zu den Befragungs-Kriterien (Nationalität, Muttersprache, Abstammung) vgl. im einzelnen unten, vor allem S. 13 E f. und S. 17. Für die Feststellung der Volkszugehörigkeit (Nationalität) war — im Gegensatz zu der objektiven Beweisbarkeit der Abstammung — die Willensentscheidnng des Einzelnen ausschlaggebend.


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mänen — verfügte über eine klare rumänische Bevölkerungsmehrheit8. Die Geschichte dse Landes jedoch war von den drei historischen „Nationen” der Madjaren, Szekler9 und Sachsen bestimmt worden. Madjarisch oder deutsch war das Gesicht der siebenbürgischen Städte10.

Die Siebenbürger „Sachsen” sind eine der ältesten deutschen Volksgruppen in Südosteuropa. Schon in der Mitte des 12. Jahrhunderts hatten sich deutsche Siedler aus vielen Teilen des Reiches, aus Flandern, vom Rhein und aus Mitteldeutschland vor allem, dem Ruf des ungarischen Königs Geisa II. folgend, auf dem „Königsboden” des Landes zwischen


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Großer Kokel und Alt-Fluß niedergelassen11. Der „Goldene Freibrief” König Andreas II. von 1224 sicherte den „Sachsen”12 des Altlandes um Hermannstadt territoriale, politische und kirchliche Autonomie zu. Schon unter Geisa waren auch weiter nördlich, im Nösener Land um Bistritz, deutsche Bauern angesiedelt worden. Eine vorübergehende Niederlassung des Deutschen Ritterordens führte zu Beginn des 13. Jahrhunderts zur deutschen Besiedlung des südöstlich gelegenen Burzenlandes um Kronstadt. Im 14. und 15. Jahrhundert wurden die Privilegien des immer wieder bestätigten „Andreanums” vom alten Kernland der „Sieben Richter” auf alle deutschen Siedlungen in Siebenbürgen ausgedehnt, die sich in der sächsischen „Nationsuniversität” unter der Leitung eines frei gewählten Sachsengrafen zusammenschlössen. Über die Wechselfälle der Jahrhunderte hinweg verstanden es die Siebenbürger Sachsen — als Bauern und als Bürger in den von ihnen gegründeten Städten — ihre historischen Rechte zu behaupten. Gestützt auf die Unabhängigkeit ihrer seit 1550 evangelisch-lutherischen Landeskirche konnten sie sich das Bewußtsein ihrer sächsischen Eigenständigkeit auch nach dem Verlust der politischen Selbstverwaltung durch die endgültige Angliederung an Ungarn (1868/76) erhalten.

Der Zusammenhang des sächsischen Siedlungsgebietes wurde durch den Übergang Siebenbürgens an Rumänien im Jahre 1918 nicht zerstört. Durch den Wiener Schiedsspruch fielen jedoch 1940 mit dem madjarischen Gebiet des sogenannten Szekler-Zipfels auch die sächsischen Siedlungen um Bistritz und Sächsisch-Reen vorübergehend an Ungarn zurück13.

Das Deutschtum im Temescher B a n a t, dem Geviert zwischen Donau, Theiß und Mieresch (Maros), das im Osten durch die Randgebirge der


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Karpaten begrenzt wurde, war sehr viel jüngeren Datums als das Siebenbürgens14. Es verdankt seine Entstehung einem großangelegten Ansiedlungswerk, das, von der österreichischen Militärverwaltung unmittelbar nach dem Friedensschluß von Passarowitz (1718) in Angriff genommen, mit kurzen Unterbrechungen das ganze 18. Jahrhundert hindurch fortgesetzt wurde; der Übergang in ungarische Verwaltung (1779) bedeutete hier keinen wesentlichen Einschnitt. Neben deutschen Bauern und Handwerkern — vor allem aus dem Südwesten des Reiches — wurden schon in den ersten Jahrzehnten zur Ausbeutung der Bodenschätze des südöstlichen Berglandes auch österreichische Berg- und Hüttenarbeiter angesetzt. Durch den Friedenschluß von 1919 kam die überwiegende Mehrheit der Banater Deutschen, die der großen Gruppe der Donauschwaben zugerechnet werden15, an Rumänien. Ein Teil wurde dem neuen südslawischen Königreich zugeschlagen; nur ein geringer Rest blieb bei Ungarn16. Rumänien fielen neben dem südöstlichen Industriegebiet um Reschitza (Reşiţa) und Steierdorf-Anina mit ihrer deutschen Arbeiterschaft vor allem die fast rein deutschen Bauerndörfer der schwäbischen Heide östlich und nordöstlich von Temeschburg (Timişoara)17 zu, das selbst zu einem Drittel von Deutschen


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bewohnt wurde18. Zu den Banater Schwaben müssen auch die deutschen Siedlungen um Arad-Neuarad gerechnet werden, obwohl sie verwaltungsmäßig nicht zum Banat gehören.

Zu den Donauschwaben zählen schließlich auch die deutschen Bewohner des S a t h m a r - Gebiets, das, jenseits des Siebenbürgischen Hochlandes im äußersten Nordwesten des heutigen Rumänien gelegen, geographisch schon zur ungarischen Tiefebene gehört. Hier waren, ebenfalls im 18. Jahrhundert, auf Grund von Werbungen der Grafen Karolyi um Groß-Karol (Carei; ungarisch: Nagykaroly) auf den ausgedehnten Besitzungen der Familie eine Reihe zum Teil rein schwäbischer Bauerndörfer entstanden19. Doch war diese verhältnismäßig kleine deutsche Gruppe weit stärker als die bis 1868 politisch selbständigen Siebenbürger Sachsen oder auch die Banater Schwaben den im 19. Jahrhundert einsetzenden Madjarisierungsbestrebungen des ungarischen Staates ausgeliefert und erschien in ihrem deutschen Charakter 1918 bereits ernsthaft in Frage gestellt20. Ähnliches gilt auch für die den Sathmar-Schwaben stammesmäßig nahestehenden deutschen Splitter um Großwardein (Oradea) und in der Marmarosch21.


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Die Bukowina, das „Buchenland”, an der östlichen Abdachung der Waldkarpaten und des Siebenbürgischen Hochlandes, war stets ein ausgesprochenes Grenz- und Durchgangsland, eine Tatsache, die sich in der Wirtschaftsstruktur wie in der Bevölkerungszusammensetzung widerspiegelt. Herrschte im Südteil das rumänische Element vor, so war der 1940 an die Sowjetunion abgetretene Norden mit der Hauptstadt Czernowitz ukrainisches Siedlungsgebiet. Die Einwanderung der Deutschen, die 1930 fast 10 Prozent der Bevölkerung ausmachten22, konzentrierte sich im wesentlichen auf die ersten vier Jahrzehnte nach der österreichischen Besitznahme des zuvor moldauischen Gebiets (1775). Im Gegensatz zu den planmäßigen Besiedlungsaktionen in den donauschwäbischen Gebieten Ungarns wurde der Zustrom deutscher Siedler in der Bukowina, die 1849 als Herzogtum zum österreichischen Kronland erhoben wurde, zwar gefördert, jedoch nur teilweise systematisch gelenkt23. So konnten die einwandernden Zipser


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Bergleute in den südwestlichen Gebirgstälern, die böhmischen Glasbläser und Waldarbeiter in den westlichen Bergwäldern und die „schwäbischen” Bauern im fruchtbaren Hügelland des Nordostens — anders als Banater, Siebenbürger und auch Bessarabien-Deutsche — in der Regel keine geschlossenen Dörfer bilden. Einen verhältnismäßig starken deutschen Bevölkerungsanteil zeigten die Städte, vor allem Czernowitz (Cernauţi), der Sitz der österreichischen Verwaltung, das während des gesamten 19. Jahrhunderts eine stetige Zunahme seiner deutschen Einwohnerschaft zu verzeichnen hatte24. Nicht zuletzt dem Vorherrschen der deutschen Amtssprache ist es zu danken, daß sich das Buchenlanddeutschtum bis 1918 auch in Ortschaften mit rumänischer Mehrheit im allgemeinen rein erhalten konnte.

Wie die Bukowina ist auch Bessarabien ein Grenzland. Der Name wird erst seit der Eroberung des vordem ebenfalls türkisch-moldauischen Gebiets durch Rußland (1812) auf den gesamten Landstreifen zwischen Dnjestr und Pruth angewandt. Das Hügelland im Osten und Norden ist altes rumänisches Siedlungsland — nur in den nordöstlichen Randgebieten und in den Städten findet sich ein stärkerer russisch-ukrainischer Bevölkerungsanteil25, Das fruchtbare Steppenland Südwestbessarabiens, ursprüng-


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lich kaum besiedelt, wurde nach der russischen Besitzergreifung in das zuerst von Katharina II. begonnene südrussische Kolonisationswerk einbezogen. Hier entstanden in den Jahren 1814—42 neben gagausischen, bulgarischen und ukrainischen Siedlungen zunächst 24 deutsche Bauerndörfer, benannt zum Teil nach Schlachtorten der Befreiungskriege: Leipzig, Kulm, Beresina, Katzbach, Paris. Die Siedler wurden im Großherzogtum Warschau, in Nordostdeutschland, aber auch in Württemberg angeworben. Ungewöhnlich rasche Bevölkerungszunahme führte bis ins 20. Jahrhundert hinein zur Gründung zahlreicher Tochtersiedlungen, zumeist in den unmittelbar angrenzenden Bezirken, die den Wohlstand der ersten Kolonistendörfer um Tarutino freilich nur selten erreichten26. Die wenigen unabhängig von dieser Besiedlung entstandenen deutschen Gemeinden in Nordbessarabien fallen ebenso wie die geringfügigen deutschen Gruppen in den Städten kaum ins Gewicht.

Im rumänischen „Altreich” finden sich bedeutendere deutsche Ansiedlungen nur in der Dobrudscha27. Von Landnot getriebene deutsche Auswanderer aus Bessarabien und Südrußland hatten in diesem steppenartigen Landstrich südlich der Donaumündung nach 1840 — zunächst noch unter türkischer Herrschaft — insgesamt 30 Gemeinden besiedelt, in denen sie freilich zumeist mit Rumänen, Bulgaren, Tataren und Türken zusammenwohnten28.


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Von einem geschlossenen deutschen Siedlungsgebiet kann bei diesen um die Hafenstadt Konstanza und um Tulcea im Norden verstreuten Dörfern kaum die Rede sein.

Im eigentlichen „Regat”, in den Provinzen Oltenia (Kleine Walachei), Muntenia (Große Walachei) und Moldau gab es stärkere deutsche Gruppen nur in den größeren Städten: in Ploeşti, Craiova, Galatz, Braila und Jassy mit (1930) jeweils zwischen 1000 und 2000 deutschen Einwohnern, insbesondere aber in der Metropole Bukarest, die nach der Zählung von 1930 etwa 15 000 Deutsche zählte, mehr als die gesamte Dobrudscha. Hatten sich in Bukarest schon im 18. und 19. Jahrhundert zahlreiche deutsche Familien niedergelassen, so wirkte die Landeshauptstadt nach 1918 in verstärktem Maß auch für die Deutschen der neu angegliederten Gebiete als Anziehungspunkt29.