e. Politische Struktur und Verhältnis zum rumänischen Staat.

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Nach dem militärischen Zusammenbruch Österreich-Ungarns trat am 30. November 1918 in der siebenbürgischen Stadt Karlsburg (Alba-Iulia) eine „Nationalversammlung der ungarländischen Rumänen” zusammen, die am folgenden Tage den Anschluß an Rumänien erklärte. Als „Fundamentalprinzip für die Begründung des neuen rumänischen Staates” proklamierte sie zugleich „volle nationale Freiheit für alle mitwohnenden Völker”88. „Jedes Volk”, so hieß es, „wird sich in seiner eigenen Sprache unterrichten, verwalten und richten, und zwar durch Angehörige des eigenen Volkes. Jedes Volk wird das Recht haben, in den gesetzgebenden Körperschaften und in der Regierung des Landes gemäß der Zahl der Menschen, aus denen es sich zusammensetzt, vertreten zu sein.” Diese sogenannten „Karlsburger Beschlüsse” sind zwar nie ausdrücklich widerrrufen worden, doch hat sie die rumänische Regierung andererseits nie als staatsrechtlich bindend anerkannt89.

Dennoch gab der für den 9. Januar 1919 nach Mediasch einberufene Sachsentag wesentlich unter dem Eindruck dieser Beschlüsse seine Zustimmung zu der Anschlußerklärung von Karlsburg90. Der Sachsen und Rumänen verbindende Widerstand gegen die Madjarisierungspolitik der ungarischen


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Regierung hatte die Entscheidung zweifellos erleichtert. Die nicht nur durch die gemeinsame katholische Konfession stärker an Ungarn gebundenen Schwaben widerstrebten der Loslösung, mehr noch aber der Teilung des Banats zunächst mit aller Entschiedenheit. Erst am 10. August 1919, als rumänische Truppen den Osten des Banats bereits besetzt hatten, erklärte der „radikaldeutsche” Flügel des schwäbischen Nationalrats seine Bereitschaft zum Anschluß an Rumänien; nach Veröffentlichung der Verträge von Trianon und Sèvres im Sommer 1920 mußten sich dann freilich auch die noch länger zurückhaltenden „Gemäßigten” unter Dr. Kaspar Muth den neuen Verhältnissen anpassen91. Am 7. März 1919 billigten — angesichts der bolschewistischen Drohung im Osten — auch die Deutschen Bessarabiens als erste Minderheit ihres Landes die schon im April 1918 erfolgte Vereinigung der zunächst ausgerufenen „autonomen Moldowanischen Republik” mit Rumänien92. Wichtiger noch war es, daß sich die gewählten Vertreter des Buchenland-Deutschtums gegen die Bemühungen des in Lemberg gegründeten ukrainischen Nationalrats am 26. November 1918 — nach Bewilligung ihrer ausführlich niedergelegten politischen und kulturellen Forderungen — eindeutig für einen Anschluß der Bukowina an Rumänien aussprachen93.

Die Siebenbürger Sachen verfügten als einzige der deutschen Gruppen des neuen Groß-Rumäniens über eine selbständige politische Tradition. Art. 11 des Minderheitenschutzvertrages von 1919 trug dieser Sonderstellung Rechnung, indem er neben den madjarischen Szeklern als einziger deutscher Gruppe den Sachsen die lokale Autonomie in Kirchen- und Kulturfragen garantierte94. Jahrhundertelang hatte die „Nationsuniversität” die Geschicke des sächsischen Volkes geleitet. Sie hatte ihre politischen und richterlichen Funktionen nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich verloren, doch der Sachsentag blieb als Institution bestehen und konnte 1919 nach 23jähriger Pause erneut zusammentreten. Der zunächst unter Führung von Dr. Rudolf Brandsch gebildete „Deutsch-sächsische Volksrat für Siebenbürgen” schuf lediglich eine neue Form, die an die Stelle der alten „Nationsuniversität” trat95. Fast zwangsläufig fiel die Führungsrolle innerhalb des groß-rumänischen Deutschtums in den folgenden Jahren den Siebenbürger Sachsen zu,

In den anderen Volksdeutschen Gruppen bewirkte erst die geforderte politische Entscheidung, die Notwendigkeit, dem neuen rumänischen Staat gegenüber Stellung zu beziehen, zu einer organisatorischen Zusammenfassung — zum Teil nach Überwindung interner Gegensätze. In Bessarabien bildete sich aus dem Bezirkskomitee Tarutino des 1917 gegründeten „Allrussischen Verbandes russischer Bürger deutscher Nationalität” ein „Deutscher Volksrat für Bessarabien”, der 1926 in Anlehnung an das siebenbürgisch-sächsische Volksprogramm die endgültigen „Satzungen der bessara-


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bischen deutschen Volksgemeinschaft” ausarbeitete96. In der Bukowina waren schon die Anschlußverhandlungen des Jahres 1918 von einem deutschen Volksrat geführt worden, der nach einer Neuordnung des Jahres 1920 in Kreisausschüssen der „Volksgemeinschaft” gewählt wurde, die ihrerseits aus den gewählten Ortsräten der deutschen Gemeinden hervorgingen97. Im ßanat kam es erst nach dem eindeutigen Sieg der Autonomie-Partei Dr. Muths über die radikale deutsch-schwäbische Volkspartei in den rumänischen Parlamentswahlen von 1920 zur Gründung einer gemeinsamen „Deutsch-schwäbischen Volksgemeinschaft” (13. März 1921), die den neuen politischen Gegebenheiten Rechnung trug und zur Zusammenarbeit mit den siebenbürgisch-sächsischen Politikern bereit war98.

Am 18. September 1921 wurde in Czernowitz, als allerdings sehr lockere Dachorganisation aller Volksdeutschen in Rumänien, der „Verband der Deutschen in Rumänien” gegründet, dessen Vorsitz zunächst der Sachse Rudolf Brandsch (bis 1931), dann der Schwabe Kaspar Muth (1931 bis 1935) innehatte. Das Schwergewicht der Volkstumsarbeit verblieb bei den Volksdeutschen Organisationen der einzelnen Siedlungsgebiete, den Nachbarschaften, Orts- und Kreisausschüssen, an deren Spitze die Volksräte mit ihren Obmännern standen. Trotz übereinstimmenden Aufbaus war die tatsächliche Bedeutung dieser Organisationen gebietsweise sehr verschieden. In Bessarabien mit seiner im Grunde unpolitischen Bauernbevölkerung und mehr noch in der Dobrudscha99 blieb die „Volksgemeinschaft” Angelegenheit einer schmalen Schicht von Intellektuellen, oft Lehrern und Pfarrern. Im Sathmar-Gebiet wurde die Untergruppe der „Deutsch-schwäbischen Volksgemeinschaft” Instrument zur Wiedererweckung des fast völlig verschütteten Deutschtums.

Gegenüber dem rumänischen Staat fanden sich die politischen Führer des Deutschtums — nach endgültiger Klärung der Grenzfrage auch die Banater Schwaben — zu loyaler Mitarbeit auf dem Boden der parlamentarischen Verfassung bereit. Auch der rumänischen Regierung mußte angesichts der Revisionsansprüche des neuen Ungarns und der UdSSR, die sich auf die starken madjarischen und ukrainisch-russischen Minderheiten in den Grenzgebieten stützen konnten, an einem Zusammenwirken mit den Deutschen der neuen Provinzen gelegen sein. Die deutsche Volkstumsarbeit im Sathmar-Gebiet wurde daher von den rumänischen Behörden offen gefördert100.


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1920 wie in den späteren Wahljahren kam es zu Wahlabsprachen der Volksdeutschen Politiker mit der jeweiligen Regierungspartei, die den Deutschen in jedem der zum Teil sehr kurzlebigen rumänischen Parlamente der Jahre 1920 bis 1938 eine größere Zahl von Abgeordneten- und Senatorensitzen sicherten. Die „Deutsche Partei”, der fraktionelle Zusammenschluß der deutschen Volksvertreter, bildete eine deutsche parlamentarische Vertretung, wie sie in dieser Stärke — die Zahl der Volksdeutschen Kammerabgeordneten schwankte zwischen 4 und 10 — gleichzeitig weder in Ungarn noch in Jugoslawien vorhanden war101. Die vor den Wahlen gegebenen Zusicherungen wurden freilich von den jeweils siegreichen Regierungen vielfach nicht eingehalten. Die unverbindlichen Formulierungen der Verfassung von 1923 bedeuteten eine Enttäuschung für die deutschen Parlamentarier, die auch andere minderheitenfeindliche Maßnahmen, insbesondere der Liberalen, nicht verhindern konnten102. Das Hauptziel der Volksdeutschen Politik, die Verabschiedung eines Minderheitenstatuts, das die Zusicherungen der Karlsburger Beschlüsse verwirklichen sollte, wurde bis zum Ende der 30er Jahre nicht erreicht103. Dennoch gelang es den Männern der Deutschen Partei, die zunächst von Brandsch, seit 1922 von dem gleichfalls aus Siebenbürgen stammenden Dr. Hans Otto Roth geführt wurde, manche Härte zu mildern. Die Deutschen genossen in dieser Periode zweifellos eine gewisse Vorzugsstellung104, die sich auch in der Berufung des Sachsen Rudolf Brandsch auf den 1931 geschaffenen Posten eines Unterstaatssekretärs für Minderheitenfragen manifestierte.

Die Volksdeutschen in Rumänien waren räumlich weit von ihrem Mutterland getrennt; sie waren keine Grenzminorität, wie in Rumänien die Madjaren, Ukrainer und Bulgaren oder die Deutschen im Sudetenland, in Posen und Nordschleswig. Wurden schon dadurch zahlreiche Konfliktsmöglichkeiten ausgeschaltet, so beruhte das positive innerpolitische Verhältnis zwischen Deutschen und Rumänen darüber hinaus auf der traditionellen sächsisch-rumänischen Solidarität, die die sächsischen Führer


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des rumänischen Deutschtums vor allem mit der siebenbürgischen Nationalpartei, der späteren national-ţaranistischen Partei Julius Manius verband. Hinzu kam eine gewisse politische Zweckgemeinschaft, das gemeinsame Festhalten an der verfassungsmäßigen demokratischen Ordnung, das die einsichtige Kompromißbereitschaft der deutschen Parlamentsvertreter weitergehenden eigenen Wünschen voranstellte. Dieses gute Verhältnis wurde erst in Frage gestellt, als die gemäßigte bürgerliche Führungsschicht der Rumänien-Deutschen zu Beginn der 30er Jahre — parallel zum Zerfall des Weimarer Staates und zum Aufkommen autoritärer Gruppen wie der „Eisernen Garde” in Rumänien — von radikaleren Kräften verdrängt wurde.

Vor dem ersten Weltkrieg stand für die später im groß-rumänischen Staat zusammentreffenden Volksdeutschen Gruppen das schwäbische oder sächsische Gemeinschaftsbewußtsein im Vordergrund. Schon das Erscheinen deutscher Truppen auf dem Balkan nach 1916 hatte jedoch in den deutschen Siedlungsgebieten Südosteuropas ein verstärktes Gefühl der Verbundenheit und der nationalen Zugehörigkeit zum deutschen Mutterland lebendig werden lassen. Mit dem Ende des Krieges, das die radikale Lösung aus den bisherigen, zum Teil auch gefühlsmäßig bejahten staatlichen Bindungen, die Einfügung in ein neues und zunächst fremdes Staatswesen mit sich brachte, war das sprachlich-kulturelle Deutschbewußtsein für die betroffenen Volksdeutschen immer ausschließlicher zur bestimmenden Grundlage ihres Nationalgefühls geworden. Am klarsten war diese Tendenz bei den Banater Schwaben, abgeschwächt auch bei den Deutschen der Bukowina und Bessarabiens zu beobachten. Bei den Sachsen hatte eine ähnliche Entwicklung bereits mit dem Verlust der territorialen Selbständigkeit Siebenbürgens im Jahre 1876 eingesetzt105.

Die stärkere gefühlsmäßige Hinwendung der Volksdeutschen zu ihrem Mutterland brachte eine vorher nicht gekannte Fernwirkung der politischen Entwicklung innerhalb der deutschen Reichsgrenzen mit sich. Das Programm des um die Wende der 30er Jahre im Weimarer Staat zur Macht drängenden Nationalsozialismus, dessen nationalistische Vorstellungswelt in ihren Ursprüngen nicht zuletzt auch auf die Sprach- und Nationalitätenkämpfe der österreichisch-ungarischen Monarchie zurückging, fand bei dem „nationalen” Flügel der Volksdeutschen besonders starken Widerhall. Die Machtergreifung Hitlers in Deutschland wurde aus der Entfernung des Volksdeutschen Sonderdaseins gesehen zur großen nationalen Revolution verklärt. Begriffe wie Volksgemeinschaft, Blut und Boden, Reinerhaltung von Rasse, Sprache und Sitte schienen nur alte, längst propagierte Grundsätze des Volksdeutschen Denkens zu bestätigen, wie es vor allem im nationalen Selbsterhaltungskampf der Siebenbürger Sachsen geprägt worden war. Das Auftreten autoritär-faschistischer Bewegungen wie der 1931 gegründeten „Eisernen Garde” Corneliu Codreanus und die immer deutlicher zutage tretende Krise des parlamentarischen Systems in Rumänien selbst erhöhte auch in Volksdeutschen Kreisen die Aufnahmebereitschaft für die politischen Führungsprinzipien des nationalsozialistischen Systems.


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Erste Anklänge an nationalsozialistische Ideen zeigten sich in der zu Beginn der 20er Jahre von Rittmeister a. D. Fritz Fabritius begründeten siebenbürgischen Baugenossenschaft „Selbsthilfe”. Zunächst war diese jedoch trotz unmittelbarer Kontakte zu der damals noch unbedeutenden deutschen NSDAP weniger von ihr als von den alldeutschen und völkisch-sozialen Konzeptionen Schönerers inspiriert106. Erst mit der Bildung der „Nationalen Selbsthilfebewegung der Deutschen in Rumänien” (NSDR) gewannen die „Erneuerer” um Fabritius politisches Gewicht. Schon auf dem am 1. Oktober 1933 in Hermannstadt abgehaltenen Sachsentag konnte die NSDR in den Wahlen gegen die alte liberale Führung des Volksrates 62 % der Stimmen auf sich vereinigen. Ebenso bedeutend war der Wahlsieg in den bessarabien-deutschen Volksratswahlen im März des folgenden Jahres. Trotz eines vorübergehenden Verbots durch die rumänische Regierung und lebhaften Widerstands, insbesondere kirchlich-konservativer Kreise im Banat und in der Bukowina hatte sich die 1934 neu benannte „Nationalsozialistische Erneuerungsbewegung der Deutschen in Rumänien” (NEDR) bald soweit durchgesetzt, daß Fabritius am 29. Juni 1935 den Vorsitz des „Verbandes der Deutschen in Rumänien” übernehmen konnte107.

Zu dieser Entwicklung haben die fast permanente Krisensituation des groß-rumänischen Staates in den Jahrzehnten nach dem ersten Weltkrieg und das Versagen der demokratischen Parteien besonders in der Wirtschaftspolitik, durch das auch die mit ihnen zusammenarbeitenden Volksdeutschen Politiker in der Volksdeutschen Öffentlichkeit diskreditiert wurden, einiges beigetragen. Entscheidend für den politischen Aufstieg der „Erneuerer” war aber zweifellos der Erfolg der NSDAP in Deutschland. Trotz aller ideologischen und zum Teil persönlichen Berührungen mit dieser suchte der rumäniendeutsche Nationalsozialismus jedoch teilweise andere Wege einzuschlagen: Schon die nationalpolitische Bedeutung der Kirchen, die in starkem Maße Träger des Volksdeutschen Kulturlebens gewesen waren, machte besondere Rücksichten notwendig108. Auch den. Juden gegenüber sah man sich zu einer gewissen minderheitlichen Solidarität verpflichtet109. Die relative politische Mäßigung des Fabritius-Kreises, sein Bemühen, die Unabhängigkeit des rumäniendeutschen Nationalsozialismus zu wahren, trugen zum Einschwenken der alten Führungskräfte bei, die einen offenen Zwiespalt innerhalb der Volksdeutschen vermeiden zu müssen glaubten110. Sie führte


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freilich auf der anderen Seite zur vorübergehenden Abspaltung eines radikalen Flügels unter Dr. Alfred Bonfert, der 1935 eine eigene „Deutsche Volkspartei” (DVR) ins Leben rief.

In der deutschen Parlamentsfraktion blieben indessen bis zur Aufhebung des parlamentarischen Regierungssystems in Rumänien im Jahre 1938 Hans Otto Roth und seine Freunde bestimmend. Der „Verband der Deutschen in Rumänien” erfuhr jedoch schon 1935 eine durchgreifende Neuordnung. An die Stelle des bisherigen losen Zusammenhangs111 trat in der neuen „Volksgemeinschaft der Deutschen in Rumänien” ein gemeinsamer Volksrat, dem die Gauräte der einzelnen Gebiete mit ihren Obmännern untergeordnet waren. Das Volksprogramm von 1935 forderte den Aufbau der Volksgemeinschaft nach dem nationalsozialistischen Gefolgschaftsprinzip, die Durchdringung aller Lebensbereiche des Deutschtums, der Vereine, Nachbarschaften, Genossenschaften, Berufsstände etc., sowie die Erziehung der Jugend im nationalsozialistischen Sinne; in der „Selbsthilfearbeitsmannschaft” war schon früh eine uniformierte Jugendorganisation geschaffen worden112. Neben dem Bekenntnis „zur Einheit aller Deutschen in der Welt, mit denen wir ein einziges großes Volk bilden”, wurde in dem bereits von der NSDR bestimmten sächsischen Volksprogramm von 1933 jedoch noch die unverbrüchliche Loyalität dem rumänischen Staat gegenüber betont: „In unwandelbarer Verbundenheit mit unserer Heimat stehen wir auf dem Boden des Staates Rumänien, dem wir unsere Kraft und Treue zur Verfügung stellen.”113

Die demokratischen rumänischen Parteien betrachteten die Erneuerungsbewegung mit Mißtrauen, das durch gelegentliche Kontakte der Erneuerer mit den rechtsradikalen rumänischen Gruppen um Codreanu, Cuza und andere verstärkt wurde114. Dennoch wurden Fabritius und die „Volksgemeinschaft” am 6. Februar 1938 -- wenige Tage vor dem Staatsstreich König Carols — von der Regierung Octavian Gogas als alleinberechtigte Vertretung des rumänischen Deutschtums anerkannt. Am 9. Januar 1939 trat die nach Auflösung der DVR politisch wieder geeinte deutsche Minderheit korporativ in die vom König geschaffene „Front der Nationalen Wiedergeburt” ein und stellte als eigene Sektion in der im Juni einberufenen ständischen Volksvertretung, die freilich nur noch beratende Funktion hatte, zwölf Abgeordnete 115.


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Solange die rumänische Außenpolitik auf die westlichen Demokratien hin ausgerichtet war, die das System der Friedensverträge durch Kleine Entente und Balkanpakt zu stabilisieren suchten, mußte eine allzu offene Beeinflussung des rumänischen Deutschtums durch Reichs- und Parteidienststellen schon aus außenpolitischen Gründen vermieden werden. Ein Bericht des deutschen Gesandten in Bukarest Dr. Wilhelm Fabricius warnte ausdrücklich vor einer Radikalisierung der Volksdeutschen Organisationen, was nicht zuletzt zu der von Berlin befürworteten Rückkehr der Bonfert-Gruppe in die „Volksgemeinschaft” (November 1938) beigetragen haben mag116.

Der Besuch König Carols in Berchtesgaden am 24. November 1938, dem der Abschluß des deutsch-rumänischen Wirtschaftsvertrages vom 23. März 1939 folgte, zeigte einen Kurswechsel in der rumänischen Außenpolitik an117. Die deutschen Siege des ersten Kriegsjahres und die akute Bedrohung durch die Sowjetunion, die die Abtretung Bessarabiens erzwang, beschleunigten dann 1940 das vollständige Einschwenken Rumäniens auf die außenpolitische Linie der Achsenmächte: 29. Mai „Öl-Waffen-Pakt”, 30. August zweiter Wiener Schiedsspruch und deutsch-italienische Garantie für den rumänischen Reststaat, 12. Oktober Einrücken deutscher „Lehrtruppen”, 23. November Beitritt Rumäniens zum Dreimächtepakt. Aber die Stellung des Königs war durch die außenpolitischen Prestige- und Gebietsverluste im Sommer 1940, die er zur Festigung seiner Position hinnehmen zu müssen glaubte, erst recht unhaltbar geworden. Er dankte am 6. September 1940 zugunsten seines Sohnes Michael ab und überließ die Regierungsgewalt dem bisherigen Kriegsminister General Ion Antonescu, der als „Staatsführer” — zunächst in Zusammenarbeit mit der rechtsradikalen „Eisernen Garde” — den „Nationallegionären Staat” proklamierte118.

Die außenpolitische Entwicklung hat die Lage der Volksdeutschen in Rumänien nachhaltig beeinflußt. Schon im Juni 1939 hatte der stärker als Fabritius von Berlin abhängige Hermannstädter Arzt Dr. Wolfram Bruckner die Führung der deutschen „Volksgemeinschaft” übernommen, in deren Rahmen mit der „Nationalsozialistischen Arbeitsfront” (NAF) bereits 1935


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eine straff geführte Parteiorganisation als eigentliche „Bewegung” geschaffen worden war119.

Ein in den Wiener Verhandlungen über die siebenbürgische Grenzfrage am 30. August 1940 beschlossenes deutsch-rumänisches Protokoll verpflichtete die rumänische Regierung, „die Angehörigen der deutschen Volksgruppe in Rumänien den Angehörigen rumänischen Volkstums in jeder Weise gleichzustellen und die Stellung der deutschen Volksgruppe im Sinne der Karlsburger Beschlüsse zur Erhaltung des Deutschtums weiter auszubauen120. Die Regierungsübernahme durch Antonescu gab den Berliner Stellen dann vollends freie Hand, ihre Bestrebungen, die deutschen Volksgruppen im Ausland zu „politischen Willensträgern des Reiches bzw. des Führers” zu machen, auch in Rumänien zum Ziel zu führen121.

Während der internen Auseinandersetzungen in der rumäniendeutschen Führung in den Jahren 1935—38 hatten beide Seiten sich um Rückhalt bei verschiedenen Partei- und Regierungsstellen in Berlin bemüht. Immer stärker war dabei die seit 1937 von SS-Obergruppenführer Lorenz geleitete „Volksdeutsche Mittelstelle” in den Vordergrund gerückt122. Schon Bruckner


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wurde nicht gewählt, sondern praktisch von Berlin aus ernannt. Ende September 1940 mußte auch er weichen, da er sich, gestützt auf persönliche Beziehungen zu höheren Offizieren der Wehrmacht wie zum Auswärtigen Amt, dein ausschließlichen Machtanspruch der SS zu widersetzen suchte123. Lorenz selbst erschien in Kronstadt, um den schon vorher zum Stabsführer der NAF avancierten, kaum 30jährigen Andreas Schmidt als neuen Führer der deutschen Volksgruppe in Rumänien einzuführen. Schmidt, der noch ein Jahr zuvor in der Volksgruppe völlig unbekannt gewesen war, hatte als Student in Berlin Kontakt zur SS, insbesondere zum Chef des SS-Hauptamts, Gruppenführer Berger, gewonnen, dessen Schwiegersohn er geworden war. Das Einrücken Schmidts und seiner in der SS geschulten Mitarbeiter — zum Teil alter Mitglieder der Bonferťschen DVR — in die Volksgruppenführung war gleichbedeutend mit der unverschleierten Unterordnung der politischen Volksgruppenorganisation unter die Volksdeutsche Mittelstelle und den Reichsführer-SS. Der Bruch mit der bisherigen Tradition wurde schon äußerlich durch die Verlegung der Volksgruppenführung von Hermannstadt nach Kronstadt — an den Sitz des deutschen Generalkonsuls, SS-Oberführer Rodde — kundgetan.

Am 20. November 1940 erging ein Dekret-Gesetz der Regierung Antonescu, das die „Deutsche Volksgruppe in Rumänien” unter Berufung auf das Protokoll vom 30. August als juristische Person öffentlichen Rechts anerkannte. Alle rumänischen Staatsbürger deutscher Volkszugehörigkeit wurden mit ihrer Aufnahme in den von der Volksgruppe anzulegenden Nationalkataster automatisch Mitglieder der „Volksgruppe”, als deren „nationaler Willensträger” die neugegründete „NSDAP der Deutschen Volksgruppe in Rumänien” bezeichnet wurde. Die Volksgruppe erhielt das Recht, „zur Erhaltung und Festigung ihres nationalen Lebens verpflichtende Bestimmungen für ihre Angehörigen” zu erlassen; sie durfte fortan „neben

der Fahrte des rumänischen Staates die Flagge des deutschen Volkes hissen„124.

Andreas Schmidt hatte sich in seinem ersten Aufruf an die Volksgruppe am 3. Oktober 1940 „zur selbstverständlichen Erfüllung” aller „Verpflichtungen gegenüber dem (rumänischen) Staat” bekannt, was freilich durch die politische Verwandtschaft des neuen rumänischen Regimes mit dem Nationalsozialismus erleichtert wurde125. Die Volksdeutsche NSDAP gelobte


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jedoch gleichzeitig „dem Führer Adolf Hitler und dem legionären Staat Rumänien” Treue126. Auf der Gründungsversammlung der NSDAP am 9. November 1940 erklärte Walter May, der Presse- und Propagandaleiter der Volksgruppenführung:

„Die Volksgruppe tritt dem Reich nicht mehr als selbständiger Faktor gegenüber, sondern ist in der Politik nur noch ein Bestandteil der großen Gemeinschaft, der seine Impulse direkt vom Reich empfängt.. . . Das Verhältnis des Rumäniendeutschtums zum Staat ist dementsprechend das Verhältnis Deutschlands zu Rumänien. Eine andere Lösung dieser Frage ist nicht mehr möglich”127.

In einem Brief an Obergruppenführer Berger bezeichnete Schmidt die Volksgruppenführung am 18. Mai 1944 noch eindeutiger als „eine Dienststelle der Reichsführung”, als „Bereich des Reichsführers-SS”128.

Auch die Organisation der Volksgruppe im rumänischen Restgebiet hatte bald nach der Einsetzung Schmidts durchgreifende Änderungen erfahren. Die nach der territorialen Neuordnung des Jahres 1940 gebildeten Gebiete Siebenbürgen, Banat und Bergland wurden im Februar 1943 wieder aufgehoben und durch eine straffere Kreis-Einteilung ersetzt; das durch den Wiener Schiedsspruch abgetrennte Nord-Siebenbürgen bildete seit 1940 das Gebiet „Ost” des „Volksbundes der Deutschen in Ungarn”129. An Stelle der NAF war als engerer Kreis schon am 9. November 1940 in Mediasch die „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei — NSDAP — der Deutschen Volksgruppe in Rumänien” gegründet worden. Die von ihr ins Leben gerufenen Gliederungen — „Einsatzstaffel”, „Deutsche Mannschaft”, „Deutsche Jugend” (DJ), „Deutsche Arbeiterschaft”, „Landesbauernschaft” etc. — entsprachen den Formationen der reichsdeutschen Parteiorganisation130. Auch


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die schon vorher in den „Dienst der Volksgemeinschaft” gestellte Volksdeutsche Presse wurde neu organisiert und dem System der neuen „Volksgruppe” eingefügt131. An die Stelle der alten ehrenamtlichen Mitarbeiter der völkischen Deutschtumsorganisationen, die noch in der Periode der Erneuerungsbewegung das Gesicht der Volksdeutschen Arbeit bestimmt hatten, traten mehr und mehr geschulte SS-Führer und hauptamtliche Funktionäre.

Innerhalb des rumänischen Deutschtums waren deutliche Gegenkräfte gegen den Nationalsozialismus vorhanden. Die alte liberale Führungsschicht hatte 1934 versucht, der Erneuerungsbewegung gemeinsam mit der Kirche entgegenzutreten132. In der Folgezeit war es jedoch zu einer lockeren Zusammenarbeit mit dem gemäßigten Flügel der Erneuerer gekommen, die im Frühjahr 1939 im formalen Eintritt der Gruppe um Hans Otto Roth in die


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NAF gipfelte133. Nach 1940 sah sich jedoch Roth, der bis dahin sowohl von der deutschen Gesandtschaft wie auch von der rumänischen Regierung in Volksdeutschen Fragen immer wieder herangezogen worden war134, von allen politischen Einflußmöglichkeiten mehr und mehr abgeschnitten, so daß er sich ganz auf seine Tätigkeit als Landeskirchenkurator der Evangelischen Landeskirche und Aufsichtsratsvorsitzender der Hermannstädter Allgemeinen Sparkasse beschränken mußte. In der evangelischen Landeskirche selbst führte der erzwungene Rücktritt des dem Nationalsozialismus feindlichen Bischofs Dr. Viktor Glondys und seine Ersetzung durch den der Erneuerungsbewegung nahestehenden Pfarrer Wilhelm Staedel um die Jahreswende 1940/41 zu einer gewissen „Gleichschaltung”135.

Der politische Kurs der Ära Schmidt wurde jedoch zweifellos von breiteren Kreisen unter den Volksdeutschen Rumäniens nicht gebilligt. Selbst die aus den leitenden Stellen verdrängte gemäßigte Richtung der Erneuerer fand sich von dem selbstherrlichen, statthaltermäßigen Auftreten Schmidts, von der Einzwängung der vielfältigen völkischen, vor allem sächsischen Traditionen in die Schablonen des nationalsozialistischen Systems abgestoßen. Wenn es trotzdem zu einem offenen Widerstand auch von ihrer Seite an keiner Stelle kam, so ist dies zum Teil einem Gefühl nicht aufkündbarer Solidarität mit dem im Krieg befindlichen „Reich”, zum Teil auch dem Verkennen des nationalsozialistischen Regimes zuzuschreiben, das auch im Reich selbst die Haltung vieler bestimmte.

Das gelegentlich allzu laute Auftreten der Volksgruppe mit ihren uniformierten Formationen mußte naturgemäß auch auf Seiten der an sich wohlwollenden rumänischen Regierung zu Verstimmung und Mißtrauen führen. Das Verhältnis zwischen Volksdeutschen und rumänischem Staat war


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besonders in den letzten Kriegsjahren gespannter als je zuvor136. Gestützt auf den übermächtigen Druck des Deutschen Reiches hatte die politische Arbeit der Volksgruppenführung gewisse Erfolge zu verzeichnen: die Anerkennung der deutschen Minderheit als juristische Persönlichkeit, die Einsetzung deutscher Bürgermeister und Vizebürgermeister in verschiedenen Städten137 und die Aufhebung anderer Beschränkungen, schließlich die Erlangung der Schul- und Kulturautonomie und den verstärkten Ausbau des deutschen Schulwesens. Die einseitige politische Festlegung, die diese Erfolge allein ermöglichte, verband die deutsche Volksgruppe jedoch auf Gedeih und Verderb mit dem Geschick des nationalsozialistischen Reiches, dessen Katastrophe daher auch ihr zum Verhängnis werden mußte.


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